Crashkurs für neue Parlamentarier

Wer frisch in den Nationalrat gew?hlt wird, steht h?ufig vor einem Dickicht an komplexen Themen. Die ETH Zürich vermittelte daher in einem zweit?tigen Seminar wissenschaftliche Standpunkte zu relevanten Politikbereichen. ?

Gruppenfoto von den 21 Parlamentarierinnen und Parlamentarier
21 Parlamentarierinnen und Parlamentarier und zwei Mitarbeitende der Parlamentsdienste nahmen an dem zweit?tigen Seminar der ETH Zürich teil. (Bild: ETH Zürich)

In Kürze

  • 21 Parlamentarierinnen und Parlamentarier aus sechs Parteien und allen Sprach?re?gio?nen nahmen Anfang Februar an ei?nem zweit?gigen Einführungsseminar der Swiss School of Public Governance der ETH Zürich teil.
  • Zw?lf Professorinnen und Professoren von sechs Schweizer Uni?ver?si?t??ten vermittelten Hintergrundwissen zu diversen Politikbereichen wie Sicherheit, Migration, Wirtschaft, Klima und Energie, Bildung oder Gesundheit.
  • Die neu gew?hlten Parlaments?mitglieder eigneten sich nicht nur relevantes Wissen an, sondern tauschten sich über Parteigrenzen hinweg aus und lernten von ehemaligen Mitgliedern der Bundes?ver?sammlung.

Politisch liegen die Sozialdemokratin und Historikerin Nina Schl?fli und SVP-Politiker und Landwirt J?rg Rüegsegger ziemlich weit auseinander. An diesem Morgen im Fe?bruar sind die beiden Nationalr?te aber voll auf einer Linie: sie wollen von Wissen?schaft?ler?innen und Wissenschaftlern lernen.

L?cheln, angeregte Gespr?che, kleine Scherze: die Stimmung im Seminarraum des Schloss Hünigen in Konolfingen bei Bern ist ent?spannt. Rüegsegger und Schl?fli nehmen hier zusammen mit zahlreichen weiteren Par?la?men?tarier?in?nen und Parlamentariern, die im Oktober 2023 neu in den Schweizer Na?tio?nal?rat ge?w?hlt wur?den, an dem von der Swiss School of Public Go?ver?nance der ETH Zürich or?ga?ni?sier?ten An?lass teil. In den kommenden beiden Tagen las?sen sie sich von führen?den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in zentrale Themen und Fragestellungen ihrer politischen Arbeit heranführen.

Der Anlass findet nach 2015 und 2020 bereits zum dritten Mal statt. ?Aufgrund der positiven Rückmeldungen aus den Fraktionen wussten wir bereits im letzten Frühjahr, dass nach wie vor ein grosses Interesse an einem Einführungsseminar besteht, in dem die neu gew?hlten Par?lamen?tarier?innen und Parlamentarier ihr Wissen zu politischen Kernthemen auffrischen und sich über Parteigrenzen hinweg vernetzen k?nnen?, sagt ETH-Professor Robert Perich. Er ist Direktor der Swiss School of Public Governance und hat für das Se?mi?nar ausgewiesene Ex?pertin?nen und Ex?per?ten, die an sechs Schweizer Universit?ten for?schen und lehren, eingeladen. Di?ese sollen den Teil?neh?men?den relevantes Wissen und damit das Rüstzeug für den politischen Ar?beits?alltag mit?ge?ben.

Nahezu alle Fraktionen sind vertreten

Die Teilnehmerliste widerspiegelt das Wahlresultat vom letzten Oktober: Mehr als drei Viertel der Teilnehmenden sind Parlamentarierinnen und Parlamentarier der Mitte, der SVP und der SP, die aus allen drei Sprachregionen stammen. Eine von ihnen ist Isabelle Chappuis, die für die Mitte Partei den Sprung in den Nationalrat geschafft hat. Die Waadtl?nderin ist neu Mitglied der Sicherheitspolitischen Kommission und interessiert sich besonders für das Referat von Andreas Wenger zu den Herausforderungen der Schweizer Sicherheitspolitik.

Wenger ist Direktor des Center for Security Studies der ETH Zürich und einer der führenden Experten zu diesem Thema. In seinem Vortrag erkl?rt der ETH-Professor, wie sich das sicher?heitspolitische Umfeld seit dem russischen Angriff auf die Ukraine ver?ndert hat und welche Konsequenzen sich daraus für die Schweiz ergeben. Für Chappuis liefert Wenger wich?ti?ge Hintergrundinformationen zu laufenden Debatten: ?Der Vortrag hilft mir, einige The?men, wie die organisatorischen Ver?nderungen im Verteidigungsdepartement oder das Armee?budget, besser einordnen zu k?nnen?, sagt sie.

Klares Rollenverst?ndnis zwischen Wissenschaft und Politik n?tig

Neben der Sicherheitspolitik stehen zehn weitere Themen auf der Tagesordnung, die in den Sachkommissionen des Parlaments zentral sind: Von der Migrations- und Finanzpolitik, über die Energie- und Klimapolitik bis hin zur Mobilit?t der Zukunft und der Wirtschaftsstruktur der Schweiz. Für Hans J?rg Rüegsegger aus dem Kanton Bern macht vor allem die the?ma?tische Breite den Reiz des zweit?gigen Seminars aus. ?Durch die Vortr?ge kann ich mich schneller in Themen einarbeiten und erhalte wichtige Hintergrundinformationen für m?gliche Vorst?sse?, sagt er. Das sehen auch viele andere Teilnehmerinnen und Teil?neh?mer so.

Der SVP-Parlamentarier sch?tzt zudem den direkten Zugang zu führenden Expertinnen und Experten. Denn auch in den Pausen tauschen sich die Teilnehmenden und die Referierenden offen zu aktuellen politischen Themen aus. Das schafft Vertrauen: ?Ich würde auch nach dem Seminar eher mal auf einen der Vortragenden zugehen, wenn ich eine Frage habe?, sagt Rüegsegger. Mitte-Politikerin Chappuis sieht das ?hnlich: ?Alle Vortragenden ha?ben klar auf?ge?zeigt, wo die Wissenschaft aufh?rt, und die Politik anf?ngt. Das macht sie zu glaub?wür?di?gen Partnern?.

Für Robert Perich ist genau das ein wichtiges Ziel der Veranstaltung: ?Die Wis??sen?schaft kann keine Ent?schei?dun?gen anstelle der Politik treffen, son?dern diese le?dig?lich da?bei un?ter?stüt?zen. Wir wollen daher einen Dialog zwi?schen Parlamentsmitgliedern und Forschenden an?stos?sen, allf?llige Be?rüh?rungs?ngste abbauen und zu gegenseitigem Vertrauen und einem geteilten Rollenverst?ndnis bei?tra?gen?, sagt er.

Wissenschaftliche Antworten auf gesellschaftliche Herausforderungen

Die Expertinnen und Experten scheinen ihre Sache gut zu machen – nach den Referaten gibt es von den Teilnehmenden viel Lob. So auch von Nina Schl?fli aus dem Kanton Thur?gau, die in der Staatspolitischen Kommission sitzt und sich daher mit Fragen der Migrationspolitik befasst. Für sie war der Vortrag von Dominik Hangartner besonders relevant.

Der ETH-Professor und Co-Direktor des Immigration Policy Labs stellte unter anderem einen ?Zu?teilungsalgorithmus? vor, der den Beh?rden dabei helfen kann, Geflüchtete dorthin zu schicken, wo sie h?here Chancen haben, eine Arbeit zu finden. ?Da die Handlungsspielr?ume zur Steuerung der Zuwanderung kurzfristig recht beschr?nkt sind, gef?llt mir dieser Fokus auf eine evidenzbasierte Integrationspolitik. Das würde der oft emo?tional geführten Debatte zur Migrationspolitik guttun?, findet Schl?fli.

Austausch mit erfahrenen Politikerinnen und Politikern

Die Teilnehmenden des Seminars nehmen aber nicht nur relevantes Wis?sen mit nach Hause und in ihre Frak?tio?nen – sondern auch pers?nliche Ver?bin?dun?gen über Parteigrenzen hinweg, die sie in un?ge?zwungenem Rahmen knüpfen konn?ten. W?hrend der zwei Tage ist auff?llig, wie offen und kollegial sich die neu?ge?w?hl?ten Parlamen?tarier?innen und Par?la?men?ta?riern be?geg?nen. Dazu SVP-Politiker Hans J?rg Rüeg?s?eg?ger: ?Die zahlreichen Kontakte zu Kol?le?gin?nen und Kollegen anderer Parteien er?leich?tern die Zusam?men?arbeit im Parlament. Man bleibt im Aus?tausch, ob?wohl man nicht die glei?chen po?li?ti?schen An??sich??ten ver?tritt.?

Diverse Parlamentarier diskutieren am Tisch.
Der ehemalige National- und St?nderat Paul Rechsteiner, der 36 Jahre als Parlamentarier t?tig war, beantworten Fragen der neuen Parlamentsmitglieder. (Foto: ETH Zürich)

Darüber hinaus erm?glichte der Nachmittag des zweiten Tages den Teil?neh?men?den, sich mit ehemaligen Mit?glie?dern des Bundesparlaments, die sehr viel Er?fah?run?gen mitbringen, auszutauschen. ?Wir haben sechs profilierte ehemalige Politikerinnen und Politiker al?ler Fraktionen eingeladen, die ge?mein?sam über 100 Jahre Parlaments?er?fah?rung mit?brin?gen. Gute Voraussetzungen für einen offenen und bereichernden Austausch?, sagt ETH-Professor Perich.

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