Was seismische Wellen über die Marskruste verraten

Nach zwei grossen Meteoriteneinschl?gen auf dem Mars beobachteten Forschende erstmals ausserhalb der Erde seismische Wellen, die sich entlang der Oberfl?che eines Planeten ausbreiteten. Die Daten der Marsbeben wurden von der Nasa-Sonde InSight aufgezeichnet und an der ETH Zürich analysiert. Sie liefern neue Erkenntnisse über die Struktur der Marskruste.

Ein Meteoriteneinschlag erzeugt Bebenwellen, die an der Oberfläche des Mars' verlaufen und vom Seismometer des Insight-Landers aufgezeichnet werden.
Ein Meteoriteneinschlag erzeugt Bebenwellen, die an der Oberfl?che des Mars' verlaufen und vom Seismometer des Insight-Landers aufgezeichnet werden. (Grafik: Doyeon Kim, Martin van Driel, Christian B?hm)

Der Marsbebendienst an der ETH Zürich analysiert die Messungen, die das Seismometer der InSight-Mission auf unserem Nachbarplaneten durchführt. Fast drei Jahre lang wurden nur Bebenwellen entdeckt, die sich vom jeweiligen Bebenherd durch den tiefen Mars hindurch ausbreiteten. Die Forschenden hofften jedoch auf ein Ereignis, das auch Wellen erzeugt, die entlang der Planetenoberfl?che reisen. Am 24. Dezember 2021 war es soweit: Ein Meteoriteneinschlag auf dem Mars bescherte ihnen die ersehnten Oberfl?chenwellen.

Die Forscher und Forscherinnen hatten aufgrund der untypischen Charakteristiken des aufgezeichneten Bebens eine Quelle nahe der Oberfl?che vermutet. Sie kontaktierten daraufhin Kollegen, die mit einer Sonde in der Marsumlaufbahn arbeiteten. Tats?chlich zeigten Aufnahmen des Mars Reconnaissance Orbiter am 25. Dezember 2021 einen grossen Einschlagkrater in rund 3500 Kilometer Entfernung zu InSight.

?Der Ort stimmte gut mit unseren Sch?tzungen für die Quelle des Bebens überein?, sagt Doyeon Kim, Oberassistent am ETH-Institut für Geophysik und Erstautor der Studie, die jetzt in der Zeitschrift ?Science? erschienen ist. Auch bei einem zweiten, untypischen Beben konnten die Forschenden als Quelle einen Meteoriteneinschlag in knapp 7500 Kilometer Distanz zu InSight ausmachen.

Weil der Herd der beiden Beben an der Oberfl?che lag, wurden nicht nur Raumwellen erzeugt, wie bei den bisher aufgezeichneten Marsbeben, deren Herd in gr?sserer Tiefe lag, sondern auch Wellen, die sich entlang der Planetenoberfl?che ausbreiteten. ?Es ist das erste Mal, dass jemand auf einem anderen Planeten als der Erde seismische Oberfl?chenwellen beobachtet hat. Selbst auf dem Mond w?hrend der Apollo-Missionen war dies nicht m?glich?, sagt Kim.  

Die Oberfl?chenwellen sind für die Forschenden deshalb so wichtig, weil sie Informationen über die Struktur der Marskruste liefern. Die Raumwellen, die bei den Beben durch das Innere des Planeten reisen, erm?glichten bisher zwar Erkenntnisse über den Marskern und den Mantel, sagten aber wenig aus über die Kruste.

?berraschendes Resultat

?Bislang beruhte unser Wissen über die Marskruste auf nur einer Punktmessung unter dem InSight-Lander?, erkl?rt Kim. Das Resultat der Analyse der Oberfl?chenwellen überraschte den Geophysiker: Die Marskruste zwischen den Einschlagsorten und dem Seismometer von InSight hat im Durchschnitt eine sehr einheitliche Struktur und eine hohe Dichte. Direkt unter der Sonde hingegen hatten die Forschenden zuvor drei Schichten der Kruste nachgewiesen und eine geringere Dichte gemessen.

Die neuen Erkenntnisse sind darum so interessant, weil die Kruste eines Planeten wichtige Hinweise auf die Entstehung und Entwicklung des Himmelsk?rpers gibt. Sie ist das Ergebnis von frühen dynamischen Vorg?ngen im Mantel und den nachfolgenden magmatischen Prozessen. Deshalb kann sie Aufschluss geben über die Bedingungen vor Milliarden von Jahren und die Geschichte der Einschl?ge, die in der Frühzeit des Planeten Mars besonders h?ufig waren.

Wie die neue Messung funktionierte, erkl?rt der Forscher folgendermassen: ?Die Geschwindigkeit, mit der sich die Oberfl?chenwellen ausbreiten, h?ngt von deren Frequenz ab und diese wiederum von der Tiefe.? Misst man über verschiedene Frequenzen hinweg, wie sich die Geschwindigkeit in den seismischen Daten ver?ndert, so kann man daraus schliessen, wie sich die Geschwindigkeit in unterschiedlichen Tiefen ver?ndert, denn die verschiedenen Frequenzen sind für unterschiedliche Tiefen empfindlich. Daraus wiederum l?sst sich die durchschnittliche Dichte des Gesteins absch?tzen, weil die seismische Geschwindigkeit auch von den elastischen Eigenschaften des Materials abh?ngt, durch das die Wellen sich fortbewegen. So konnten die Forschenden die Struktur der Kruste in einer Tiefe von rund 5 bis 30 Kilometer unter der Marsoberfl?che bestimmen.

Domenico Giardini
?Bisher gibt es keine akzeptierte Erkl?rung für die Mars-Dichotomie, weil wir ihre tiefe Struktur nie sehen konnten. Nun beginnen wir, diese Struktur aufzudecken.?
Domenico Giardini
Domenico Giardini, ETH-Professor für Seismologie und Geodynamik

Erkl?rung für gr?ssere Wellengeschwindigkeit

Doch warum ist die durchschnittliche Geschwindigkeit der jetzt beobachteten Oberfl?chenwellen betr?chtlich h?her als man aufgrund der früheren Punktmessung unter der Marssonde InSight erwarten würde? Liegt das haupts?chlich am Oberfl?chengestein oder an anderen Mechanismen? Generell weist vulkanisches Gestein in der Regel h?here seismische Geschwindigkeiten auf. Und die Wege zwischen den beiden Meteoriteneinschl?gen und dem Messort führen durch eine der gr?ssten vulkanischen Regionen auf der n?rdlichen Hemisph?re des Mars.

Verschiedene Mechanismen wie die Bildung von Oberfl?chenlava oder die Schliessung von Porenr?umen durch Erhitzung im Zusammenhang mit vulkanischen Prozessen k?nnen die Geschwindigkeit der seismischen Wellen erh?hen. ?Andererseits k?nnte die Krustenstruktur unter dem Landeplatz von InSight auf eine einzigartige Art entstanden sein, beispielsweise als bei einem grossen Asteroideneinschlag vor über drei Milliarden Jahren Material ausgeworfen wurde. Dann ist die Krustenstruktur unter der Sonde wahrscheinlich nicht repr?sentativ für die allgemeine Krustenstruktur auf dem Mars?, erkl?rt Kim.

Das R?tsel der Mars-Dichotomie l?sen

Die neuen Untersuchungen k?nnten zudem helfen, ein Jahrhunderte altes R?tsel zu l?sen. Seit die ersten Teleskope auf den Mars gerichtet wurden, weiss man, dass ein scharfer Kontrast zwischen Süd- und Nordhalbkugel existiert. W?hrend die südliche Hemisph?re von einem von Meteoritenkratern bedeckten Hochplateau gepr?gt ist, besteht der n?rdliche Teil gr?sstenteils aus flachen, vulkanischen Tiefebenen, die in der Frühgeschichte des Planeten von Ozeanen bedeckt gewesen sein k?nnten. Diese Aufteilung in südliches Hochland und n?rdliches Tiefland wird Mars-Dichotomie genannt.

?Bisher gibt es keine akzeptierte Erkl?rung für die Dichotomie, weil wir ihre tiefe Struktur nie sehen konnten?, sagt Domenico Giardini, ETH-Professor für Seismologie und Geodynamik: ?Nun beginnen wir, diese Struktur aufzudecken.? Erste Resultate widerlegen offenbar eine der bisher g?ngigen Theorien für die Mars-Dichotomie: Die Krusten im Norden und Süden bestehen vermutlich nicht aus unterschiedlichen Materialien wie bisher oft angenommen, und ihre Struktur k?nnte in relevanten Tiefen überraschend ?hnlich sein.

Langes Warten auf die Welle

Schon bald erwarten die ETH-Forschenden weitere Ergebnisse. Denn im Mai 2022 beobachtete InSight das bisher gr?sste Marsbeben mit einer Magnitude 5 – ein Ereignis, bei dem ebenfalls Oberfl?chenwellen aufgezeichnet wurden. Es geschah gerade noch rechtzeitig, bevor die InSight-Mission zu Ende geht, weil der Sonde allm?hlich der Strom ausgeht. Eine erste Analyse der Daten best?tigt die Erkenntnisse, welche die Forschenden aus den beiden Meteoriteneinschl?gen gewonnen haben. ?Es ist verrückt: Wir haben so lange auf diese Wellen gewartet und nun hatten wir nur Monate nach den Meteoriteneinschl?gen dieses grosse Beben, das ?usserst reichhaltige Oberfl?chenwellen erzeugt hat. Diese erlauben es uns, noch tiefer in die Kruste vorzudringen: bis in etwa 90 km Tiefe.?

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Video: Flyby eines grossen neuen Meteoritenkraters (Christmas Crater).

InSight-Mission

InSight (Interior Exploration using Seismic Investigations, Geodesy and Heat Transport) ist eine unbemannte Mars-Mission der externe SeiteNASA. Im November 2018 gelangte der station?re externe SeiteLander, der mit einem Seismometer und einer W?rmeflusssonde ausgestattet ist, sicher auf die Marsroberfl?che. Die geophysikalischen Instrumente auf dem roten Planeten erlauben es, sein Inneres zu erforschen. Eine Reihe von europ?ischen Partnern, darunter das franz?sische Centre National d'?tudes Spatiales (CNES) und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), unterstützen die InSight-Mission. Das CNES stellte der NASA das Instrument Seismic Experiment for Interior Structure (SEIS) zur Verfügung, wobei der Hauptforscher am IPGP (Institut de Physique du Globe de Paris) angesiedelt ist. Wesentliche Beitr?ge für SEIS kamen vom IPGP, dem Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) in Deutschland, dem Imperial College London und der Universit?t Oxford in Gro?britannien sowie dem Jet Propulsion Laboratory (USA).

Literaturhinweis

Kim D, Banerdt WB, Ceylan S, et al.: Surface Waves and Crustal Structure on Mars, Science, published online Oct 27th 2022. externe SeiteDOI: 10.1126/science.abq7157

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