Vom Molekül zum Organismus

Wie entstand Leben auf der Erde? Wie konnte es sich erhalten und weiterentwickeln? ETH-Forschende sind auf der Suche nach Antworten auf diese grossen Fragen.

Bild aus vielen Puzzleteilen, in dem einige einzeln umherfliegen. In der Mitte sind 4x2 Stangen aus Puzzleteilen
Das wachsende Amyloid dient als Vorlage für sich selbst: Aminos?uren (farbige Bausteine) lagern sich am richtigen Ort an. (Bild: ETH Zürich / Lukas Frey)

Seit jeher suchen Menschen nach Antworten auf die Frage, wie das Leben auf der Erde entstanden ist. Frühere Kulturen erkl?rten sich die Entstehung der Erde und den Ursprung des Lebens durch das Wirken von G?ttern und Gottheiten. Die Wissenschaft geht anders an diese Frage heran. Generationen von Forschenden haben basierend auf den Grundgesetzen von Physik, Chemie und Biologie Theorien und Hypothesen über den Ursprung des Lebens aufgestellt – und mittlerweile auch viel Wissen angesammelt.

?Dass wir solchen Fragen nachgehen, ist in unserer westlichen Welt tief verankert. Es ist eine wissenschaftlich gestellte Glaubensfrage?, sagt Roland Riek, Professor für Physikalische Chemie der ETH Zürich. Er setzt sich in seiner Forschung unter anderem mit der Frage auseinander, welche chemischen Bausteine, die es für die Entstehung von Leben braucht, zuerst vorhanden waren.

Die Chemie musste stimmen

Für Riek sprechen viele Indizien dafür, dass die erste chemische Welt, ein paar hundert Millionen Jahre nach der Geburt der Erde, aus Aminos?uren und daraus mittels Vulkangas entstandenen Peptiden bestanden haben muss. Sie seien stabil und hielten ziemlich hohe Temperaturen aus. Zudem sind Aminos?uren relativ einfach zu erschaffen, was andere Forscher mit ?Ursuppen-Experimenten? zeigten. Aminos?uren findet man auch auf Meteoriten, im Verh?ltnis dazu jedoch kaum Bausteine von Ribonukleins?uren (RNA), welche die meisten Wissenschaftler:innen als die ersten chemischen Verbindungen betrachten, die die Grundlage des Lebens auf der Erde bildeten.

?Peptide haben die gleichen F?higkeiten wie Ribonukleins?uren: Sie k?nnen sich selbst vervielf?ltigen, ohne dass dafür allerdings die hohe Pr?zision der RNA-Vervielf?ltigung erforderlich ist. Wie RNA haben sie sowohl die F?higkeit zur Speicherung und Weitergabe von Informationen als auch dazu, katalytisch aktiv zu sein?, betont Riek, der in seinem Labor unter anderem erforscht, wie aus einfach aufgebauten Peptiden Amyloide werden. Amyloide sind sehr z?he, kaum mehr aufl?sbare Molekülkomplexe, die sich aus den immer gleichen Peptiden zusammensetzen – und solche Peptidkomplexe k?nnen Informationen speichern, weitergeben und wie Kristalle wachsen.

Amyloide k?nnen zudem leicht an RNA-Moleküle binden. ?Daher ist für mich klar, was am Anfang gewesen sein k?nnte: Aminos?uren, Peptide und schliesslich Amyloide, die irgendwann auf RNA getroffen sind und sich mit ihnen verbunden haben?, erkl?rt Riek. ?Aus dieser Verbindung entwickelte sich im Lauf der Zeit die Erbinformation?.

Roland Riek
?Die erste chemische Welt bestand vermutlich aus Aminos?uren und Peptiden.?
Roland Riek
Roland Riek

Ein solches Treffen der chemischen Grundbausteine k?nnte in hydrothermalen Schloten in der Tiefsee oder in einem urzeitlichen Gezeitentümpel, in dem sich durch Verdunstung Moleküle aufkonzentrieren konnten, stattgefunden haben. Die hohen Konzentrationen führten zur spontanen Synthese komplexerer Moleküle. ?Im offenen Ozean wird das nicht passieren, weil die Verdünnung viel zu gross ist?, gibt der Forscher zu bedenken.

Weg zur ersten Zelle

Wie es jedoch zur Bildung einer ersten Zelle kam, wissen Forschende nur ansatzweise. ?Darüber haben wir nur sehr wenige Informationen?, sagt Riek, der auch Physik und Biologie als fachlichen Hintergrund hat.

Zentral scheint jedoch zu sein, dass sich in der molekülreichen Ursuppe geschlossene Kompartimente formieren konnten, und dafür brauchte es Fetts?uren. Solche Vorg?nger von Lipiden k?nnen sich spontan zu Membranen zusammenlagern und kleine Bl?schen bilden – von der Ursuppe abgetrennte Reaktionsgef?sse also, in denen Substanzen und Moleküle noch st?rker aufkonzentriert werden. Ein solches Vesikel begünstigt und beschleunigt chemische Reaktionen um ein Vielfaches.

Von primitiv zu komplex

?Die Vesikelbildung war wohl auch der Schlüssel für die Entstehung von Einzellern, in denen sich komplexere Moleküle wie RNA weiter vervielf?ltigen konnten und in denen sich ein Stoffwechsel entwickelte, der genügend Energie erzeugt, um die Vervielf?ltigungsprozesse zu beschleunigen, und die Weitergabe genetischer Information verbesserte?, erg?nzt Martin Pilhofer, Professor am Institut für Molekularbiologie und Biophysik der ETH Zürich.

?Wie lange diese Phase dauerte, ist unklar. Je weiter wir in der Erdgeschichte zurückgehen, desto unsicherer werden unsere Hypothesen und Erkenntnisse?, sagt Pilhofer. Auch das Auftreten der ersten Einzeller l?sst sich nicht genau festmachen. Gesch?tzt wird, dass sie vor rund 3,5 bis 4 Milliarden Jahren in Erscheinung traten, wie fossile Bakterien belegen. Mit Sicherheit war die Erde vor 3 Milliarden Jahren belebt.

Wahrscheinlich ist, dass die ersten Einzeller an Orten mit externer Energieversorgung entstanden – also im Umfeld von hydrothermalen Schloten in der Tiefsee oder von heissen Quellen, wie es sie beispielsweise im Yellowstone-Nationalpark gibt. Erst durch die Entwicklung eines eigenen Stoffwechsels gelang es den Einzellern, sich von der externen Energiequelle unabh?ngig zu machen und neue Lebensr?ume zu erobern.

Urahn aus der Tiefsee

Im Umfeld von solchen Unterseeschloten k?nnten sich einzellige Lebewesen früh in unterschiedliche Richtungen entwickelt haben: ?Wir vermuten, dass sich an solchen extremen Orten ursprüngliche Einzeller bald nach ihrer Entstehung in Bakterien und Archaeen aufspalteten?, sagt Mikrobiologe Pilhofer.

Bakterien und Archaeen, früher auch als Archaebakterien oder Urbakterien bezeichnet, sind meist einzellige Organismen ohne Zellkern. Sie bilden im phylogenetischen Stammbaum zwei grosse Dom?nen. Eine dritte Dom?ne stellen die Eukaryonten dar. Eukaryonten haben im Gegensatz zu Bakterien und Archaeen einen Zellkern, in welchem die Erbsubstanz DNA gehortet wird. Eine weitere Eigenheit von Eukaryonten sind zudem die durch Membranen abgetrennten Zellkompartimente wie Mitochondrien oder Chloroplasten.

Forschende suchen schon lange nach Erkl?rungen dafür, wie aus bakteriellen oder archaeellen Mikroben Eukaryonten hervorgehen konnten. Viele Wissenschaftler:innen halten es für m?glich, dass eine Wirtszelle ein Bakterium ?geschluckt? hat. Dieses hat sich im Laufe der Zeit zum Mitochondrium, dem Kraftwerk von Eukaryonten, weiterentwickelt. ?Dass es ein solches Ereignis gegeben hat, ist unumstritten?, sagt Pilhofer. Ein weiteres solches Ereignis dürfte auch dazu geführt haben, dass ein photosynthetisch aktives Cyanobakterium in eine Zelle aufgenommen wurde und zum Chloroplasten wurde, der in grünen Pflanzen und Algen Photosynthese betreibt.

Welches diese Wirtszelle – der Urahn der Eukaryonten - gewesen sein k?nnte, ist hingegen nicht klar. Nun aber lüftet sich der Schleier: Vor wenigen Jahren publizierten Wissenschaftler:innen neue Erkenntnisse über eine ursprüngliche Gruppe von Archaeen, die erst kürzlich entdeckt wurde.

Sie stammen von einem thermalen Tiefseeschlot namens Loki’s Castle. Das Hydrothermalfeld, wo 300 Grad Celsius heisses Wasser aus den Gesteinskaminen str?mt, wurde erst 2008 im Nordatlantik in 2300 Metern Tiefe gefunden. Schwedische Forschende nahmen Sedimentproben und analysierten das darin enthaltene genetische Material. Damit konnten sie die Genome von unbekannten Organismen rekonstruieren. ?Diese Erkenntnisse haben die Sichtweise auf den Stammbaum des Lebens revolutioniert?, betont Pilhofer.

Denn die Genome deuteten auf eine neue Gruppe von Archaeen hin, die in Anlehnung an den Fundort Loki’s Castle zuerst als Loki-Archaeen bezeichnet wurden, sp?ter aufgrund weiterführender genomischer und morphologischer Untersuchungen als Klasse der Asgard-Archaeen eingeteilt wurden.

Diese neu beschriebenen Mikroorganismen liessen den Schluss zu, dass Eukaryonten nicht eine eigene Dom?ne sind, sondern eine Unterdom?ne der Asgard-Archaeen. Den Grund dafür erkl?rt Martin Pilhofer so: ?Das Genom der Asgard-Archaeen enth?lt einige Gene, die wir typischerweise nur aus Eukaryonten kennen. Ein prominentes Beispiel ist das Gen, welches die Erbinformation für das Zytoskelettprotein Aktin tr?gt. Das heisst, die Archaeen verfügen über Proteine, die wir bisher nur in Eukaryonten gefunden haben.?

Der Mikrobiologe mit Spezialgebiet Zytoskelette hat denn auch eine m?gliche Erkl?rung, wie die ursprüngliche Asgard-Archaee sich das Bakterium schnappen konnte: dank Tentakeln, die durch Aktin gestützt werden. Damit erkunden sie ihre Umgebung und treten mit anderen Organismen in Austausch.

Da Archaeen und Bakterien an solch extremen Orten oft in dicht gepackten, artenreichen biologischen Rasen (engl. biological mats) wachsen, finden unz?hlige Interaktionen zwischen Individuen und unterschiedlichen Arten statt. Mit den Tentakeln k?nnte ein Asgard-Archaeum schliesslich das fragliche Bakterium umschlossen und sich einverleibt haben. ?Es dürfte also eine urzeitliche Asgard-Archaee gewesen sein, die ein Bakterium aufgenommen hat und den Grundstein legte für die Entwicklung eukaryontischer Zellen?, erkl?rt Pilhofer.

Mit seiner Gruppe ist er daran, hochaufgel?ste Elektronenmikroskopiebilder von den Asgard-Archaeen zu machen. Auf den bisherigen Bildern kann er nicht gut genug beurteilen, ob diese Organismen ein Zytoskelett haben. Auch wollen die ETH-Forschenden kl?ren, wie die Zellmembran der Asgard-Archaeen aussieht und ob es in diesen Zellen ein spezielles inneres Membransystem gibt. ?Diese Forschung hilft uns, besser zu verstehen, wie sich eine Wirtszelle, die einst mit einem Bakterium verschmolzen ist, zu einer komplexen eukaryontischen Zelle weiterentwickelt hat?, sagt Pilhofer.

Zu den Personen

Roland Riek ist Professor für Physikalische Chemie am Departement Chemie und Angewandte Biowissenschaften und Co-Direktor des Centre for Origin and Prevalence of Life (COPL) der ETH Zürich.

Martin Pilhofer ist Professor für Kryo-Elektronenmikroskopie am Departement Biologie der ETH Zürich.

?Globe? Dem Leben auf der Spur

Globe 22/04 Titelblatt: Dem Leben auf der Spur

Dieser Text ist in der Ausgabe 22/04 des ETH-????Magazins Globe erschienen.

DownloadGanze Ausgabe lesen (PDF, 4.5 MB)

?hnliche Themen

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert