Veranschaulichung der Leitlinien durch Beispiele

Um die Leitlinien zum Science-Policy-Engagement besser zu veranschaulichen, werden im Folgenden ausgew?hlte Artikel mit Beispielen n?her erl?utert.

Science-Policy-Engagement kann unterschiedliche Arten von Aktivit?ten beinhalten, die nachfolgend anhand von Beispielen erl?utert werden.  

Wissenschaftsbasierte Politikberatung

Zu der wissenschaftsbasierten Politikberatung z?hlen Aktivit?ten, durch die Forschende, gestützt auf ihre Expertise, politische Entscheidungstr?ger:innen zu Policy-Positionen und -Entscheiden in allen Stadien des Politikzyklus beraten.

Im Unterschied zu anderen Formen der Politikberatung zeichnet sie sich dadurch aus, dass sie guter wissenschaftlicher Praxis folgt, unparteiisch und unabh?ngig ist und besonderen Wert auf methodische Sorgfalt legt.

Wissenschaftsbasierte Politikberatung kann in unterschiedlichen Formaten und Formen stattfinden. Beispiele:

  • Eine ETH-Professorin leitet als Expertin ein vom Bund mandatiertes wissenschaftliches Beratungsgremium zur Corona-Pandemie, das Bund und Kantone hinsichtlich politischer Entschiede zur Pandemiebek?mpfung wissenschaftsbasiert ber?t.
  • Ein ETH-Forscher führt im Auftrag des Bundesamts für Strassen ein Forschungsprojekt zum Thema L?rm und Strassenverkehr in Schweizer St?dten durch. Die Ergebnisse dieses Projekts k?nnen in die Formulierung von politischen Massnahmen miteinfliessen.
  • Ein ETH-Forscher beteiligt sich als Autor an einem Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC).
  • Eine ETH-Professorin wird in einem Telefonanruf von einem Mitglied der aussenpolitischen Kommission des Schweizer Parlaments zu ihrer Einsch?tzung über die sicherheitspolitische Lage einer bestimmten Region gefragt.

?ffentliche Auftritte zu Policy-Themen

Aktivit?ten, in denen sich Forschende an ?ffentlichen Anl?ssen, in den Medien oder sozialen Medien zu bestimmten Policy-Themen ?ussern. Beispiele:

  • Eine ETH-Professorin gibt ein Interview zu den neusten Entwicklungen im Bereich Photovoltaik und erneuerbare Energien im Kontext der politischen Massnahmen zur F?rderung von erneuerbaren Energien. Dabei ordnet sie die Fragen des Journalisten ein und gibt einen ?berblick über die neuesten Erkenntnisse sowie Wissenslücken in der Forschung wieder.
  • Eine ETH-Forscherin aus dem Energiebereich befürwortet durch Beitr?ge in den sozialen Medien eine spezifische Volksinitiative zur F?rderung erneuerbarer Energien mit Verweis auf Studien, die sie mitverfasst hat.
  • Ein ETH-Professor, der im Bereich der künstlichen Intelligenz forscht, wird von einem Wirtschaftsverband eingeladen, um bei einer ihrer Veranstaltungen über sein Forschungsthema zu referieren und dabei auch m?gliche regulatorische Aspekte der künstlichen Intelligenz zu diskutieren.

Engagement oder Mitgliedschaft in politischen Organisation oder Interessensgruppe

Aktivit?ten als wissenschaftliche:r Expert:in in politischen Organisationen oder Interessengruppen. Beispiele:

  • Ein ETH-Professor aus dem Bereich Mikrobiologie ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirats in einem Verein, der eine Volksinitiatitve lanciert, die den Einsatz von Antibiotika st?rker regulieren will.
  • Eine ETH-Forscherin, die zu Biodiversit?t forscht, beteiligt sich in ihrer Rolle als wissenschaftliche Expertin bei einer internationalen Umwelt-NGO.

Die Wissenschaft und die Politik spielen unterschiedliche gesellschaftliche Rollen. Die ?ffentliche Politikgestaltung muss nebst wissenschaftlicher Evidenz und Information notwendigerweise weitere Aspekte berücksichtigen, insbesondere gesellschaftliche Werte und Interessen. Aus wissenschaftlichen Erkenntnissen allein folgen nie direkt politische Handlungsanweisungen. Beispiele:

  • Die Wissenschaft kann untersuchen, ob bei der Organspende eine Widerspruchsl?sung die Anzahl potentieller Organspenden erh?ht. Weiter kann die Wissenschaft untersuchen, welche Auswirkungen so eine L?sung auf die Behandlung von Patient:innen haben kann, die auf ein Spenderorgan angewiesen sind. Ob aber eine solche L?sung eingeführt werden soll und wie diese konkret ausgestaltet wird, ist keine wissenschaftliche, sondern eine politische Frage. Ethische Fragen sowie pers?nliche Wertvorstellungen spielen dabei eine wichtige Rolle.
  • Die Erkenntnis, dass der Klimawandel nur begrenzt werden kann, wenn die Treibhausgasemissionen auf Netto-Null gesenkt werden, ist rein wissenschaftlich begründet. Die Entscheidung über die zu ergreifenden Massnahmen, um die Emissionen auf Netto-Null zu bringen, beispielsweise in Bezug auf die F?rderung bestimmter Technologien oder über die Besteuerung fossiler Energietr?ger, ist hingegen eine politische Frage. Denn bei solchen Entscheiden spielen unter anderem ?konomische und finanzielle ?berlegungen, aber auch Gerechtigkeitsvorstellungen und Fragen der politischen Machbarkeit eine Rolle. Die Wissenschaft kann weiter untersuchen, welche Massnahmen geeignet sind, um einen Beitrag zur Erreichung von Netto-Null zu leisten, sowie die Vor- und Nachteile einzelner Massnahmen (gemessen an verschiedenen Indikatoren). Wie diese Vor- und Nachteile zu gewichten sind und welche Massnahmen effektiv umgesetzt werden, kann aber nicht rein wissenschaftlich beantwortet werden.

In der Schweiz gelangt wissenschaftliche Expertise oft durch Umwege und über verschiedene Kan?le in den politischen Entscheidungsprozess. Beispiele:

  • Bundesverwaltung und ihre spezialisierten ?mter
  • Auftragsforschung der Bundesverwaltung (?Ressortforschung?)
  • Hochschulen durch die Ausbildung zukünftiger Entscheidungstr?ger:innen
  • Mandatierte nationale Aufgaben (z. B. ETH Zürich: Schweizerischer Erdbebendienst, Zentrum für Sicherheitsstudien, etc.)
  • Taskforces und Arbeitsgruppen (z. B. zu Covid-19)
  • Parlamentarische Hearings
  • Organisationen an der Schnittstelle Wissenschaft und Politik (Verb?nde, Think-tanks, etc.)
  • Evaluationen der ?ffentlichen Politik
  • Bottom-up Initiativen verschiedener Akteure in Forschung und Verwaltung
  • Informelle Politikberatung auf der Grundlage pers?nlicher Netzwerke

Die Leitlinien halten fest, dass Vertrauen und gegenseitiges Verst?ndnis zwischen politischen Entscheidungstr?ger:innen und Wissenschaftler:innen für die wissenschaftsbasierte Politikberatung wichtig sind. Zudem weisen sie darauf hin, dass wissenschaftsbasierte Politikberatung typischerweise interdisziplin?re Perspektiven erfordert. Beispiele:

  • Eine Mitarbeiterin eines Bundesamts muss einen parlamentarischen Vorstoss zu einzelnen klimapolitischen Massnahmen beantworten. Sie ruft dabei einen ETH-Forscher an, den sie gut kennt und dessen Einsch?tzung sie vertraut, und bittet ihn um eine Einsch?tzung.
  • W?hrend der COVID-19-Pandemie stand die Frage im Raum, ob und wie lange man Schulen schliessen sollte, um die ?bertragung des Virus entgegenzuwirken. Auf Anfrage des Eidgen?ssischen Departements des Innern erstellte die Swiss National Covid-19 Science Task Force interdisziplin?re Einsch?tzungen zu den positiven und negativen Auswirkungen verschiedener Massnahmen. Diese berücksichtigten nicht nur die ?bertragungswege des Virus, sondern auch Faktoren wie die Beeintr?chtigung des Lernfortschritts, der sozialen Entwicklung und der psychischen Gesundheit, was den Einbezug verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen erforderte.

Kontakte und gegenseitiges Vertrauen durch einen regelm?ssigen Austausch sind eine wichtige Grundlage für die wissenschaftsbasierte Politikberatung. ETH-Angeh?rige, die sich in der wissenschaftsbasierten Politikberatung einbringen wollen, werden darum ermutigt, schon vor diesem Engagement mit politischen Entscheidungstr?ger:innen in einen regelm?ssigen Austausch zu treten.

Das Science-Policy Interface der ETH Zürich unterstützt ETH-Angeh?rige durch verschiedene Dienstleistungen und Aktivit?ten dabei, mit politischen Entscheidungstr?ger:inne in Kontakt zu treten und zusammenzuarbeiten.

Beim Science-Policy-Engagement gibt es gewisse Risiken, die zu beachten sind. Wichtig sind insbesondere m?gliche Reputationsrisiken für die ETH Zürich sowie das Risiko, dass Forschungsresultate politisch instrumentalisiert werden, was insbesondere bei der Zusammenarbeit mit politisch klar verorteten Akteuren gegeben ist. Instrumentalisierung ist problematisch, wenn wissenschaftliche Befunde verkürzt oder einseitig dargestellt werden, um ein politisches Argument zu untermauern. Beispiel:

  • Beispiel für politische Instrumentalisierung: Ein politischer Verband nimmt eine bereits publizierte ETH-Studie und benutzt die Zahlen eines Szenarios, das in der Studie diskutiert wird, und verwendet diese, um für die eigenen Positionen zu werben. Dabei beziehen sie sich immer wieder auf die ETH-Studie, ohne die Resultate einzuordnen oder zu kontextualisieren. Andere Szenarien, die weniger zum Argument passen, werden nicht erw?hnt.

Folgende Massnahmen k?nnen unternommen werden, um Reputationsrisiken sowie das Risiko einer politischen Instrumentalisierung zu minimieren:

  • Forschungssicht von Meinungen trennen: Bei ?ffentlichen Auftritten, Interviews und ?hnlichem kann es helfen, verbal m?glichst klar zwischen der pers?nlichen Meinung und der Sichtweise der ETH Zürich als Institution zu trennen sowie zwischen Meinungs?usserungen und Aussagen, die die reine Forschungssicht widerspiegeln.
  • Timing und politischen Kontext beachten: Das Risiko einer politischen Instrumentalisierung von Studien und ?ffentlichen Auftritten ist in der Schweiz w?hrend der Zeitperiode vor einer Volksabstimmung h?her, insbesondere in den letzten ca. vier bis sechs Wochen vor der Abstimmung. In dieser Phase ist es ratsam, mit ?usserungen zum Abstimmungsthema vorsichtiger zu sein als zu anderen Zeitpunkten.
  • Framing von Forschungsarbeiten beachten: Bei Forschungsprojekten im Auftrag von politischen Entscheidungstr?ger:innen sollte sichergestellt werden, dass die potenziellen Forschungsergebnisse nicht durch ein zu enges Framing der Forschungsfrage, das der Auftraggeber vorgibt, vorweggenommen werden.
  • Zusammenarbeit mit parteilich klar verorteten Akteuren: Allgemein ist bei der Zusammenarbeit mit politisch klar verorteten Akteuren Vorsicht geboten. In Zweifelsf?llen sollte das Science-Policy Interface zurate gezogen werden.
  • Kommunikation: Bei Forschungsprojekten sollte die Handhabung der Kommunikation der Studie und deren Ergebnisse bereits zu Beginn festgelegt werden. Insbesondere bei parteilich verorteten Akteuren empfiehlt es sich, auf eine gemeinsame Kommunikation zu bestehen.
  • Resultate einordnen: Es steht den Forschenden frei sich selbst medial zu Studienresultaten, die instrumentalisiert werden, zu ?ussern, um die Resultate zu kontextualisieren.

Die Hochschulkommunikation der ETH Zürich unterstützt und ber?t Forschende zu allen Kommunikationsaktivit?ten gegenüber der ?ffentlichkeit und den Medien, sowie allgemeinen Fragen bezüglich der Reputation der ETH Zürich. Neben Beratung bietet die Hochschulkommunikation auch Kurse zum Thema Wissenschaftskommunikation an (siehe Communication Academy).

Für Unterstützung bei der Einsch?tzung potenzieller Risiken in der Zusammenarbeit mit politischen Entscheidungstr?ger:innen, steht Ihnen das Science-Policy Interface gerne zur Verfügung.

Die Leitlinien empfehlen, dass ETH-Angeh?rige in ihrer Politikberatung darauf achten, wie klar eingegrenzt ein Policy-Entscheid ist und ob klare Policy-Ziele definiert wurden. Je weniger dies der Fall ist, desto mehr empfehlen die Leitlinien, dass ETH-Angeh?rige in der Beratung keine konkreten Policy-Entscheide vorwegnehmen. Stattdessen sollten sie das Problemframing unterstützen, m?gliche Handlungsoptionen wissenschaftlich bewerten und in Zusammenarbeit mit politischen Entscheidungstr?ger:innen neue Handlungsoptionen entwickeln. Dies entspricht der Rolle des ?Honest Brokers?.1

Je st?rker Policy-Probleme eingegrenzt sind und klare politischen Zielvorgaben vorhanden sind, desto st?rker k?nnen ETH-Angeh?rige bei der wissenschaftsbasierten Politikberatung klare Empfehlungen bezüglich der zu pr?ferierenden Policy-Optionen abgeben. Beispiele:

  1. Beispiel für Honest Brokerin in einem Fall, in dem keine klaren Policy-Ziele definiert wurden: Die Schweizer Politik muss entscheiden, welche Massnahmen sie zur Pandemiebek?mpfung ergreift. Dabei muss sie den Gesundheitsschutz von Individuen, individuelle Freiheitsrechte und wirtschaftliche Auswirkungen von Massnahmen gegeneinander abw?gen. Die Politik hat aber kein klares Ziel definiert, wie sehr sie die Pandemie eingrenzen will. In so einem Fall empfiehlt es sich, dass die Wissenschaft sich nicht für konkrete Handlungsoptionen ausspricht, sondern die Auswirkungen verschiedener denkbarer Optionen aufzeigt. Ebenso kann sie die Politik beim Problemframing unterstützen und politische Entscheidungstr?ger:innen beim Entwickeln neuer Handlungsoptionen unterstützen.
    ETH-Angeh?rigen steht es offen, in so einem Beispiel eine andere Rolle als die des Honest Brokers einzunehmen. Sie k?nnen sich beispielsweise in ?ffentlichen ?usserungen oder in Gespr?chen mit politischen Entscheidungstr?ger:innen für konkrete Massnahmen zur Pandemiebew?ltigung aussprechen. Dies entspricht der Rolle des ?Issue Advocate?1. In solchen F?llen wird ihnen empfohlen, dass sie darauf achten, kommunikativ die wissenschaftliche Evidenz von ihren Werturteilen zu trennen. So k?nnen sie sicherstellen, dass ihre politische Meinung nicht für eine rein wissenschaftliche Tatsachenbeschreibung gehalten wird.
  2. Beispiel für eingegrenzten Fall mit klaren Zielvorstellungen: Die Politik m?chte ein System zur elektronischen Identifikation einsetzen, das m?glichst sicher und vertrauenswürdig ist. Wissenschaftler:innen werden nach einer Einsch?tzung gebeten, welche technischen L?sungen den definierten Ansprüchen am ehesten genügen

1 Für mehr Informationen zum ?Honest Broker?, ?Issue Advocate? und zu den unterschiedlichen Rollen, die Forschende im Science-Policy-Engagement einnehmen k?nnen, wird die folgende Publikation empfohlen: Pielke, R. A. (2007). Honest Broker: Making Sense of Science in Policy and Politics. Cambridge University Press.

Kontaktstelle bei Fragen

Bei Fragen zu den Leitlinien oder zum Science-Policy-Engagement allgemein k?nnen Sie sich gerne an das Science-Policy Interface Team der ETH Zürich wenden.

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