Abfallmanagement neu gedacht

Studierende der ETH und der ghanaischen Universit?t KNUST erarbeiteten in der Summer School ?Rethinking Waste? kreative L?sungen für nachhaltiges Abfallmanagement. Dabei kam weder der fachliche noch der interkulturelle Austausch zu kurz.?

Ghanaische und Schweizer Studierende betrachten etwas auf einem Laptop
Die Studierenden entwickeln mithilfe des Design Thinking Prozesses innovative L?sungen. (Bild: Daniel Winkler)

Um 10 Uhr morgens ist der Kaffee im Samowar bereits halb leer. Im Kirchengemeindezentrum Richterswil l?uft afrikanische Popmusik. Studierende aus 17 Nationen befinden sich im Endspurt der Fertigung ihrer Prototypen: Zwischen den Stellw?nden mit Ideenskizzen und Post-its wird diskutiert, entworfen und gebaut. Draussen üben die Teams ihre Pr?sentationen und manche lüften ihre K?pfe bei einem ?Energizer?: einer ?bung, die K?rper und Geist aktiviert. ?Die Studierenden durchlaufen den Design Thinking Prozess – eine Methode, um innovative L?sungen für komplexe Probleme zu finden?, erkl?rt Marriette Mertens, Programmmanagerin bei ETH for Development (ETH4D) und Leiterin der Summer School ?Rethinking Waste?. Der 16-t?gige Intensivkurs ist eine Zusammenarbeit der ETH Zürich mit der Kwame Nkrumah University of Science and Technology (KNUST) in Ghana. 21 Studierende der KNUST haben dazu die Schweiz besucht und mit 20 ETH-Studierenden in der Jugendherberge Richterswil zusammengelebt. Die gemeinsamen Erfahrungen haben die jungen Leute zusammengeschweisst und den Perspektivenwechsel gef?rdert. Die Kollaboration von Menschen unterschiedlicher Herkunft und Disziplinen sei eine gute Art, globale Probleme wie das Abfallmanagement anzugehen, sagt die gebürtige Ghanaerin.

Die Summer School widmet sich der Frage, wie Bio-, Plastik- und Elektronikmüll effizient verarbeitet und als Ressource genutzt werden k?nnen. In Ghana werden Abf?lle bisher kaum getrennt, sondern auf Deponien abgeladen und teilweise verbrannt. Der hohe Anteil an organischem Abfall lockt Nagetiere und Insekten an, die wiederum Krankheiten verbreiten. Durch die Müllhalden gelangen gef?hrliche Stoffe in Wasser und B?den, die fehlende Trennung der Abfallstr?me verunm?glicht das Recycling. In der Schweiz hingegen geh?rt das Trennen von Müll zum Nationalsport, doch das Land braucht neue L?sungen, um die schnell wachsende Menge an Plastik- und Elektronikmüll zu verarbeiten.

Steile Lernkurven

?Die Studierenden haben die Problemstellung, an der sie arbeiten m?chten, selbst definiert?, erkl?rt Mertens. Johan N?thiger, Maschinenbaustudent der ETH, hat sich im Team mit drei ETH- und drei KNUST-Studierenden dem Potenzial von organischen Abf?llen in Accra angenommen. Sie haben das Konzept für die App Wastech erarbeitet, in der Haushalte mitteilen k?nnen, dass ihr Biomüll zur Abholung bereitsteht. Innert 24 Stunden werden die Abf?lle entsorgt. Sind sie jedoch verunreinigt und k?nnen nicht zur Erzeugung von Kompost verwendet werden, zahlt der Haushalt einen kleinen Betrag. ?Wastech finanziert sich selbst?, erkl?rt N?thiger.

Im Laufe der Projektentwicklung hatten die Studierenden immer wieder die Chance, ihre Ideen zu hinterfragen. Sie besuchten Müllverarbeitungsstandorte und h?rten Vorlesungen. ?An der sogenannten Knowledge Fair konnten sich die Studierenden mit Experten austauschen, um ihre Projekte zu verfeinern?, so Mertens. In Strasseninterviews testeten sie schliesslich, wie ihre L?sungen aufgenommen werden.

Besonders für die afrikanischen Teilnehmenden war die Auseinandersetzung mit der Schweizer Abfallwirtschaft interessant: ?Meine Lernkurve war extrem steil?, lacht Carine dit Sienyta Tiaho, Doktorandin der KNUST, die ebenfalls an Wastech mitgearbeitet hat. ?Es macht mich glücklich, all die Projekte zu sehen. Ich bin mir sicher, dass wir in Zukunft viele davon umsetzen werden.? Auf ihrem Handy zeigt sie ein Foto aus ihrem Heimatland Burkina Faso: eine ?ltere Frau mit einem müllbeladenen Holzwagen. ?Aufgrund der Sicherheitsprobleme im Land ist das System noch nicht so weit entwickelt wie in Ghana, wo private Unternehmen den Abfall mit Lkw abholen?, erz?hlt sie. Dank der intensiven Auseinandersetzung mit Entsorgungssystemen hat sie ein Thema für ihre Doktorarbeit gefunden. ?Zudem weiss ich nun, wie wichtig es ist, eine Idee nicht nur schriftlich, sondern auch mit Zeichnungen und Prototypen zu kommunizieren?, sagt sie.  

Das Endprodukt? V?llig offen!

Die Studierenden haben viel Zeit damit verbracht, zu verstehen, wie sich Verhaltens?nderungen anregen lassen. ?Ich habe gelernt, dass die Beweggründe, Müll zu trennen, ganz unterschiedlich sind?, erz?hlt N?thiger. ?Das müssen wir berücksichtigen.? Robin Rengglis Gruppe hat gar einen Song komponiert: ?Separate your Biowaste?. Er soll die Teilnehmenden der erdachten Green Gold Challenge dazu motivieren, reinen Biomüll für Kompost einzureichen und dabei Punkte zu sammeln. Renggli ist Masterstudentin für Umweltsysteme und Politikanalyse an der ETH und hat die Gruppe als Coach begleitet. ?Ich habe die Diskussionen moderiert, Missverst?ndnisse aufgekl?rt und darauf geachtet, dass sich das Team nicht in Details verliert?, erkl?rt sie ihre Aufgabe. ?Für mich war es eine Herausforderung, die richtige Strategie und das richtige Timing für Interventionen zu finden?, meint Sampson Renner, Doktorand der KNUST, der bereits das zweite Mal als Coach dabei ist. Sein Spruch ?Trust the process? ist bis zum Ende der Summer School zu einem Mantra für die Teilnehmenden geworden. ?Im Ingenieurwesen sind wir es gewohnt, dass wir schon eine Idee haben, wie die L?sung aussieht. Beim Design Thinking ist das Endprodukt v?llig offen – das braucht manchmal viel Geduld?, kl?rt er auf.

Interkultureller Austausch

Neben dem Austausch von Fachwissen und Methoden standen auch soziale und sportliche Aktivit?ten auf dem Programm. ?Die Studierenden erkennen dadurch die kulturellen Unterschiede und verstehen, wie diese Teamprozesse und die entwickelten L?sungen beeinflussen?, erkl?rt Mertens. ?Ich habe einiges über mich und meine Weltanschauung gelernt?, best?tigt Renggli. Auch Wilfred Elegba, Senior Researcher in Ghana sowie Dozent und Coach-Trainer an der Summer School, ist aufgefallen, wie sich die Teilnehmenden entwickelt haben: ?Für manche ETH-Studierenden war es das erste Mal, dass sie so intensiv mit Angeh?rigen einer afrikanischen Universit?t zusammengearbeitet haben. Anfangs waren sie zurückhaltend, doch dann sind sie aufgeblüht.? Elegba, der für sein Doktorat von Ghana an die ETH gekommen war, ist der eifrige, doch sehr bescheidene Initiant der Summer School. Bereits zu seiner Zeit an der ETH sowie sp?ter, als die damalige ETH-Rektorin Sarah Springman die KNUST besuchte, hat er auf das grosse Potenzial einer Zusammenarbeit der beiden Schulen hingewiesen, die mit der Summer School Wirklichkeit wurde.

Sampson Renner (rechts mit gelbem Hemd) coacht eine Gruppe Studierender.
Sampson Renner (rechts mit gelbem Hemd) coacht eine Gruppe Studierender. (Bild: Daniel Winkler)

Fesselnder Abschluss

Gegen Abend richten sich die Studierenden für ihre Abschlusspr?sentationen im Student Project House der ETH Zürich ein. Manche bereits voll konzentriert, manche nerv?s am Scherzen stehen sie mit ihren aus Karton gebauten Prototypen hinter dem Vorhang bereit. ?Die Studierenden sollten lernen, m?glichst viel aus wenig Ressourcen herauszuholen?, kl?rt Mertens auf. Die eingeschr?nkten Mittel haben die Kreativit?t und die schauspielerischen Talente der Studierenden befeuert: In fünfminütigen Sketches bringen sie ihre gründlich durchdachten Strategien auf die Bühne und das Publikum zum Lachen. ?Ich wünschte, alle meine Meetings w?ren in diesem Format?, schmunzelt ETH-Rektor Günther Dissertori, der im Publikum sitzt.

Die sechs Abschlussprojekte zeigen auf, wie vielf?ltig Abfallmanagement angegangen werden kann: Von einem intelligenten Biomülleimer, der mithilfe von Infrarotsensoren und Metalldetektoren Verunreinigungen erkennt und beseitigt, bis zur Open-Data-Plattform, auf der Bürger:innen PET-Ansammlungen in der Umgebung melden k?nnen und dabei wertvolle Daten für die Verbesserung des Entsorgungssystems generieren. Ein weiteres Team erarbeitete einen Ansatz, um informellen E-Schrott-Verarbeiter:innen eine sichere Arbeitsumgebung zu erm?glichen.

Best?ndiges Netzwerk

Sp?testens bei der Award-Vergabe bestand kein Zweifel mehr, dass die Studierenden mit Leib und Seele dabei waren: Die Teams stürmten mit Freudenschreien von der Tribüne und fielen sich in die Arme. ?Ich bin begeistert von der positiven Energie, dem Team-Spirit und überzeugt, dass die Summer School einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat?, sagt Dissertori. Neben den Gruppen von Wastech und der Green Gold Challenge durfte auch WeCycle – ein Programm, das Kinder und Jugendliche durch das Betreiben eines eigenen Komposts in Schulen sensibilisiert – einen Award mit nach Hause nehmen. Darauf prangt Ananse Ntentan, ein blumenf?rmiges Symbol der ghanaischen Symbolsprache Adinkra, das ein Spinnennetz darstellt. ?Es steht für die zentralen Themen der Summer School: komplexe Herausforderungen und kreative L?sungen?, erkl?rt Renner. Als Zeichen der Verbundenheit liess sich das Symbol in sieben Stücke brechen und unter den Teammitgliedern aufteilen.

Dass sich die neu gewonnenen Freund:innen bald wiedersehen, steht für Tiaho fest: ?Ich habe sie in meine Heimat eingeladen.? Auch ETH-Studierende haben die M?glichkeit, n?chstes Jahr nach Ghana zu reisen: Dann wird die Summer School an der KNUST stattfinden.

Die Studierenden präsentieren ihre Projekte im Student Project House der ETH
Stolz pr?sentieren die jungen Talente am letzten Abend die Früchte ihrer Arbeit im Student Project House an der ETH Zürich. (Bild: Laurin Grether)

?Globe? Dem Leben auf der Spur

Globe 22/04 Titelblatt

Dieser Text ist in der Ausgabe 22/04 des ETH-????Magazins Globe erschienen.

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