Andere Wege für das Abwasser

Die Wasserwirtschaft mit Kanalisation und zentralen Kl?ranlagen ist nicht mehr zukunftsf?hig und global keine L?sung. Umweltingenieurinnen und -ingenieure der ETH Zürich und der Eawag bereiten den Weg zu einer dezentraleren und kreislauff?higen Wasserinfrastruktur.

Röhre in der Kanalisation
Trennkanalisation unter der Bahnhofstrasse in Zürich: Die Kan?le transportieren Schmutzwasser zur Kl?ranlage. ?ber das Rohr wird Regenwasser abgeführt. (Bild: Max Maurer / ETH Zürich)

Aus den Augen, aus dem Sinn – und so rasch wie m?glich aus den Siedlungen heraus. Seit es Kanalisationen gibt, schwemmen wir unsere Ausscheidungen mit viel frischem Wasser aus H?usern und St?dten. Die moderne Wasserwirtschaft z?hlt zu den grossen Errungenschaften des vergangenen Jahrhunderts. Sie versorgt uns mit sauberem Trinkwasser, entsorgt und reinigt das Abwasser und leitet das Regenwasser aus den Siedlungen ab. ?So verschafft sie uns trockene Füsse und hygienische Verh?ltnisse – zwei Pfeiler der ?ffentlichen Gesundheit in dicht besiedelten St?dten?, sagt Max Maurer, Professor für Systeme in der Siedlungswasserwirtschaft an der ETH Zürich und der Eawag, dem Wasserforschungsinstitut des ETH-Bereichs.

Um das zu erm?glichen, haben Industriel?nder wie die Schweiz eine gewaltige Infrastruktur aufgebaut. Hierzulande bel?uft sich ihr Wert auf gut 230 Milliarden Franken. Sie besteht aus rund 200 000 Kilometer Trink- und Abwasserleitungen, die aneinandergereiht fünf Mal um die Erde reichen. Und aus einem weit verzweigten Netz an unterirdischen Kan?len, welche die Abw?sser zu knapp 800 zentralen Reinigungsanlagen transportieren.

Dieser Ansatz der Wasserwirtschaft hat sich in Industriel?ndern bew?hrt und galt auch w?hrend Jahrzehnten als Massstab für den Rest der Welt. ?Doch unser konventionelles Wassermanagement ist nicht zukunftsf?hig und st?sst zusehends an seine Grenzen?, h?lt Maurer fest.

Vom Abfall zum Wertstoff

Auch Kai Udert, Professor am Institut für Umweltingenieurwesen an der ETH Zürich und Senior Scientist an der Eawag sieht den konventionellen Ansatz kritisch: ?Dass wir Kot, Urin und leicht verschmutztes Grauwasser aus Bad und Küche mit Trinkwasser verdünnen, um sie durch die Kanalisation zu transportieren, ist eigentlich absurd?.

Udert ist Experte für Verfahrenstechnik und sieht Abwasser nicht als stinkige Entsorgungsfracht, sondern als wertvolle Ressource, die es zu erschliessen gilt. Eing?ngig legt er dar, warum er den konventionellen Ansatz nicht mehr für zeitgem?ss erachtet: ?Das Abwasser ist einer der letzten linearen Abfallstr?me. Alles, ob schmutzig oder sauber, landet im selben Topf und wird entsorgt – das ist ineffizient und schafft etliche Probleme, die man seit Jahren zu beheben sucht.? Unter anderem verschwendet das System viel Wasser, Energie und wertvolle N?hrstoffe, die verloren gehen und die Umwelt sch?digen, wenn wir sie nicht in den Kreislauf zurückführen.

Porträtfoto von Max Maurer
?Unser konventionelles Wassermanagement ist nicht zukunftsf?hig.?
Porträtfoto von Max Maurer
Max Maurer

Derweil nehmen die Herausforderungen zu: der Klimawandel, eine schnell alternde Infrastruktur, die wachsende Bev?lkerung, die zunehmende Verst?dterung und nicht zuletzt die steigenden Anforderungen für Kl?ranlagen, neue Mikroverunreinigungen zu entfernen – das alles setzt die Abwasserwirtschaft unter Druck.

Maurer und Udert fordern ein Umdenken. Sie pl?dieren für einen Paradigmenwechsel in der Siedlungswasserwirtschaft: weg von wenigen zentralen Anlagen und hin zu einer dezentral organisierten Abwasserbehandlung auf Basis einer modularen Wasserinfrastruktur, um das Siedlungswasser effizienter und effektiver zu bewirtschaften.

Recycling an der Quelle

Maurer erkl?rt: ?Wir sehen als erg?nzende Alternative kleine, hocheffiziente, dezentrale Kl?ranlagen, die Abw?sser flexibler und vor Ort reinigen.? Die Verfahren, die für solche Klein-Anlagen verwendet werden k?nnten, werden seit Jahren an der Eawag von Udert und Maurer entwickelt. Die Forschenden orientieren sich dabei an drei Prinzipien, die auf eine ressourcenorientierte und kreislauff?hige Sanit?rversorgung abzielen:

Stofftrennung an der Quelle (No-Mix): Werden Ausscheidungen und Wasser gar nicht erst vermischt, lassen sie sich viel einfacher aufbereiten und wiederverwenden.
Rückgewinnung von Ressourcen: Aus Urin und F?kalien lassen sich N?hrstoffe wie Stickstoff oder Phosphor gewinnen. Das als Grauwasser bezeichnete Abwasser aus Küche, B?dern oder Waschmaschinen ist nur leicht verschmutzt und wird mehrfach aufbereitet und wiederverwendet. W?rmeenergie wird zurückgewonnen. Werden die N?hrstoffe als Dünger auf die Felder gebracht, schliessen sich N?hrstoffkreisl?ufe, was die Umwelt entlastet und die Importabh?ngigkeit von mineralischen Dünger senkt.
Dezentralisierung will den aufwendigen Wassertransport in zentral organisierten Leitungsnetzen ersetzen und bedingt, dass die Abw?sser und Abf?lle so nah wie m?glich an der Quelle aufbereitet werden.

Im Keller des NEST, des Forschungs- und Innovationsgeb?udes der Empa und Eawag, entwickeln und testen die Forschenden die neuen Abwassertechnologien. Die verwendeten Verfahren gehen dabei zum Teil auf Forschungsprojekte zurück, die vor über 15 Jahren starteten, um netzunabh?ngige Sanit?rl?sungen für L?nder des globalen Südens zu entwickeln. Bekannte Beispiele sind die Projekte Vuna und Blue Diversion Autarky, die L?sungen erarbeiteten, um Abw?sser ohne Schwemmkanalisation und zentrale Kl?ranlage sicher und kostengünstig zu entsorgen.

Porträrfoto von Kai Udert
?Das Abwasser ist einer der letzten linearen Abfallstr?me.?
Porträrfoto von Kai Udert
Kai Udert

Vuna steht für ?Valorisation of Urine Nutrients in Africa?. Bei dieser Methode, die die ETH Zürich mitentwickelte, wird Urin separat gesammelt und in einer entfernten Behandlungsanlage zu Dünger aufbereitet. Aus dem zweiten Projekt ging die ?Blue Diversion Autarky Toilette? hervor: Das All-in-one-H?uschen bereitet Urin, F?kalien und Spülwasser direkt in der Toilette in getrennten Modulen auf, wobei das Spülwasser wiederverwendet wird.

Biogasreaktor und Pasteurisator

Wie gross der Bedarf an grundlegend neuen Konzepten für dezentrale Sanit?rsysteme ohne Wasseranschluss in vielen Regionen der Welt ist, weiss Elizabeth Tilley nur zu gut. Als junge Wissenschaftlerin war sie an der Eawag und doktorierte in dem von Udert geleiteten N?hrstoffrecycling-Projekt Vuna in Südafrika. Heute ist sie Professorin für Global Health Engineering an der ETH Zürich und entwickelt mit ihrer Gruppe bezahlbare und sozial vertr?gliche Ans?tze, welche die menschliche Gesundheit und die Umwelt schützen.

Etwa 2,3 Milliarden Menschen nutzen Sanit?rtechnologien wie Grubenlatrinen als erste Barriere gegen Krankheitserreger. Die Latrinen müssen jedoch regelm?ssig geleert werden, und hier beginnt das Problem: Bleibt der Schlamm unbehandelt oder gelangt er in die Umwelt, k?nnen sich Infektionskrankheiten wie Cholera ausbreiten.

Darum braucht es dringend dezentrale L?sungen, die erschwinglich, robust und einfach zu bedienen sind. Vielversprechend ist ein ?Biogasreaktor? – im Wesentlichen ein grosser Gummiballon, der F?kalschlamm ohne Sauerstoff bis zu einem gewissen Grad behandeln kann. Doch das Abwasser ist noch nicht sicher entsorgbar. Immerhin entsteht bei diesem anaeroben Prozess als Nebenprodukt ein methanreiches Gas – dieses Biogas eignet sich wie Propan oder Erdgas zum Kochen.

Zusammen mit der kenianischen Ingenieurfirma Opero und einem mexikanischen Anbieter von Biogasreaktoren machten sich Tilley und ihr Team daran, Biogas aus Kl?rschlamm als Treibstoff für eine Anlage zu verwenden, die das Abwasser soweit erhitzen kann, dass alle Krankheitserreger absterben. Das Projekt wurde von ETH for Development (ETH4D) finanziell unterstützt.

Porträtfoto von Elizabeth Tilley
?Etwa 2,6 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu sicheren sanit?ren Einrichtungen.?
Porträtfoto von Elizabeth Tilley
Elizabeth Tilley

Julia J?ggi, Masterstudentin am Departement Maschinenbau und Verfahrenstechnik, verbrachte drei Monate in Kisumu am Ufer des Viktoriasees, um einen solchen ?Pasteurisator? für etwa 500 Menschen zu entwickeln und zu testen. ?Engineering im Labor ist das eine – aber dieser Einsatz stellte unsere Flexibilit?t und Kreativit?t ultimativ auf die Probe; t?glich mussten wir spontan Probleme l?sen und das Beste aus den vorhandenen Mitteln machen?, so J?ggi. Tilley ist zuversichtlich, dass ihr Sanit?rsystem bald verfügbar wird und helfen kann, Infektionskrankheiten zu vermeiden.

Know-how fliesst zurück

Es steht ausser Frage: Wasser wird die grosse globale Herausforderung der Zukunft sein. Auch in der Schweiz werden wir mit der Ressource Wasser intelligenter und haush?lterischer umgehen müssen. ?Die Konzepte, die wir vor 15 Jahren für ?rmere L?nder entwickelt hatten, werden nun zusehends auch für die Schweiz interessant. Von diesem Wissen profitieren wir heute?, sagt Udert.

Maurer und Udert gehen davon aus, dass modulare Kl?ranlagen in Siedlungen und Kleinreaktoren fürs Abwasser in H?usern schon bald verfügbar werden. Das Forschungsprojekt Comix unter Maurers Co-Leitung untersuchte kürzlich das Potenzial einer modularen Wasserwirtschaft für die Schweiz. Der Anteil dezentraler Kl?rwerke k?nnte sich demnach langfristig von heute 2,5 auf 50 Prozent erh?hen.

Mehr noch: Die Schweiz h?tte die Chance, ihre Wasserinfrastruktur früh klimatauglich zu gestalten und sich als Entwicklungs- und Testmarkt für die modulare Wasserwirtschaft von morgen zu positionieren. Tats?chlich verfügt das Land mit den Institutionen des ETH-Bereichs, den Fachhochschulen und der Industrie seit Jahren über enorme Kompetenzen in allen Fragen der Wasserwirtschaft. ?Nur werden diese Kompetenzen bislang kaum genutzt?, so Maurer.

N?tig w?re ein konzertierter Effort von Forschung, Industrie und ?ffentlichem Sektor, um in Pilotprojekten die Machbarkeit zu demonstrieren und einen initialen Markt zu schaffen. ?Die Verfahren, das Know-how und finanzielle Mittel w?ren jedenfalls vorhanden?, best?tigt auch Udert.

Zu den Personen

Max Maurer ist Professor für Systeme in der Siedlungswasserwirtschaft am Departement Bau, Umwelt und Geomatik der ETH Zürich und Leiter der Abteilung Siedlungswasserwirtschaft an der Eawag.

Elizabeth Tilley ist Professorin für Global Health Engineering am Departement Maschinenbau und Verfahrenstechnik der ETH Zürich.

Kai Udert ist Titularprofessor am Lehrstuhl für Verfahrenstechnik in Siedlungswasserwirtschaft am Departement Bau, Umwelt und Geomatik der ETH Zürich und Senior Scientist an der Eawag.

 

?Globe? Wasser

Globe 23/02 Titelblatt: Vier Arme spielen mit Eiswürfeln

Dieser Text ist in der Ausgabe 23/02 des ETH-????Magazins Globe erschienen.

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