Was das neue Pan-Genom über Rindergene verrät

Forschende der ETH Zürich verglichen Referenzgenome von mehreren Hausrindrassen sowie nahe verwandten Wildrindern. Dadurch entdeckten sie Gene mit bisher unbekannten Funktionen.

Kuh
Genomdaten des Original Schweizer Braunviehs flossen in das erste Pangenom des Hausrinds ein. (Bild: Colourbox)

Die heutige genetische Forschung arbeitet oft mit sogenannten Referenzgenomen. Dabei handelt es sich um Daten von DNA-Sequenzen, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als repr?sentatives Beispiel für die genetische Ausstattung einer Art zusammengestellt haben.

Um ein Referenzgenom zu erstellen, verwenden Forschende normalerweise DNA-Sequenzen von einem bis wenigen Individuen, was die gesamte genetische Vielfalt von Individuen oder Teilpopulationen nur schlecht repr?sentiert. Deswegen entspricht eine Referenz nicht immer exakt dem Gensatz eines bestimmten Individuums.

Weil es bis vor einigen Jahren sehr aufw?ndig, teuer und zeitraubend war, solche Referenzgenome zu erzeugen, konzentrierte sich die Forschung auf die Genome des Menschen und der wichtigsten biologischen Modellorganismen wie etwa dem Fadenwurm C.elegans.

Mittlerweile verfügen Forschende aber über schnelle Sequenziermaschinen, ausgefeilte Algorithmen, welche die ausgelesenen DNA-Sequenzen zu ganzen Chromosomen zusammensetzen, und viel mehr Rechenpower, so dass nun zunehmend auch für andere Arten Referenzgenome erstellt werden sollen. Wollen Forschende die Evolution und weitere grundlegende Fragen der Biologie besser verstehen, ben?tigen sie qualitativ hochwertige Referenzgenome von m?glichst vielen Arten.

Das trifft auch auf Nutztiere zu. Für das Hausrind (Bos taurus) war bis vor kurzem nur ein einziges Referenzgenom verfügbar: das von der Kuh ?Dominette? der Rasse ?Hereford?. Mit dieser Referenz glichen Forschende bisher andere DNA-Sequenzen von Rindern ab, um genetische Variationen aufzuspüren und entsprechende Genotypen zu definieren. Die bisherige Referenz bildet jedoch die Diversit?t der Art nicht ab, denn sie beinhaltet keine genetischen Varianten, an denen sich Individuen unterscheiden.

Lücke gefüllt

Ein Forschungsteam um Hubert Pausch, Professor für Tiergenomik der ETH Zürich, hat nun diese Lücke gefüllt: Die Forschenden haben mit den Genomen von drei weiteren Hausrindrassen, darunter das Original Schweizer Braunvieh, zwei nahe verwandten Arten wie dem Zebu-Rind und dem Yak sowie mit dem bisherigen Referenzgenom des Hausrinds ein sogenanntes Pangenom erstellt. Die entsprechende Studie wurde soeben im Fachmagazin PNAS vorgestellt.

Stammbaum Rinder
Stammbaum des Hausrinds: So sind verschiedene Rinderrassen miteinander verwandt. Die Genome der jeweiligen Rassen und Arten (Yak und Zebu) flossen in das Pan-Genom ein. (Grafik: ETH Zürich / Colourbox)

Dieses Rinder-Pangenom integriert Sequenzen, die in den sechs individuellen Referenzgenomen enthalten sind. ?Auf diese Weise konnten wir sehr pr?zise aufzeigen, welche Sequenzen etwa im Hereford-basierten Referenzgenom fehlen, aber zum Beispiel in unserem Original Braunvieh-Genom oder den Genomen von weiteren Rinderrassen und -arten vorhanden sind?, sagt Pausch.

Neue Gene und Funktionalit?ten gefunden

So fanden die ETH-Forschenden zahlreiche DNA-Sequenzen und sogar ganze Gene, die im bisherigen Referenzgenom der Hereford-Kuh fehlten. Indem die Forschenden in einem weiteren Schritt die Transkripte dieser Gene (also Boten-RNA-Moleküle) untersuchten, konnten sie einige der neu gefundenen Sequenzen als funktional und biologisch relevant einstufen. Viele der gefundenen Gene stehen beispielsweise in Zusammenhang mit Immunfunktionen: Bei Tieren, die mit pathogenen Bakterien Kontakt hatten, waren diese Gene st?rker oder weniger aktiv als bei jenen, die keinen Kontakt mit den Erregern hatten.

M?glich wurde die vorliegende Arbeit durch eine neue Sequenziertechnologie, die seit einem Jahr am Functional Genomics Center der ETH Zürich verfügbar ist. Mit dieser neuen Technologie k?nnen die Forschenden lange DNA-Abschnitte pr?zise auslesen, so dass der Rechenvorgang weniger komplex wird, um die analysierten Abschnitte richtig zusammenzusetzen. ?Die neue Technologie hat das Zusammensetzen eines Genoms vereinfacht. Wir k?nnen nun Referenzgenome von Grund auf schnell und genau erstellen?, sagt Pausch. Zudem sind die Kosten für solche Analysen gesunken, sodass Forschende Genome in Referenzqualit?t nun von vielen Individuen einer Art erzeugen k?nnen.

Die ETH-Forschenden arbeiten eng mit dem ?Bovine Pangenome?-Konsortium zusammen. Dieses m?chte ein Referenzgenom von mindestens je einem Tier aus allen Rinderrassen weltweit erstellen. Auch das Erbgut von nicht-domestizierten Verwandten der Hausrinder soll auf diese Weise analysiert werden.

Gezieltere Züchtung m?glich

Das Konsortium und auch ETH-Professor Pausch hoffen, dass sie dank der Referenzgenom-Sammlung beispielsweise Genvarianten finden, die es in domestizierten Tieren nicht mehr gibt, in wilden Verwandten hingegen schon. Das gibt Hinweise darauf, welche genetischen Eigenschaften durch die Domestizierung verloren gingen.

?Spannend wird es besonders, wenn man unsere heimischen Rinder mit dem Zebu vergleicht oder mit Rassen, die an andere klimatische Begebenheiten angepasst sind?, erkl?rt er. Die Forschung erh?lt dadurch Informationen, welche Gen-Varianten Tiere in tropischen Umgebungen hitzetoleranter machen. Der n?chste Schritt k?nnte dann sein, diese Varianten gezielt in andere Rinderrassen einzukreuzen oder durch Genom-Editierung pr?zise einzubringen. Bis dahin ist es allerdings ein weiter Weg. Das neue Pangenom des Rindes erlaubt es den Forschenden nun, Gene und DNA-Varianten, die sich zwischen Rinderrassen unterscheiden, schneller und pr?ziser aufzuspüren.

Literaturhinweis

Crysnanto D, Leonard AS, Fang Z-H, Pausch H. Novel functional sequences uncovered through a bovine multiassembly graph. PNAS, 18. Mai 2021, 118 (20) e2101056118; doi: externe Seite10.1073/pnas.2101056118

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