Auf die Rauheit kommt's an

ETH-Forscherinnen und -Forscher um Lucio Isa haben aufgekl?rt, wie die Oberfl?chenbeschaffenheit von Mikrokügelchen den sprunghaften Anstieg der Viskosit?t von Suspensionen beeinflusst. Damit legen sie die Grundlage für Anwendungen wie gut fliessenden Zement.

Vergr?sserte Ansicht: Raue und glatte Partikel in einer Suspension
Raue und glatte Partikel in einer Suspension: Ihr Mischverh?ltnis beeinflusst den Zeitpunkt des sprunghaften Anstiegs der Viskosit?t. (REM-Bild: Chiao-Peng Hsu, ETH Zürich)

Im Internet findet man Videos, in denen Leute ihren Spass haben, über weissen Schlamm zu rennen. Fast sieht es aus, als k?nnten sie über Wasser gehen. Bleiben die Personen jedoch stehen, versinken sie langsam. Bei dem Schlamm handelt es sich in der Regel um eine konzentrierte Suspension aus Maisst?rke und Wasser. Nach einem in Amerika bekannten Kinderbuchklassiker wird eine solche Masse umgangssprachlich ?Ooblek? genannt, Materialwissenschaftler nennen es eine nicht-newtonische Flüssigkeit. Anders als ?normale? (sogenannt newtonische) Flüssigkeiten kann sie dicker (viskoser) werden, wenn eine schnell ?ndernde, starke Kraft auf sie einwirkt. Für einen kurzen Moment verh?lt sie sich wie ein Festk?rper. Wirkt die Kraft hingegen stetig und schwach, fliesst sie wie eine normale Flüssigkeit.

?Dieses Ph?nomen tritt bei allen Suspensionen mit hoher Teilchendichte auf, etwa auch bei Zement?, sagt Lucio Isa, Professor für Grenzfl?chen an der ETH Zürich. Wird Zement mit zu hoher Geschwindigkeit durch eine R?hre auf eine Baustelle gepumpt, verstopft die R?hre.

H?here Reibung dank rauer Oberfl?che

Der Grund dafür liegt unter anderem in der Oberfl?chenbeschaffenheit der festen Suspensionsanteile: ?Wirkt eine Kraft pl?tzlich k?nnen die festen Partikel nicht schnell genug ausweichen. Sie kommen miteinander in Kontakt, reiben sich aneinander und blockieren sich gegenseitig.? Je rauer die Oberfl?che der Teilchen, desto h?her ist die Reibung.

Die Forscher nutzten nun diese Eigenschaften, um den sprunghaften Anstieg der Viskosit?t in einer konzentrierten Suspension gezielt zu steuern. Statt mit Maisst?rke ?spielten? Isa und seine Kollegen mit einheitlichen mikrometergrossen Silikatpartikeln mit rauer Oberfl?che. Die Partikel gleichen winzigen Himbeeren; die Wissenschaftler verwendeten sie bereits in früheren Studien (vgl. ETH News vom 14.06.2017). Chiao-Peng Hsu, Doktorand von Isa und seinem Kollegen Nicholas Spencer, erarbeitete eine Methode, mit der er in kurzer Zeit eine ganze Bibliothek verschiedener solcher Himbeerpartikel mit unterschiedlich rauer Oberfl?che erstellen kann.

H?here Viskosit?t trotz weniger Partikel

Mit diesen Partikeln stellten die Forscher Suspensionen her, die sie auf deren pl?tzlichen Viskosit?tsanstieg unter Krafteinwirkung testeten. Dabei zeigte sich: je rauer die Partikel waren, desto weniger von ihnen mussten die Forscher in eine Suspension geben, um die sprunghafte Verfestigung zu erzielen. Hatten Partikel hingegen eine glatte Oberfl?che, mussten die Forscher gr?ssere Mengen davon der Suspension hinzufügen, bis sie die pl?tzliche Verfestigung beobachten konnten.

Suspensionen mit unterschiedlich starker plötzlicher Verfestigung
Eine dünne Suspension verh?lt sich wie Wasser: Der Ball sinkt beim Aufprall. Eine dickflüssige Suspension hingegen verfestigt sich abrupt beim Aufprall (rechts) (Videos: Isa Group, ETH Zürich)

Dank rauen Partikeln l?sst sich gem?ss den Forschern Material sparen: Ihr Anteil am Gesamtvolumen einer Suspension kann wesentlich tiefer liegen als derjenige von glatten Partikeln, um den gleichen Effekt zu erzielen.

Mischten die Forscher raue und glatte Partikel in einer Suspension, trat die Verfestigung ebenfalls früher auf als in Suspensionen, in denen nur glatte Partikel vorlagen. Die ETH-Forscher fanden heraus, dass nur gerade sechs Prozent glatte Kügelchen in einer Mischung ausreichten, um den Zeitpunkt des sprunghaften Viskosit?tsanstiegs markant zu verz?gern. ?Das ist, wie wenn man Kugellagerkugeln und Zahnr?der mische?, sagt Isa. ?Die Zahnr?der verhaken sich relativ leicht und bilden eine stabile Kette. Die glatten Kügelchen k?nnen diese jedoch durchbrechen und erleichtern dadurch das Fliessen der Suspension.?

?Himbeere? an Kantilever angeheftet

Um zu untersuchen, wie gross die Reibung zwischen einzelnen Partikeln ist, befestigten Hsu und seine Kollege Shivaprakash Ramakrishna ein einziges, einen halben Mikrometer messendes Partikel auf einem Kantilever eines Atomrasterkraftmikroskops. Dieses Partikel bewegten die Forschenden über unterschiedlich raue Modell-Oberfl?chen, indem sie den Kantilever um wenige hundert Nanometer verschoben und dabei massen, um wie viele Grad der Kantilever kippte. Je st?rker die Reibung, desto gr?sser war der Verkippungswinkel . ?Mit einem solchen Partikel auf einem Kantilever zu arbeiten, war extrem schwierig, da die Dimensionen unvorstellbar klein sind?, betont Hsu. ?Das hat vor uns noch keine Gruppe geschafft.?

Nutzen für schusssichere Vesten

Ob die Erkenntnisse in Anwendungen einfliessen, ist derzeit nicht klar. Die Studie diente in erster Linie der Grundlagenforschung. ?Unser Ziel war zu untersuchen, wie wir die Nano- und Mikrostruktur ver?ndern k?nnen, um das Materialverhalten auf makroskopischer Ebene zu beeinflussen. Das ist uns gelungen?, sagt Isa. Die Erkenntnisse k?nne man an sich auf Allt?gliches wie Zement übertragen. ?Wenn man die Oberfl?chen von K?rnern und deren Mischung im Zement unseren Erkenntnissen gem?ss anpassen k?nnte, kann man dessen Fliesseigenschaften optimieren.?

Dickflüssige Suspensionen mit sprunghafter Verfestigung werden aber auch für andere Zwecke gebraucht, zum Beispiel nutzt ein amerikanischer Hersteller dickflüssige Suspensionen, um schuss- und stichfeste Sicherheitswesten zu entwickeln. ?Unsere Studie k?nnte einen Beitrag dazu leisten, solche Anwendungen zu verbessern?, betont Isa.

Literaturhinweis

Hsu C-P, Ramakrishna SN, Zanini M, Spencer ND, Isa L. Roughness-Dependent Tribology Effects on Discontinuous Shear Thickening. PNAS, published ahead of print April 30th, 2018. DOI

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