Kreislaufversagen vorhersagen

Forschende der ETH Zürich und des Inselspitals Bern entwickelten eine Methode, mit der Kreislaufversagen von Patientinnen und Patienten auf der Intensivstation mit hoher Zuverl?ssigkeit vorhergesagt werden kann. Medizinisches Personal kann so früher intervenieren. Dem Ansatz zugrunde liegt die Auswertung umfangreicher Patientendaten durch Methoden des maschinellen Lernens.

Intensivstation
Mit der neuen Methode liesse sich die Anzahl der Alarme auf einer Intensivstation auf einen Zehntel reduzieren (Symbolbild). (Bild: Kiryl Lis / Adobe Stock)

Patientinnen und Patienten auf der Intensivstation eines Spitals stehen unter genauer Beobachtung: Vitalwerte wie Puls, Blutdruck und Blutsauerstoffs?ttigung werden laufend gemessen. So haben die ?rztinnen und Pfleger eine Fülle von Daten zur Beurteilung des Gesundheitszustands der Patienten zur Verfügung. Dennoch ist es nicht einfach, aus diesen Informationen Prognosen zur weiteren Entwicklung des Zustands abzuleiten oder lebensbedrohliche Ver?nderungen weit voraus zu erkennen.

Forschende der ETH Zürich und des Inselspitals Bern haben nun eine Methode entwickelt, welche die verschiedenen Vitalwerte sowie weitere medizinisch relevante Informationen über eine Patientin oder einen Patienten miteinander kombiniert. Dadurch kann ein kritisches Kreislaufversagen mehrere Stunden vor dem Eintreten vorausgesagt werden. Ziel ist es, in Zukunft mit der Methode die Vitalwerte im Spital in Echtzeit auszuwerten und das behandelnde Personal vorzuwarnen. Dieses kann somit frühzeitig geeignete Massnahmen einleiten.

Umfangreicher Datensatz

Die Entwicklung dieses Ansatzes erm?glichte ein umfangreicher Datensatz der Universit?tsklinik für Intensivmedizin des Inselspitals. Diese begann 2005 als erste grosse Intensivstation in der Schweiz, detaillierte und zeitlich hochaufgel?ste Daten von Intensivpatientinnen und -patienten in digitaler Form zu speichern. Für die Studie verwendeten die Forschenden Daten von 36'000 Aufenthalten auf der Intensivstation in anonymisierter Form und ausschliesslich von Patientinnen und Patienten, welche damit einverstanden waren, dass diese Daten für Forschungszwecke verwendet werden.

Auf Initiative von Tobias Merz, Forschungsmitarbeiter, ehemals Leitender Arzt in der Intensivmedizin am Inselspital Bern und heute am Auckland City Hospital t?tig, analysierten Forschende um die ETH-Professoren Gunnar R?tsch und Karsten Borgwardt diese Daten mit Methoden des maschinellen Lernens. ?Die so entwickelten Algorithmen und Modelle konnten im genutzten Datensatz 90 Prozent aller Kreislaufversagen vorhersagen. In 82 Prozent aller F?lle erfolgte die Vorhersage mindestens zwei Stunden im Voraus, womit den ?rzten Zeit für eine Intervention geblieben w?re?, sagt Gunnar R?tsch, Professor für Biomedizininformatik an der ETH Zürich.

Verh?ltnism?ssig wenige Messgr?ssen reichen

Für diese Arbeit standen den Forschern pro Patient mehrere Hundert unterschiedliche Messgr?ssen und medizinische Informationen zur Verfügung. ?Wir konnten allerdings zeigen, dass bereits 20 Messgr?ssen für eine genaue Vorhersage ausreichen. Dazu geh?ren unter anderem Blutdruck, Puls, verschiedene Blutwerte, das Alter sowie die verabreichten Medikamente?, erkl?rt Karsten Borgwardt, Professor für Data Mining an der ETH Zürich.

Um die Qualit?t der Vorhersagen weiter zu verbessern, planen die Forschenden, Patientendaten weiterer grosser Spit?ler in künftige Analysen einzubeziehen. Zudem sollen der anonymisierte Datensatz sowie die Algorithmen und Modelle anderen Wissenschaftlern zur Verfügung gestellt werden.

Wenige, dafür hochrelevante Alarme

?In der intensivmedizinischen Patientenbetreuung ist es zentral, Kreislaufversagen zu verhindern. Selbst kurze Zeitr?ume mit ungenügendem Kreislauf erh?hen die Sterblichkeit deutlich?, sagt der Intensivmediziner Tobias Merz. ?Heute müssen wir auf der Intensivstation mit einer Vielzahl von Alarmen umgehen. Diese sind nicht sehr pr?zise. H?ufige Fehlalarme und kurze Vorwarnzeiten führen zu Verz?gerungen bei kreislaufunterstützenden Massnahmen.? Die Forschenden m?chten mit ihrem Ansatz daher die Vielzahl an Alarmen auf wenige, dafür hochrelevante und frühzeitige Alarme reduzieren. Dies ist m?glich, wie die Studie zeigte: Mit der neuen Methode liesse sich die Anzahl der Alarme auf einen Zehntel reduzieren.

Damit die Methode als Frühwarnsystem eingesetzt werden kann, ist weitere Entwicklungsarbeit n?tig. Ein erster Prototyp existiert bereits, wie ETH-Professor R?tsch sagt. Dessen Verl?sslichkeit muss nun in klinischen Studien nachgewiesen werden.

Diese Forschungsarbeit wurde zu einem wesentlichen Teil vom Schweizerischen Nationalfonds gef?rdert.

Literaturhinweis

Hyland SL, Faltys M, Hüser M, Lyu X, Gumbsch T, Esteban C, Bock C, Horn M, Moor M, Rieck B, Zimmermann M, Bodenham D, Borgwardt K, R?tsch G, Merz TM: Early prediction of circulatory failure in the intensive care unit using machine learning. Nature Medicine, 9. M?rz 2020, doi: externe Seite10.1038/s41591-020-0789-4

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