Der Staudamm Lac des Dix mit dem Panorama im Hintergrund

Mit Wissenschaft die Schweizer Wasserkraft stärken

ETH-Forschende um Robert Boes entwickeln konkrete L?sungen, um die Stromproduktion aus Schweizer Wasserkraftwerken zu optimieren. Damit die Wasserkraft auch in Zukunft das Rückgrat der Schweizer Stromversorgung bleibt.

von Christoph Elhardt
ETH-Forschende entwickeln L?sungen, um die Verlandung von Stauseen zu reduzieren. Hier der Lac des Dix im Kanton Wallis. (Bild: Keystone)

In Kürze

  • In den Kraftwerken an der Limmat lassen sich rund zwei Prozent mehr Strom erzeugen, wenn der Pegelstand des Zürichsees nach einem angepassten Reglement gesteuert wird – wie ETH-Forschende zeigen.
  • Sie haben zudem nachgewiesen, wie ?Entsanderbecken? optimiert werden k?nnen, um noch besser vor dem Verschleiss der Turbinen durch Sedimente zu schützen.
  • Die Forschenden wiesen am Beispiel des Solis-Wasserkraftspeichers ausserdem nach, dass durch den Umleit?stollen bei entsprechender Betriebsweise die j?hrliche Verlandung um über 80 Prozent gesenkt wird.

?Obwohl es sich bei der Schweizer Wasserkraft um eine bew?hrte Technologie handelt, müssen wir sie st?ndig optimieren. Tun wir das nicht, droht die Stromproduktion und -speicherung aus bestehenden Werken langsam zu erodieren?, erkl?rt Robert Boes, der seit 2009 die Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie an der ETH Zürich leitet. Denn vor allem Speicherseen haben eine natürliche Tendenz, durch Ger?ll und Kies kleiner zu werden. Und Sedimente in den Wasserwegen führen mit der Zeit unweigerlich zur Abnutzung der Turbinen.

Diesen und weiteren Herausforderungen wirken ETH-Forschende schon seit einigen Jahren mit ihrer Forschung entgegen: Sie entwickeln L?sungen für ein effizientes Wassermanagement, berechnen Wartungsstrategien für Turbinen und zeigen auf, an welchen Standorten das Potenzial für Wasserkraft m?glichst wirksam und umweltschonend genutzt werden k?nnte. Damit tragen sie dazu bei, dass die Wasserkraft auch in Zukunft das Rückgrat der Schweizer Stromversorgung bleibt – vor allem im Winter, wenn Photovoltaikanlagen weniger Strom liefern.

Besseres Wassermanagement für Laufwasserkraftwerke

Auf den 36 Kilometern, die die Limmat vom Zürichsee bis zur Aare zurücklegt, gibt es elf Laufwasserkraftwerke. Der Zürichsee gleicht dabei einem grossen Kopfspeicher, über den Wasser in die Limmat abgelassen wird. ?ber die Wehranlage am Zürcher Platzspitz regulieren die Beh?rden den Zürichseepegel und damit auch wie viel Wasser in die Limmat fliesst. Dieser Pegelstand ist neben dem Hochwasserschutz, der Schifffahrt und der ?kologie vor allem für die Stromproduktion relevant.

Boes und sein Forschungsteam zeigten kürzlich in einer Studie, dass sich durch ein optimiertes Wehrreglement am Platzspitz rund zwei Prozent mehr Strom in den Limmatkraftwerken erzeugen liessen. M?glich würde diesen Effizienzgewinn eine neue Steuerungsstrategie machen, die einerseits h?here Seewasserst?nde im heutigen Reglement erlaubt und andererseits mit Hilfe von Wettermodellen die Pegelregulierung des Zürichsees besser auf die zu erwartenden Niederschlagsmengen und Zuflüsse abstimmt.

Bild aus der Vogelperspektive der Platzspitzwehr
Die Zürcher Platzspitzwehr beim Zusammenfluss von Limmat und Sihl. (Bild: Kanton Zürich)

Für Laufwasserkraftwerke gilt grunds?tzlich: Je gleichm?ssiger das Wasser fliesst, desto besser ist die Stromproduktion. Insbesondere bei kleineren und mittleren Hochwassern k?nnten die auftretenden Wassermengen durch das neue Reglement besser genutzt werden. ?Sagt das Wettermodell starken Regen vorher, würde die smarte Wehranlage bereits vorab etwas mehr Wasser in die Limmat ablassen. Wenn es dann regnet, hat der See mehr Puffer und kann trotz der starken Niederschl?ge weiterhin gleichm?ssig Wasser an die Limmat abgeben?, erkl?rt der ETH-Professor. Dies würde verhindern, dass die Turbinen durch zu viel Wasser überlastet werden. Die Hochwasserbestimmungen sowie ?kologische und andere Auflagen müssten selbstverst?ndlich weiterhin eingehalten werden.

?hnliche Anpassungen w?ren auch an anderen Schweizer Flüssen im Mittelland unterhalb von Alpenrandseen m?glich. Boes und sein Team haben berechnet, dass sich die Stromproduktion aus Laufwasserkraftwerken durch eine klügere Steuerung der Wehranlagen um rund 100 Gigawattstunden pro Jahr steigern liesse. Damit k?nnte der j?hrliche Strombedarf von rund 25’000 Vier-Personen-Haushalten gedeckt werden.

Turbinen wirksamer gegen Sedimente schützen

Feine Sedimente, die Flüsse mit sich führen, sind die natürlichen Feinde jeder Wasserkraftturbine. Sie wirken wie Schmirgelpapier und führen dazu, dass sich Turbinen mit der Zeit abnützen und deutlich weniger Strom produzieren. Obwohl dieses Problem seit langem bekannt ist, ist es bis heute nicht vollst?ndig gel?st. Viele Kraftwerke verfügen zwar über sogenannte Entsanderbecken, doch diese k?nnen die winzigen Partikel im Wasser oft nur unzureichend reduzieren.

Um die Wirksamkeit dieser Sandfanganlagen zu erh?hen, die Turbinen zu schonen und Produktionsausf?lle zu vermeiden, untersuchten Boes und sein Team, welche Art von Becken besonders wirksam sind: ?Am besten funktionieren lange Becken mit einem sanften Sohlgef?lle, in denen das Wasser m?glichst langsam fliesst. Dort k?nnen sich die Partikel leichter am Boden absetzen?, sagt der ETH-Professor. Aufgrund dieser Erkenntnisse wurde beispielsweise bereits der Sandfang des Wasserkraftwerks Susasca in Graubünden verbessert. Doch l?ngere Becken ben?tigen auch mehr Baumaterial und Platz und sind deshalb teuer. Daher gilt es von Kraftwerk zu Kraftwerk zu entscheiden, welche baulichen Anpassungen ?konomisch und technisch sinnvoll sind.

Ger?ll-Byp?sse für Stauseen

Durch witterungs?bedingte Erosion gelangen Steine, Kies und andere Sedimente über den Wasserzufluss in die Stauseen und verringern deren Speicher?volumen. Dieses als Verlandung bekannte Problem k?nnte die Speicherkapazit?t von Schweizer Stauseen bis 2050 um rund sieben Prozent reduzieren. Bei kleineren und mittleren Speichern werden heute Umleitstollen als eine bauliche Massnahme gegen die Verlandung eingesetzt. ?hnlich einem Bypass führen sie bei Hochwasser Steine, Kies und Sedimente an der Staumauer vorbei. Durch den starken Geschiebetransport kommt es aber an der Sohle des Umleitungsstollen mitunter zu ausgepr?gten Abnützungen.

ETH-Professor Boes und sein Team besch?ftigten sich in den letzten Jahren immer wieder mit diesem Problem. Die Forschenden untersuchten zum Beispiel, welche Materialien sich am besten für die Sohlauskleidung solcher Stollen eignen. Nach unz?hligen Tests kamen sie zum Schluss, dass bei besonders harschen Bedingungen hochfester Granit der starken Abnützung am besten standh?lt. Aufgrund dieser Erkenntnis wurden seither mehrere Umleitstollen weltweit mit Granit ausgekleidet.

Übersichtsfotos eines Umleitstollens
Der Umleitstollen am Stausee Pfaffensprung im Kanton Uri wurde bereits mit Granit verkleidet. (Bild: ETH Zürich)

Die Forschenden konnten zudem am Beispiel des Solis-Stausees in Graubünden nachweisen, wie wirksam Umleit?stollen tats?chlich sind. Dank des Stollens konnte die j?hrliche Verlandung um über 80 Prozent gesenkt werden. Dies bedingt aber ein angepasstes Speichermanagement: Die Kraftwerksbetreiber k?nnen die Wirksamkeit der Stollen zus?tzlich steigern, indem sie den Wasserspiegel im Stausee tief genug absenken, da der einstr?mende Fluss so besonders viel Gestein und Sedimente mitreissen und über den Stollen abführen kann. Diese Erkenntnisse sind auch für die Betreiber zahlreicher anderer Kraftwerke relevant.

Ausfluss des Umleitstollen
Der Umleitstollen am Solis-Stausee in Graubünden. (Bild: ETH Zürich)

Mehr Strom durch eine optimierte Wartung der Turbinen

Zur Entlandung von Speichern k?nnen Feinsedimente alternativ auch gezielt über den Triebwasserweg und die Turbinen in unterhalb liegende Flussabschnitte geleitet werden. ?Das Problem dabei ist, dass die Turbinen st?rker verschlissen werden. Diese L?sung kann sich für alpine Stauseen aber dennoch lohnen, wenn alternative Massnahmen wie zum Beispiel Umleitstollen zu teuer oder nicht machbar w?ren?, sagt Boes.

Um die Machbarkeit dieser Massnahme gegen Verlandung besser einsch?tzen zu k?nnen, müssen die Kraftwerkbetreiber aber wissen, welche Sch?den die Sedimente an den Turbinen anrichten und wie stark sie deren Wirkungsgrad mindern. Dieses Problem analysierten Boes und sein Team in je einer Wasserkraftanlage im Wallis und Graubünden. Mit diesen Erkenntnissen entwickelten die Forschenden ein Modell, das vorhersagt, wann eine Turbine auf Grund der Abnützung durch Sedimente an Leistung verliert und ersetzt werden sollte. Dadurch k?nnen Kraftwerksbetreiber die Wartung ihrer Anlagen optimieren und letztlich mehr Strom produzieren.

Das Potenzial der Schweizer Wasserkraft

Neben diesen konkreten L?sungen für bestehende Wasserkraftwerke forschten ETH-Professor Boes und sein Team in den letzten Jahren auch intensiv zum Potenzial des Ausbaus der Schweizer Wasserkraft. So untersuchte seine Forschungsgruppe etwa, welche Gletscherrückzugsgebiete sich am besten für neue Stauseen eignen würden, und welche Talsperren erh?ht werden k?nnten, um mehr Speichervolumen zu schaffen.

Die Ergebnisse dieser ETH-Studien wurden 2020 vom Bundesamt für Energie aufgegriffen: Dieses machte die besten Standorte zur Grundlage für einen runden Tisch, an dem sich Stromkonzerne, Umweltschutzverb?nde und Kantone auf eine Liste mit fünfzehn Projekten zum Aus- und Neubau von Wasserkraftwerken einigten. Einen Beitrag zur Kompromissfindung leistete damals auch der emeritierte ETH-Professor Michael Ambühl, der als Mediator zwischen den Parteien fungierte. Diese Projekte sind anschliessend in ein neues Stromversorgungsgesetz eingeflossen. Ob dieses in Kraft tritt, h?ngt letztlich vom Schweizer Stimmvolk ab, das im Juni über den Ausbau der Wasserkraft und anderer erneuerbarer Energietr?ger abstimmt.  

Robert Boes ist Mitglied des Energy Science Center (ESC) der ETH Zürich.

Serie ?Energiel?sungen für die Schweiz?

Die Schweiz soll bis 2050 ihre Treibhausgasemissionen auf Netto-Null reduzieren. Dies erfordert eine fossilfreie Energieversorgung, die auf erneuerbaren und nachhaltigen Energiequellen beruht – eine enorme Herausforderung für das Land. Die ETH Zürich mit seinem Energy Science Center unterstützt die Energiewende in der Schweiz mit konkreten L?sungen aus den Bereichen Forschung, Lehre und Wissenstransfer. In dieser Serie stellen wir einige davon vor.

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