Ein grosser Schritt in der Gelenkforschung

?ber die Funktionsweise des Knies ist erstaunlich wenig bekannt. ETH-Professor Bill Taylor m?chte dies ?ndern: mit einer einzigartigen Technologie und einer 22 Meter langen Versuchsanlage. ?

Mann kniet am Boden und arbeitet.
Letzte Aufbauarbeiten: Das Videofluoroskop kommt schon bald bei ersten Studien zum Einsatz. (Bild: ETH Zürich / Michel Büchel)

?Das Knie ist das spannendste und gleichzeitig komplexeste Gelenk des menschlichen K?rpers?, sagt Bill Taylor, Professor für Bewegungsbiomechanik am Departement für Gesundheitswissenschaften und Technologie. ?Es gibt enorme Beschleunigungen, komplexe Bewegungsmuster und hohe Belastungen.? Seine Leidenschaft für dieses Gelenk hat er bereits vor 20 Jahren entdeckt. Und er hat sich zum ambitionierten Ziel gesetzt, die Funktionsweise des Knies vollumf?nglich zu verstehen: ?Nur wenn wir wissen, wie das Gelenk belastet wird und welche Bewegungsmuster existieren, k?nnen wir verstehen, warum ein Gelenk steif, Knorpel abgebaut wird oder Schmerzen entstehen.?

Um die Funktionsweise des Knies zu ergründen, setzen Bill Taylor und sein Team eine weiterentwickelte Technologie der Videofluoroskopie ein. Bei der Fluoroskopie werden Skelettstrukturen im menschlichen K?rper durch pulsierende R?ntgenstrahlen sichtbar gemacht. Taylor kombiniert diese Methode mit der Bewegungsanalyse mittels Hautmarker, Kraftmessplatten sowie der Messung der Muskelaktivit?t. Um das Knie beim Gehen und Treppensteigen verfolgen zu k?nnen, wurde am Institut für Biomechanik der ETH Zürich vor mehr als zehn Jahren ein automatisiertes bewegliches Fluoroskop entwickelt. Das bogenf?rmige R?ntgenger?t wurde dabei auf einen Roboter montiert, der den Bewegungen des Gelenks folgte. Beim Gehen einer Versuchsperson bewegte sich die ganze Apparatur mit und nahm bewegte R?ntgenbilder des Knies auf. Aus den zweidimensionalen Bildern k?nnen sp?ter dreidimensionale Rekonstruktionen und anatomische Modelle mit Muskeln und B?ndern des Knies erstellt werden. So l?sst sich erkennen, welche B?nder bei welcher Bewegung wie stark belastet werden, was wiederum wichtig ist, um die Entstehung von Schmerzen zu verstehen.

Einzigartige Messeinheit

Obwohl dieses ursprüngliche Ger?t viel genauere Messungen erm?glichte als bisherige Methoden, zeigten sich auch Schw?chen: Die Bilder wurden nur in einer Ebene mit geringer Aufl?sung aufgenommen, und aufgrund der Konstruktion konnte nur langsames Gehen untersucht werden. Darum wollen Taylor und sein Team das Ger?t weiterentwickeln. Die Vision: ?Wir wollen eine einzigartige Messeinheit auf dem neuesten Stand der Technik bauen?, sagt Taylor. Diese soll den Goldstandard setzen – nicht nur für die Grundlagenforschung, sondern auch für die klinische Beurteilung der Kniefunktionalit?t. Hier stellen sich viele Fragen: Wo soll man mit der Rehabilitation eines gesch?digten Gelenks ansetzen? Wann muss ein Gelenk ersetzt werden, und welches Implantat eignet sich für die betroffene Person am besten?

?Das Knie ist das spannendste und gleichzeitig komplexeste Gelenk des menschlichen K?rpers.?
Bill Taylor

Die Bewilligung eines F?rderantrags durch den Schweizerischen Nationalfonds war der Startschuss für die Entwicklung des neuen Dual-Plane-Videofluoroskops. Neben der innovativen Bildgebungseinheit mit zwei Ebenen verfügt das neue Ger?t über Elektromotoren, die extrem schnell beschleunigen und so das Knie zum Beispiel beim Treppensteigen im Sichtfeld der Bildgebungseinheit halten k?nnen. Zudem f?hrt das Tracking-Ger?t auf der Grundlage nur eines einzigen Markers, der ohne Verbindung zum Fluoroskop auf dem Knie des Probanden befestigt ist, sodass sich dieser frei bewegen kann.

Neuer Standort bringt Vorteile

Im Herbst 2023 zog Taylor mit seinem Team vom bisherigen Standort am 中国足球彩票 H?nggerberg in den ETH-Neubau GLC im Zentrum von Zürich. Der Transport und der Aufbau des neuen Fluoroskops waren eine grosse Herausforderung und setzten eine lange Planung voraus. Um die volle Funktion des Systems gew?hrleisten und alle Sicherheitsvorschriften einhalten zu k?nnen, musste das Betonfundament des Labors im Untergrund des Forschungsgeb?udes eigens für die 22 Meter lange Versuchsanlage entworfen und gebaut werden.

Mit dem Neubau im Gloriarank (GLC) schafft die ETH Zürich im Hochschulgebiet Zürich Zentrum ein modernes Entwicklungs- und Laborgeb?ude, in dem Lehre, Forschung und Translation in den Bereichen Gesundheit, Medizin und Medizintechnik zusammenfinden. Die Realisierung wurde durch eine grosszügige Donation der M?xi-Stiftung erm?glicht.

Die N?he zu Kliniken und anderen Forschungseinrichtungen bringt Bill Taylor viele Vorteile: ?Wir arbeiten sehr eng mit der Schulthess Klinik zusammen, sie hat uns unter anderem bei der Konstruktion des neuen Ger?ts unterstützt.? Auch mit der Universit?tsklinik Balgrist, dem Universit?tsspital Zürich und dem Kantonsspital Baden gibt es gemeinsame Projekte. Das Fluoroskop wird am neuen Standort erstmals für eine Studie mit gesunden Probandinnen und Probanden eingesetzt – mit dem Ziel, Standarddaten für den Zustand intakter Knie zu entwickeln. Diese sollen sp?ter als Referenz für andere Studien dienen, so etwa für ein laufendes Innosuisse-Projekt, das Studienteilnehmende mit künstlichen Kniegelenken untersuchen wird und Erkenntnisse für die zukünftige Entwicklung von Implantaten liefern soll.

Bill Taylor denkt aber bereits viel weiter: Er m?chte die heute schon niedrigen Strahlungswerte der bildgebenden Ger?te noch weiter reduzieren. So liesse sich die Technologie nicht nur auf periphere Gelenke wie das Knie anwenden, sondern auch auf sensiblere K?rperteile wie die Schulter oder die Wirbels?ule. Erste Kliniken melden bereits Interesse.

Zur Person

Bill Taylor ist Professor für Bewegungsbiomechanik am Departement für Gesundheitswissenschaften und Technologie der ETH Zürich.

?Globe? Mensch im Mittelpunkt

Globe 23/04 Titelblatt:

Dieser Text ist in der Ausgabe 23/04 des ETH-????Magazins Globe erschienen.

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