Wissen, wo Erdbeben schaden

Der Schweizerische Erdbebendienst an der ETH Zürich hat soeben das erste Erdbebenrisikomodell für die Schweiz vorgestellt. Es zeigt, wie sich hierzulande Erdbeben auf Menschen und Geb?ude auswirken.

Altes schwarz-weiss Bild wie drei Männer Trümer von der Strasse fegen.
M?nner beseitigen in Sion, Wallis, Sch?den und Trümmer, welche durch das Erdbeben im Januar 1946 verursacht wurden. (Bild: Keystone / Photopress-Archiv / Walter Studer)

Angenommen, zehn Kilometer nord?stlich der Stadt Zürich ereignet sich irgendwann in der Zukunft ein Erdbeben mit einer Magnitude von 6. Das w?re ein massives, schadenbringendes Erdbeben, das in der ganzen Schweiz zu spüren w?re und allein im Kanton Zürich mehrere tausend Geb?ude besch?digen würde, nicht zu sprechen von hunderten m?glichen Todesopfern und tausenden Menschen, die ihr Obdach verl?ren und selbst ein Jahr nach dem Beben noch immer in Notunterkünften hausten.

Ein solches Szenario ist nicht ausgeschlossen, und es stammt auch nicht aus dem Drehbuch eines Katastrophenfilms. Es basiert auf dem neuen Erdbebenrisikomodell für die Schweiz, das heute Dienstag in Bern der ?ffentlichkeit vorgestellt wurde.

Erstes Erdbebenrisikomodell erstellt

?Bisher wussten wir wenig darüber, welche Auswirkungen Erdbeben in der Schweiz haben k?nnten?, sagt Stefan Wiemer, Direktor der Schweizerischen Erdbebendienstes (SED) an der ETH Zürich. Der SED erstellte deshalb zusammen mit dem Bundesamt für Umwelt und dem Bundesamt für Bev?lkerungsschutz im Auftrag des Bundesrates erstmals ein Erdbebenrisikomodell.

Das Risikomodell zeigt, wie sich schadenbringende Erdbeben auf Menschen und Geb?ude auswirken. Dazu kombinierten die Seismolog:innen Informationen zur Erdbebengef?hrdung, zum Einfluss des lokalen Untergrunds, zur Verletzbarkeit von Geb?uden sowie zu den betroffenen Personen und Sachwerten. Das neue Modell erg?nzt die Gef?hrdungskarte, die der SED vor einigen Jahren ver?ffentlichte. Diese zeigt auf, wie oft und wie stark die Erde an bestimmten Orten in Zukunft beben k?nnte. Das Erdbebenrisikomodell ist grunds?tzlich frei verfügbar und soll den Beh?rden helfen, fundierte Entscheide im Bereich Erdbebenvorsorge und Ereignisbew?ltigung zu treffen.

Mittelland-St?dte mit hohem Risiko

Gem?ss dem neuen Risikomodell werden die meisten Geb?udesch?den in den Kantonen Bern, Wallis, Zürich, Waadt und Basel-Stadt erwartet. Am gr?ssten ist das Risiko in den St?dten Basel, Genf, Zürich, Luzern und Bern (in dieser Reihenfolge). Zwar unterscheidet sich die Erdbebengef?hrdung in diesen Regionen, aber wegen ihrer Gr?sse w?ren in diesen fünf St?dten viele Menschen und Sachwerte von einem Erdbeben betroffen. Zudem verfügen diese St?dte über etliche, teils besonders verletzliche Geb?ude, die oft auf einem weichen Untergrund stehen, der Erdbebenwellen verst?rkt.

Vergr?sserte Ansicht: Grafik, Erdbebenrisikokarte der Schweiz. Gebiete mit hohem Risiko sind rot eingefärbt, Gebiete mit tiefen Risiko hellblau.
Erdbebenrisikokarte der Schweiz. Dunkelrote Zonen: sehr hohes Risiko, hellblaue Gebiete: sehr tiefes Risiko. (Grafik: Schweizerischer Erdbebendienst SED)

Hohe Schadenssumme zu erwarten

Die Expert:innen des SED erwarten aufgrund ihrer Modellrechnungen, dass schadenbringende Erdbeben in der Schweiz über einen Zeitraum von 100 Jahren allein an Geb?uden und dem darin enthaltenen Mobiliar einen wirtschaftlichen Schaden von 11 bis 44 Milliarden Schweizer Franken verursachen k?nnen. Insgesamt würden etwa 150 bis 1600 Menschen sterben und sch?tzungsweise 40’000 bis 175’000 obdachlos werden.

Hinzu kommen Sch?den und Verluste durch Hangrutschungen, Br?nde oder Betriebsunterbrüche, die durch das Erdbeben ausgel?st werden. Diese sind noch nicht im Modell berücksichtigt. Das Erdbebenrisiko verteilt sich dabei nicht gleichm?ssig über die Zeit, sondern wird durch seltene, katastrophale Ereignisse dominiert, die meistens ohne Vorwarnung auftreten.

Mit dem neuen Risikomodell l?sst sich zudem auch veranschaulichen, wie sich historische Schadensbeben auf die heutige Schweiz auswirken würden. Das Basler Beben von 1356 würde heute zu etwa 3000 Toten und Geb?udesch?den im Umfang von 45 Milliarden Schweizer Franken führen.

Schadenszenarien für Kantonshauptorte

Weil schwere Erdbeben grunds?tzlich überall auftreten k?nnen, stellt der SED für jeden Kantonshauptort und eine weitere Ortschaft ein separates Szenario für ein schadenbringendes Beben mit einer Magnitude von 6 bereit. Ein solches Erdbeben ereignet sich durchschnittlich alle 50 bis 150 Jahre irgendwo in der Schweiz oder im grenznahen Ausland. Die insgesamt 49 Szenarien sollen die Beh?rden und die Bev?lkerung sensibilisieren und sie dabei unterstützen, sich besser auf schadenbringende Erdbeben in der Zukunft vorzubereiten.

Bei der Entwicklung des Erdbebenrisikomodells legten die Forschenden ihren Schwerpunkt auf die Aufbereitung der Datengrundlagen. Sie simulierten über drei Millionen Erdbeben, die sich in der Schweiz und im grenznahen Ausland ereignen k?nnten. Die mehr als zwei Millionen Wohn-, Gesch?fts- und Industriegeb?ude in der Schweiz wurden in verschiedene Kategorien der Verletzbarkeit eingeteilt, um die m?glichen Sch?den infolge von Erdbeben modellieren zu k?nnen. Darüber hinaus lieferten verbesserte Daten zum Untergrund ein deutlich besseres Bild der lokalen Auswirkungen.

Trotz verbesserter Daten k?nnen die tats?chlichen Folgen aufgrund der vielen Modellunsicherheiten jedoch stark von den berechneten Szenarien abweichen. Um diese Unsicherheiten zu verkleinern und damit die Modellaussagen zu verbessern, werden die Seismolog:innen das Erdbebenrisikomodell in den n?chsten Jahren weiterentwickeln.

Erdbebendienst und Bund arbeiten zusammen

An der Erarbeitung des Risikomodells haben sich neben dem Schweizerischen Erdbebendienst (SED) an der ETH Zürich auch das Bundesamt für Umwelt (Bafu), das Bundesamt für Bev?lkerungsschutz, die EPFL und Partner aus der Industrie beteiligt. Das Erdbebenrisikomodell ist Teil des Massnahmenprogramms des Bundes zur Erdbebenvorsorge, welches das Bafu koordiniert. Das Programm hat zum Ziel, ein umfassendes Erdbebenrisikomanagement auf Bundesebene sicherzustellen. Somit tragen die Erkenntnisse aus dem Erdbebenrisikomodell zur nationalen Risikoanalyse und zu den Vorsorgeplanungen auf Stufe Bund und Kantone bei. Zudem dient das nationale Erdbebenrisikomodell der Schadenorganisation Erdbeben (SOE), die derzeit aufgebaut wird, als wichtiges Element für die Planung und Durchführung ihrer Arbeit. Die SOE wird nach einem Erdbeben die zu erwartenden Kosten aufgrund von Geb?udesch?den absch?tzen, damit rasch mit dem Wiederaufbau gestartet werden kann.

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