Warum Konfliktparteien aufhören zu kämpfen

Waffenstillst?nde sind Vereinbarungen, mit denen sich eine oder mehrere Konfliktparteien darauf verpflichten, die Kampfhandlungen einzustellen. Obwohl sie die Probleme, die einem Konflikt zugrunde liegen, meist nicht l?sen, sind sie ein wichtiger Schritt, um B¨¹rgerkriege zu beenden.

Doch warum entscheiden sich Konfliktparteien die Waffen niederzulegen? Und wann sind sie dazu eher bereit? Um diese Fragen zu beantworten, haben Wissenschaftler:innen der ETH Z¨¹rich, des Friedensforschungsinstitutes in Oslo (PRIO) und der Universit?t Uppsala den ersten umfassenden Datensatz zu Waffenstillst?nden in allen B¨¹rgerkriegen zwischen 1989 und 2020 erstellt. Dabei haben sie 2202 Vereinbarungen, die w?hrend 109 innerstaatlicher Konflikte in 66 L?ndern geschlossen wurden, untersucht.

Die in der Fachzeitschrift Journal of Conflict Resolution erschienen Studien zeigen, dass die Gr¨¹nde f¨¹r Waffenstillst?nde in B¨¹rgerkriegen vielseitiger sind als bisher gedacht und dass es eine Reihe von Bedingungen gibt, die sie beg¨¹nstigen. Da zwischenstaatliche Konflikte im Untersuchungszeitraum der Studie eine absolute Ausnahme darstellten, wurden sie von den Autor:innen nicht ber¨¹cksichtigt.

Ein globales Ph?nomen

In fast allen B¨¹rgerkriegen zwischen 1989 und 2020 entschlossen sich die Parteien fr¨¹her oder sp?ter, wenn oft auch nur f¨¹r begrenzte Zeit, die K?mpfe einzustellen. Die f¨¹nf L?nder mit den meisten Waffenstillst?nden sind Sudan (169), gefolgt von Indien (167), den Philippinen (157), Syrien (140) und Israel (103).

In Lateinamerika sind die meisten Waffenstillst?nde zwischen 1989 und den fr¨¹hen 1990er Jahren zu beobachten, was vor allem auf die Friedensprozesse in El Salvador, Guatemala und Nicaragua zur¨¹ckzuf¨¹hren ist. Ab Mitte der 1990er Jahre wurden die meisten Vereinbarungen dann in Europa im Zusammenhang mit den Konflikten im ehemaligen Jugoslawien geschlossen. Als Folge des Konfliktes in der Ukraine nahm die Anzahl der Waffenstillst?nde in Europa ab 2014 erneut zu.

In Afrika und Asien traten Waffenstillst?nde ¨¹ber den gesamten Zeitraum des Datensatzes relativ konstant auf. Im Nahen Osten hingegen waren Vereinbarungen von 1990 bis in die fr¨¹hen 2000er Jahren relativ selten. Ihre Zahl stieg erst 2014 in Folge des Gazakrieges zwischen der Hamas und Israel an.

Wann Waffenstillst?nde zustande kommen

Die Studien des internationalen Forschungsteams zeigen, dass Konfliktparteien eher dann einen Waffenstillstand abschliessen, wenn der Konflikt besonders blutig ist und ¨¹berdurchschnittlich viele Zivilist:innen versehentlich durch Rebellenangriffe get?tet wurden. Im S¨¹d-Sudan unterzeichneten die Konfliktparteien zum Beispiel im Juni 2018 ein Abkommen, nachdem die Wochen davor zu den blutigsten der letzten 12 Monate gez?hlt hatten.

Dar¨¹ber hinaus beobachten die Forschenden, dass Waffenstillst?nde oft im ersten Monat eines Konfliktes geschlossen werden, da die Parteien zu testen scheinen, wie ernst es ihnen mit dem Krieg ist und ob doch eine Chance f¨¹r eine friedliche Beilegung des Konfliktes besteht. Gelingt dies nicht, dauert es im Durchschnitt vier Jahre bis die Chancen daf¨¹r wieder steigen.

Sie zeigen auch, dass die Abwahl oder der Sturz der Regierung w?hrend eines B¨¹rgerkrieges die Wahrscheinlichkeit eines Waffenstillstandes erh?ht. ?Die Wahl eines neuen Regierungschefs oder einer Chefin zeigt, dass die Bev?lkerung mit der aktuellen Politik unzufrieden ist. Eine neue Person an der Spitze ist dadurch eher in der Lage, auf die Gegner zuzugehen?, sagt Govinda Clayton vom Center for Security Studies der ETH Z¨¹rich, der das Forschungsprojekt leitet.

So k¨¹ndigte Gustavo Petro, der neue Pr?sident von Kolumbien, nach seinem Amtsantritt im August 2022 an, einen Waffenstillstand mit allen bewaffneten Gruppen aushandeln zu wollen. Dieser Effekt neuer F¨¹hrungspers?nlichkeiten nimmt aber nach einem Jahr ab, da dann die anf?ngliche Dynamik meist verpufft ist.

Politischer Kontext und internationale Unterst¨¹tzung

Die Analysen der Konfliktforschenden ergeben ausserdem, dass Konfliktparteien eher bereit sind, die Waffen niederzulegen, wenn sie daf¨¹r eine politische Rechtfertigung haben. Diese kommt zum Beispiel in Form eines Mediationsangebotes einer vermittelnden Partei, die um einen Waffenstillstand bittet, oder w?hrend religi?ser Feiertage, die es den Konfliktparteien erlauben die K?mpfe kurzfristig einzustellen, ohne das Gesicht zu verlieren.

In El Salvador rechtfertigte die Nationale Befreiungsfront Farabundo Mart¨ª ihre Bereitschaft die Waffen niederzulegen explizit mit dem Verweis, eine Konzession gegen¨¹ber dem Mediator, dem UN-Generalsekret?r, zu machen. Und im innerafghanischen B¨¹rgerkrieg nach 1989 kam es anl?sslich des Fastenbrechens nach dem Ramadan immer wieder zu tempor?ren Waffenstillst?nden.

Die Bereitschaft die Kampfhandlungen fortzusetzen, kann durch die Unterst¨¹tzung von externen Akteuren beeinflusst werden. ?Zus?tzliche Truppen, Waffen oder ?konomische Hilfe erlauben es dem Staat, kostspielige Konflikte ¨¹ber l?ngere Zeitr?ume aufrechtzuerhalten?, erkl?rt ETH-Forscher Clayton. Dieser Logik entsprechend finden die Forschenden aus Z¨¹rich, Oslo und Uppsala, dass Waffenstillst?nde in Zeiten, in denen der Staat in seinem Kampf gegen Rebellengruppen von externen Akteuren unterst¨¹tzt wird, weniger wahrscheinlich sind.

Ein Signal f¨¹r den Frieden

Auch wenn es in fast allen der 2202 Waffenstillst?nden um die Beendigung von Gewalt geht, variieren die Gr¨¹nde daf¨¹r betr?chtlich. Eine der wichtigsten Funktionen ist, die friedliche Beilegung eines Konfliktes zu f?rdern. Fast 70 Prozent aller Vereinbarungen im Datensatz des Forschungsteams fallen in diese Kategorie.

So f¨¹hrte etwa in Kolumbien ein erfolgreich umgesetztes Waffenstillstandsabkommen dazu, dass die Rebellengruppe der FARC die Waffen niederlegte und der Kriegsstatus aufgehoben wurde. Und im Sudan bildete ein lokaler Waffenstillstand in den Nuba-Bergen einen wichtigen Ausgangspunkt auf dem Weg zu einem umfassenden Friedensabkommen.

Mit der Bereitschaft auf Gewalt zu verzichten signalisieren Konfliktparteien ihre friedlichen Absichten, schaffen Vertrauen und zeigen, dass sie in der Lage sind, ihre eigenen Truppen zu kontrollieren. Clayton und seine Koautorin Corinne Bara von der Universit?t Uppsala weisen zum Beispiel nach, dass Staaten, die Waffenstillst?nde mit einer Rebellengruppe schliessen und einhalten, ihre Reputation als verl?sslicher Kooperationspartner st?rken und damit die Wahrscheinlichkeit von Vereinbarungen mit anderen Konfliktparteien erh?hen. Gleichzeitig besteht aber das Risiko, dass ein Scheitern eines Waffenstillstands das labile Vertrauen zwischen Konfliktparteien zerst?rt und damit laufende Friedensverhandlungen gef?hrdet.

Milit?rische Verschnauf- und humanit?re Feuerpausen

In der bisherigen Forschung stand die friedensf?rdernde Funktion von Waffenstillst?nden im Vordergrund. Doch ETH-Forscher Clayton und seine Koautor:innen identifizieren drei weitere Gr¨¹nde, warum Konfliktparteien aufh?ren zu k?mpfen.

Waffenstillst?nde werden oft daf¨¹r eingesetzt, um politische oder milit?rische Ziele zu erreichen, die nicht mit einer friedlichen L?sung des Konfliktes vereinbar sind. ?Konfliktparteien nutzen sie etwa dazu, sich neu zu bewaffnen oder die territoriale Kontrolle ¨¹ber ein Gebiet zu konsolidieren?, so Clayton.

Bei einem F¨¹nftel aller kodierten Abkommen im neuen Datensatz handelt es sich hingegen um kurzfristige Vereinbarungen, die humanit?ren Gr¨¹nden wie der Lieferung von Hilfsg¨¹tern, oder der Bergung von Toten auf dem Schlachtfeld dienen. So verschafften etwa in Syrien lokale Waffenstillst?nde der belagerten Bev?lkerung an einigen Orten eine vor¨¹bergehende Atempause, obwohl diese Vereinbarungen m?glicherweise auch milit?rstrategischen Zielen des Regimes dienten.

Und Waffenstillst?nde werden auch als Mittel der Konfliktbew?ltigung eingesetzt. ?In diesen F?llen geht es darum, die verheerenden Auswirkungen der Gewalt einzud?mmen, ohne dass die Parteien einer Friedensl?sung n?herkommen?, sagt Clayton. Zum Beispiel diente das 2015 verhandelte Minsker Abkommen zwischen Russland und der Ukraine bis zum russischen Angriff im Februar 2022 dazu, die Gewalt einzud?mmen, ohne sie ganz zu beenden.