Beim Ernährungssystem wäre weniger oft mehr

Achim Walter

Für Achim Walter ist es ein Gebot der Zeit, dass wir alle auch beim Essen den Verstand einschalten und Verantwortung übernehmen: Als Konsumierende k?nnen wir ein Ern?hrungssystem f?rdern, das der Umwelt dient, der Gesundheit und jenen, die nicht im ?berfluss leben.

Mitte des 20. Jahrhunderts war die Versorgung mit Nahrungsmitteln in vielen L?ndern der Welt schlecht. Aber: Nach den Verheerungen der Weltkriege hatten die Wissenschaften den N?hrboden bereitet für agrartechnischen Fortschritt. Eine zentrale Frage war, wie man den Hunger bek?mpfen kann. Die Antwort war ein Jahrzehnte w?hrender Prozess gesteigerter Produktion und Technologisierung der Landwirtschaft.

Feld aus der Vogelperspektive
Sie brachte hohe Ertr?ge – aber auch Nebenwirkungen und Verluste: Die Grüne Revolution ist noch nicht zu Ende gedacht. (Bild: Shaaith / Adobe Stock)

Diese ?Grüne Revolution? pflügte die Landwirtschaft regelrecht um: Züchtung von Pflanzen wurde neu gedacht; Düngemittel, Pestizide und Bew?sserungssysteme verbreiteten sich rasch. Die Bev?lkerung wuchs global auf mehr als das Doppelte an; ein Erfolg der mehr als verdoppelten Ertr?ge der wichtigsten Ackerfrüchte. Der Frontmann dieser Revolution erhielt 1970 den Friedensnobelpreis.

Heute wissen wir um den Preis dieser Entwicklung: Klimawandel, Artenschwund, Umweltvergiftung. Dafür ist die industrialisierte Landwirtschaft nicht allein verantwortlich; sie ist aber untrennbar mit diesen existenziellen Problemen verbunden. Wie k?nnen wir umsteuern? Wie müsste eine ?Grüne Revolution unserer Zeit? aussehen, um uns nachhaltiger mit Nahrungsmitteln zu versorgen?

Der entscheidende Unterschied zur Agrarrevolution des 20. Jahrhunderts w?re meines Erachtens, dass wir heute nicht mehr prim?r von der Produktion, sondern von der Gesamtwirkung des Systems her denken müssen. Und das bedeutet vor allem: Nicht die Produktion erh?hen, sondern die Verluste verringern.

?Eine ‘Grüne Revolution unserer Zeit’ müsste ein Ern?hrungssystem schaffen, das pflanzenzentriert, verlustarm und vielf?ltig ist.?
Achim Walter

Frei nach dem Motto ?weniger ist mehr? m?chte ich vier Eckpunkte nennen, die zu einem verbesserten Ern?hrungssystem führen.

An erster Stelle steht offensichtlich die Vermeidung von Nahrungsmittelverlusten. Noch immer verschwenden wir rund einen Drittel aller Esswaren auf ihrem Weg vom Feld zum Markt und über den Kühlschrank auf den Teller. Es besteht breiter Konsens, dass wir diese Verluste entlang der gesamten Wertsch?pfungskette auf ein Minimum reduzieren müssen.

Zweitens sollten wir weltweit massiv weniger Fleisch und tierische Nahrungsmittel konsumieren. Tiere mit Nahrungsmitteln zu füttern, die Menschen ern?hren k?nnten, ist fast immer eine enorme Verschwendung, doch dazu gleich noch im Detail.

Drittens gilt es, Verluste des Anbaus zu vermeiden, die durch Krankheiten, Dürren oder andere Plagen hervorgerufen werden. Dazu braucht es oft Hilfsmittel, die man so sparsam und gezielt wie m?glich einsetzen sollte – aber ohne den Ertrag zu gef?hrden. Hier kann moderne Technik helfen, robuste Sorten zu züchten, Felder zu überwachen und Krankheiten zu erkennen sowie Schutzmittel, Dünger und Wasser m?glichst pr?zis anzuwenden.

Viertens braucht es weniger des immer gleichen: Eine gesunde Ern?hrungsweise beruht auf einer Vielfalt an Nahrungsmitteln – pflanzlichen wie tierischen. Eine vielf?ltigere Ern?hrung begünstigt auch vielf?ltige Fruchtfolgen; und zumindest für Weidesysteme ist klar, dass eine hohe Diversit?t von Pflanzenarten nicht nur die Biodiversit?t st?rkt, sondern auch den Ertrag f?rdert und das Klima schont.

Unser Konsum als Treiber des Wandels

Um ein solches Ern?hrungssystem im Detail zu gestalten, ist eine gesellschaftliche Konsensfindung erforderlich, die Zielkonflikte klar adressiert. In der Pflicht sehe ich insbesondere die Konsumentinnen und Konsumenten. Sie müssen sich überlegen, was sie konsumieren wollen und was ihr Konsum bewirkt. Die Produzierenden, die verarbeitende Industrie und alle weiteren Stakeholder müssen sich in diesen Prozess einbringen und ihre Fakten benennen.

Fatale Fleischproduktion

Viele Gesellschaften in wohlhabenden L?ndern haben sich an einen hohen Konsum von Fleisch- und Milchprodukten gew?hnt. Umweltanalysen belegen, dass der ?kologische Fussabdruck tierischer Nahrungsmittel weitaus gr?sser ist als derjenige pflanzlicher.1 Auch für die menschliche Gesundheit w?ren weniger Fleisch- und Milchprodukte ein Gewinn.2

Neue Ideen für eine gesunde Welt

Das World Food System Center feiert sein 10+-j?hriges Bestehen mit verschiedenen Events und einer ?ffentlichen Ausstellung.

Weitere Informationen

Um das Weltern?hrungssystem dreht sich auch dieser ETH-Podcast: Ein Gespr?ch über die Reise der Lebensmittel auf unseren Tellern

Natürlich gilt es hier zu differenzieren, wo welche Tiere wie gehalten und ern?hrt werden; die Grasland-basierte Fütterung von Rindern in der Schweiz etwa sticht als sinnvolle Praktik hervor. Aber allgemein gilt: Tierische Nahrungsmittel zu vermeiden wird für unsere Gesellschaften ein Gebot der Vernunft.

Dass Europa zwei Drittel aller angebauten Getreide an Nutztiere verfüttert3, kann selbst in guten Zeiten kein Modell für die Zukunft sein; schon gar nicht, wenn den ?rmsten L?ndern durch den Krieg in der Ukraine die Getreidelieferungen versiegen. ?hnlich fehlgeleitet sind Soja-Kraftfutter-Importe aus Brasilien, wo der Druck auf den Regenwald stetig steigt.

Solche Missst?nde gilt es zu beseitigen, wenn Klimaziele, Bek?mpfung des Welthungers und der Schutz der Artenvielfalt nicht nur leere Worthülsen sein sollen. Beim Nahrungsmittelkauf haben wir alle die Wahl – und damit die M?glichkeit, an einer ?Grünen Revolution unserer Zeit? mitzuwirken: Für ein Ern?hrungssystem, das pflanzenbasiert, verlustarm und vielf?ltig ist.

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