Ein Krieg um Grund und Boden

Der Boden der kontinentalen mittleren Breiten

Dass gerade der S¨¹den und Osten der Ukraine reich an seltenen Erden, Erzen und anderen Metallen ist, und das Land ¨¹ber viel fruchtbare Ackerfl?che verf¨¹gt, ist allgemein bekannt. Aber nur wenige kennen deren Verteilung innerhalb des Landes und den Grund daf¨¹r: So wie Erzvorkommen abh?ngig von der Geologie eines Landes sind, beruht die Fruchtbarkeit der ukrainischen B?den auf einer einzigartig dicken Humusschicht und dem sehr fruchtbaren Material, aus dem der Boden entsteht, so genannten L?ssablagerungen. Diese fruchtbaren B?den ¨C aufgrund ihrer Farbe ?Schwarzerden? genannt ¨C kommen auch in anderen Teilen der Welt vor, aber nirgendwo in Europa sind sie so dominant wie in der S¨¹d- und Ostukraine und den angrenzenden russischen Gebieten ¨C also genau die Gebiete, die Russland f¨¹r sich beansprucht.

Zum Vergleich: W?hrend die eigentliche humusreiche Schicht in Schweizer B?den oft weniger als 20 cm betr?gt, ist diese im Ackerland der Ukraine oft mindestens 60 cm oder sogar mehr als ein Meter m?chtig. Und das auf einem Gebiet, welches in etwa dem Sechsfachen der Schweizer Landesfl?che entspricht. Wir alle k?nnen diese wertvolle Bodeneigenschaft sogar mit blossem Auge erkennen, wenn wir Bilder ukrainischer Sch¨¹tzengr?ben in der Ostukraine betrachten.

Ein Puffer gegen Klimafolgen

Was den ukrainischen Boden in Zukunft noch wertvoller macht: Nahezu jede ackerbauliche Bewirtschaftung f¨¹hrt in irgendeiner Form zu Bodendegradation, was sich negativ auf die Bodenfruchtbarkeit und die Ertr?ge auswirkt. Viele europ?ische B?den sind dadurch bereits stark degradiert und anf?lliger f¨¹r St?rungen wie beispielsweise den Klimawandel. Solche Sch?den und Ertragseinbussen k?nnen die Schwarzerden der Ukraine noch viele Jahrzehnte erfolgreich kompensieren.

Gerade im Hinblick auf den Klimawandel gewinnt diese Tatsache noch an Brisanz. Die ukrainischen Gebiete d¨¹rften im Vergleich zu den L?ndern West- und Mitteleuropas bei den derzeit g?ngigsten Klimaszenarien am wenigsten von den negativen Auswirkungen des Klimawandels betroffen sein. W?hrend die europ?ische Landwirtschaft zunehmend unter D¨¹rren und Wetterextremen  leidet, wird der ukrainische Boden dadurch noch wertvoller.  

Ein 12¡®000-Milliarden-Schatz im Boden

Bereits im Herbst 2022 sch?tzte der kanadische ThinkTank SecDev den Wert der Bodensch?tze in den von Russland derzeit besetzten Gebieten der Ukraine auf ¨¹ber 12 Billionen US-Dollar. Von den 30 durch die EU als strategisch besonders wertvoll eingestuften Rohstoffen lassen sich 22 in der Ukraine in grossen Mengen f?rdern. Darunter sind klassische Rohstoffe der Energie- und Stahlindustrie wie Kohle, ?l und Eisenerz, aber auch viele, die f¨¹r die Energiewende unverzichtbar sind wie Lithium, Titan, Magnesium, Uran, Mangan, Zirkonium und viele andere. Aufgrund der geologischen Besonderheiten der Ukraine befinden sich viele der ergiebigsten Erzvorkommen wie beispielsweise das f¨¹r die Elektromobilit?t essentielle Lithium vor allem in der Ost- und S¨¹dukraine. Das heisst konkret in aktuell umk?mpften Kriegsgebieten oder in Gebieten, die von Russland als Territorium beansprucht werden.

Boden = Geopolitischer Einfluss

Bereits heute exportieren sowohl die Ukraine als auch Russland grosse Mengen an Nahrungsmitteln in die EU und andere Regionen der Welt. Der afrikanische Kontinent sowie der Nahe Osten profitieren stark von den Nahrungsmittelexporten aus der kleinen Region der Ostukraine und Westrusslands und ern?hren damit eine wachsende Bev?lkerung. Schon heute ist klar, dass die Abh?ngigkeit von Nahrungsmittelimporten in diesen L?ndern, aber auch im mediterranen Europa, aufgrund der klimawandelbedingten D¨¹rren, Hitzewellen und Niederschlagsverlagerungen steigen wird. Viele Regionen Afrikas werden heute noch durch die Ukraine mit Nahrungsmittel beliefert ¨C welchen Einfluss w¨¹rde Russland auf diesem Kontinent gewinnen, wenn sie diese Nahrungsmittellieferungen noch umfassender kontrollieren k?nnten? Es ist leicht sich auszumalen, wie die Nahrungsmittel-Abh?ngigkeit ganzer Weltregionen von Russland als geopolitisches Kapital genutzt werden wird.

Meine Schlussfolgerung

Ich schliesse daraus, dass aufgrund von m?glicher Nahrungsmittelknappheit, einer wachsenden Bev?lkerung und des Klimawandels sowie des Metallhungers europ?ischer L?nder f¨¹r Industrieprodukte und die Energiewende die geostrategische Bedeutung der Ostukraine in Zukunft noch zunehmen wird. Wer also langfristig die eigene strategische und geopolitische Unabh?ngigkeit wahren m?chte, sollten meiner Meinung nach alles daf¨¹r einsetzen, dass diese Gebiete in der Hand eines verl?sslichen internationalen Partners bleiben. Putin hat bewiesen, dass er nicht als solcher f¨¹r Europa gelten kann.

Nach zwei Jahren sind viele Menschen kriegsm¨¹de und mit Sorge sehe ich, dass sich die Stimmen in den Unterst¨¹tzerstaaten der Ukraine mehren, die einen Frieden oder zumindest einen Waffenstillstand mit dem Aggressor Russland anstreben und daf¨¹r auch bereit w?ren, weite Gebiete an Russland abzutreten. Das w?re nicht nur f¨¹r die Ukrainerinnen und Ukrainer ein grosser Verlust, sondern ¨C und davon bin ich ¨¹berzeugt ¨C f¨¹r uns alle, denn wir m¨¹ssen uns bewusst sein: Weder Erzlagerst?tten noch fruchtbare B?den und landwirtschaftliche Nutzfl?chen lassen sich beliebig verlagern oder wo anders wieder aufbauen. Wir reden hier von Gebieten, die schon jetzt unglaublich wertvoll sind und noch wertvoller werden ¨C das weiss auch Putin. Wer die Kontrolle ¨¹ber diese Gebiete hat, hat meiner Meinung nach einen entscheidenden machtpolitischen Joker in der Hand, sowohl gegen Industriel?nder als auch solche die nur schwache einheimische Nahrungsmittelproduktionen haben. Kann Europa es sich erlauben, diesen Joker an Putin abzugeben?