Photovoltaikanlagen in den Alpen auf dem Stausee Lac des Toule

Vom Preisschock zur Abkehr von fossilen Brennstoffen

Derzeit steigen die ?l- und Gaspreise, und es stellt sich die Frage, wie sicher die Energieversorgung in der Schweiz ist. In einem Positionspapier zeigen nun Forschende des Energy Science Center der ETH Zürich auf, was die Schweiz tun kann, um ihr Energiesystem von fossilen Energietr?gern wie ?l und Gas unabh?ngig zu machen.

von Florian Meyer
Photovoltaikanlagen in den Alpen auf dem Stausee Lac des Toule (Bild: Keystone)

Seitdem Russland im Februar in der Ukraine einmarschierte, sind die Preise für ?l und Erdgas stark gestiegen. Dieser Anstieg l?sst auch die Konsument:innen in der Schweiz deutlich spüren, wie sehr die Energiesicherheit eines Landes gef?hrdet sein kann, wenn seine Versorgung stark vom Import von Erdgas und anderen fossilen Brennstoffen abh?ngt. Der Importanteil ist in der Schweiz sehr hoch: Gem?ss Zahlen des Bundesamts für Energie importierte die Schweiz allein 2020 rund die H?lfte ihres Prim?renergiebedarfs über fossile Energietr?ger (Erd?l, Erdgas und Kohle). Rechnet man die importierten Kernbrennstoffe für die Stromproduktion in den Atomkraftwerken hinzu, so bezieht sie 72 Prozent ihres Prim?renergiebedarfs aus dem Ausland.

Sollte sich der energiepolitische Konflikt weiter versch?rfen oder andere hinzukommen, k?nnte die Energieversorgung der Schweiz in eine prek?re Situation geraten. Angesichts der aktuellen energiepolitischen Entwicklungen und mit Blick auf das klimapolitische Ziel, bis 2050 netto null Treibhausgasemissionen (THG) zu erreichen, w?re es eine logische Strategie, die Abh?ngigkeit von ausl?ndischen ?l- und Gasimporten drastisch zu reduzieren. Dies schreiben ETH-Energieforschende aus Maschinenbau, Elektrotechnik, Klimafinanzierung und -politik in dem heute ver?ffentlichten Positionspapier ?Schritte zur fossilen Unabh?ngigkeit für die Schweiz?.

Stand des Wissens in kondensierter Form

Verfasser:innen des Positionspapiers sind sechs Professorinnen und Professoren sowie fünf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der ETH-Energieforschung. Sie haben eine Expertengruppe gebildet, um zusammen die Schlüsselfragen zur Schweizer Versorgungssicherheit zu beantworten. In dem Positionspapier zeigen sie auf, wie die Schweiz in den n?chsten Jahren ihre Unabh?ngigkeit von fossilen Brennstoffen erh?hen kann – und welche politischen Schritte erforderlich sind, damit sie bis 2050 ein fossilfreies Energiesystem mit netto null Treibhausgasemissionen realisieren kann.

Porträtfoto von Christian Schaffner
?Es gibt kein Patentrezept in Form einer einzigen Technologie.?
Porträtfoto von Christian Schaffner
Christian Schaffner

Mit Ausnahme einer Befragung führte die Expertengruppe keine neuen Forschungsarbeiten durch, sondern sie fasste die gesicherten wissenschaftlichen Fakten und Erkenntnisse – einschliesslich der verfügbaren statistischen Daten des Bundesamts für Energie (BFE) und der internationalen Energie-Agentur (IEA) – zusammen, um den n?tigen Handlungsbedarf in Politik und Praxis zu skizzieren. Auf die Expertengruppe Versorgungssicherheit sollen in Zukunft weitere folgen und ebenfalls aktuelle Fragen aus dem Energiesektor aufgreifen.

Vernetzung mit Europa entscheidend

Im aktuellen Positionspapier kommen die ETH-Forschenden zum Schluss, dass ein treibhausgasfreies Energiesystem für die Schweiz bis 2050 sowohl technisch als auch wirtschaftlich machbar sei – die wissenschaftlichen Grundlagen dafür haben Forschende des Paul Scherrer Instituts (PSI) und der ETH Zürich erarbeitet (siehe Literaturbox unten: Kannan et al. 2022, Garrison et al. 2020 und Landis et al. 2019). Sie weisen jedoch darauf hin, dass Kosten und Nutzen der Energieversorgung sehr unterschiedlich ausfallen k?nnen, je nachdem welche energiepolitischen Schwerpunkte und Massnahmen umgesetzt werden.

Ein Beispiel ist die Kooperation mit Nachbarl?ndern: Die Schweiz wird auch in Zukunft nicht zu jedem Zeitpunkt genug Strom produzieren, um ihren gesamten inl?ndischen Bedarf autark decken zu k?nnen. Um im Inland eine sichere Versorgung zu gew?hrleisten, ist die Vernetzung des schweizerischen mit dem europ?ischen Energiesystem notwendig.

?Eine Insell?sung für das Schweizer Energiesystem ist ineffizienter und massiv kostspieliger als der Austausch mit den Nachbarl?ndern?, sagt Christan Schaffner, Gesch?ftsführer des ESC, der mit Kirsten Oswald die Arbeit der Expertengruppe koordinierte.

Kein technologisches Patentrezept

Den gr?ssten Beitrag zur Senkung des Energiebedarfs und der Treibhausgasemissionen wird die Schweiz durch die Elektrifizierung des Verkehrs und der Geb?ude erreichen, also durch den Ausstieg aus fossilen Kraftstoffen wie Benzin und Kerosin und aus Heizsystemen, die ?l oder Gas verbrennen.

In der Industrie wird der Ausstieg aus Erd?l und Erdgas schwieriger. Hier braucht es alternative Brennstoffe wie synthetisches Gas oder Wasserstoff. Erdgas sollte nur zusammen mit neuen ?emissionsnegativen? Technologien verwendet werden, die CO2 abscheiden und speichern k?nnen. ?Ein Netto-Null-Energiesystem wird auf einer vielf?ltigen Kombination von technischen, politischen und gesellschaftlichen Massnahmen beruhen. Es gibt kein Patentrezept in Form einer einzigen Technologie?, sagt Schaffner, ?die gr?ssten Herausforderungen sind nicht unbedingt technischer oder wirtschaftlicher, sondern vielmehr gesellschaftlicher Natur: Ohne das Engagement der ganzen Gesellschaft werden wir die Reduktionsziele nicht erreichen.?

Akzeptanz für Verzicht auf fossile Energie

Bereits zeigt sich, dass die Akzeptanz der Schweizer Bev?lkerung, um in Wohnh?usern aufs Heizen mit Heiz?l und Erdgas oder auf Autos mit Verbrennungsmotoren zu verzichten, seit Kriegsbeginn zugenommen hat. Dies geht aus einer neuen, repr?sentativen Befragung hervor, die die ETH-Forscher Anthony Patt und Bjarne Steffen mit 1000 Teilnehmenden im April 2022 durchführten, und die in das Positionspapier eingeflossen ist.

Demnach unterstützen Schweizerinnen und Schweizer fast alle politischen Massnahmen, die die Abh?ngigkeit von fossilen Brennstoffen beenden und die Nutzung erneuerbarer Energien f?rdern. Auch bei den politischen Parteien zeigen die Befragungsergebnisse eine breite Unterstützung für den Ausbau der heimischen Wind- und Solarenergie als Ersatz für fossile Energie.

Die Studie wird derzeit begutachtet und zur Publikation in einer Forschungszeitschrift vorbereitet. Als Working-Paper ist sie wie das Positionspapier auf der Website des Energy Science Center ?ffentlich zug?nglich.

Literaturhinweis

Positionspapier und Working Paper

Energy Science Center (2022). Schritte zur fossilen Unabh?ngigkeit für die Schweiz. Positionspapier der Expertengruppe Versorgungssicherheit.

Patt, A., & Steffen, B. (2022). A historical turning point? Early evidence on how the Russia-Ukraine war changes public support for clean energy policies. Working Paper der Befragung.

Weitere Literatur

Garrison, J., Gjorgiev, B., Han, X., van Niewkoop, R., Raycheva, E., Schwarz, M., Yan, X., Demiray, T., Hug, G., Sansavini, G. & Schaffner, C. (2020). Nexus-e: Scenario Results Report.  externe SeiteDOI: 10.3929/ethz-b-000471915

Kannan, R., Panos, E., Hirschberg, S., Kober, | Tom, & Bev, S. (2022). A net-zero Swiss energy system by 2050: Technological and policy options for the transition of the transportation sector. Futures & Foresight Science. externe Seitehttps://doi.org/10.1002/FFO2.126

Landis, F., Marcucci, A., Rausch, S., Kannan, R., & Bretschger, L. (2019). Multi-model comparison of Swiss decarbonization scenarios. Swiss Journal of Economics and Statistics, 155(1), 1–18. externe Seitehttps://doi.org/10.1186/s41937-019-0040-8

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