Guter Wissenschaftsjournalismus hat seinen Preis

Reto Knutti

Forschungsergebnisse für die Gesellschaft zu übersetzen, ben?tigt Ressourcen. Entweder bezahlen wir jemanden dafür, dass sie funktioniert. Oder wir bezahlen als Gesellschaft – n?mlich dann, wenn sie nicht funktioniert.

Nach mehreren Jahren harter Aufbauarbeit und Wissenschaftsjournalismus auf h?chstem Niveau stellt higgs.ch seinen Betrieb aus wirtschaftlichen Gründen ein. Weder Spenden noch Stiftungen noch Abo-Einnahmen konnten den Aufwand decken. Und die Hochschulen, die Zehntausenden von Forschenden, und die Hunderttausenden, die an einer Universit?t eine Ausbildung genossen haben? Sie schweigen.

verknüpfte schnüre
Entflechten, hinterfragen, zusammenführen, einordnen: Das kann Wissenschaftsjounalismus leisten. Die Schweizer Plattform higgs.ch vermittelt Wissenschaft in verschiedensten Formaten. (Bild: freshidea / Adobe Stock)  

Strategien liegen in den Schubladen und setzen Schimmel an. Stiftungen ziehen sich zurück. Die Bildungsinstitutionen sind nicht bereit, der Schweizer Bev?lkerung die Resultate von dem, was man mit Milliarden-Budgets an Steuergeldern erforscht hat, auch nur mit einem Bruchteil von einem Promille für ein Wissensportal wieder zug?nglich zu machen.

Die Frage der Finanzierung

Die Gründe dafür sind vielf?ltig. Stiftungen sprechen Anschubfinanzierungen und ziehen sich danach wieder zurück. ?berhaupt sind sie vorsichtig und wollen tunlichst vermeiden, dass ihre Projekte als (zu) politisch interpretiert werden. In anderen L?ndern geht das allerdings gut: Die European Climate Foundationsetzt sich explizit für ein Netto-Null-CO2-Ziel ein und unterstützt die Plattform Carbonbrief2, die erfolgreich Klimawissen für Medien und Interessierte aufbereitet.

Direktes Sponsoring der Medien von Seiten der Forschung – oder von Privaten oder Stiftungen – ist wegen Interessenkonflikten problematisch. Hochschulen k?nnen Steuergelder nicht direkt in private Medienunternehmen stecken. Die Unabh?ngigkeit der Medien muss zwingend gew?hrleistet sein. Solche strukturellen Fragen sind jedoch durchaus l?sbar, etwa über eine Stiftung, bei der ein separates Gremium über die F?rderung von Projekten oder Kan?len entscheidet. Und nicht zuletzt gibt es wohl starke Institutionen und Personen mit dem Not-invented-here-Syndrom, die externe Arbeiten weniger sch?tzen und lieber selber etwas lancieren, um die Deutungshoheit und Kontrolle nicht zu verlieren. Dies im Wissen, dass es wertvolle Jahre kosten wird, etwas Neues aufzubauen.

Den ?berblick zu behalten ist aufw?ndig

Aber zurück zu den fundamentalen Punkten: Warum braucht es Wissenschaftsjournalismus? Warum ist es so schwierig, und was wenn wir ihn nicht mehr haben? Die Welt ist komplex, die Herausforderungen sind vielschichtig, die Entwicklungen in Technologie und Big Data rasend schnell. Energiewende, Biodiversit?t, soziale Medien, Privatsph?re, Klimakrise, personalisierte Medizin: Niemand kann dem allem folgen. Das Bedürfnis nach verst?ndlicher Einordnung, nach Synthese und Kontext ist hoch. Das Vertrauen in die Wissenschaft ist grunds?tzlich vorhanden und w?hrend der Pandemie sogar noch gestiegen.

?Guter Wissenschaftsjournalismus f?rdert die F?higkeit, eine Statistik oder Grafik zu interpretieren, Behauptungen zu hinterfragen und sachlich zu argumentieren.?
Reto Knutti

Wissenschaftsjournalismus kann das leisten, ist jedoch aufw?ndig und teuer. Die Medien sind unter Druck, viele Menschen lesen kaum mehr. Was z?hlt ist ?Engagement?, also Clicks. Gleichzeitig verbreiten sich Fake News in den sozialen Medien so einfach und schnell wie nie. Das bereitet den N?hrboden für einen zunehmend polarisierten gesellschaftlichen und politischen Diskurs. Massgebend ist das eigene Weltbild, und nicht, ob eine Aussage faktisch stimmt. Donald Trump hat es in Perfektion gezeigt: Für Glauben und Ideologie reicht eine gefühlte Wahrheit, auch wenn sie auf Lügen basiert. Man muss sie nur genügend oft und schrill wiederholen und seine Gegner diskreditieren.

Fundiertes Wissen für fundierte Entscheide

Aber hilft das Verst?ndnis von Fakten bei diesen Problemen? Natürlich k?nnen weder die Wissenschaft als Disziplin noch einzelne Vertreterinnen und Vertreter die Politik bestimmen. Aus Fakten und Zahlen folgen a priori noch keine Entscheide. Aber Fakten bilden die Basis für eine informierte Debatte. Forschende k?nnen Szenarien rechnen, Kosten und Risiken bewerten, Zusammenh?nge aufzeigen und L?sungsans?tze vorschlagen. Das kann ein Spannungsfeld erzeugen für alle Beteiligten, hier hat Covid-19 viel mit der Klimakrise gemeinsam (siehe Blogbeitrag).

Dieser Diskurs ist manchmal anstrengend, aber wir müssen ihn aushalten. Für eine Demokratie ist es essenziell, dass Politik und die ?ffentlichkeit die Grundlagen verstehen, um fundiert Entscheide zu treffen. In der Schweiz ist das besonders wichtig, weil das Volk das letzte Wort hat.

Genau dazu leistet guter Wissenschaftsjournalismus einen wichtigen Beitrag: Er vermittelt ein Grundverst?ndnis davon, wie neues Wissen entsteht, was unsere Welt zusammenh?lt, wie Natur, Technologie und Gesellschaft funktionieren und interagieren. Er f?rdert die F?higkeit, eine Statistik oder Grafik zu interpretieren, Behauptungen zu hinterfragen und sachlich zu argumentieren. Und er hat auch gegenüber der Wissenschaft die Funktion der vierten Gewalt: Er begleitet kritisch und ordnet ein.

Einer Gesellschaft, die nicht liest, nicht versteht, keinen kritischen Diskurs zu führen vermag oder sich allzu einfach t?uschen l?sst, wird kurzsichtige Entscheide treffen. Das ist auf lange Sicht riskant. Mit allem was auf dem Spiel steht, sollte uns eine starke Stimme der Wissenschaft also etwas wert sein.

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