Etablierte Denkmuster aufbrechen

ETH News: Was ist ihre pers?nliche Motivation, die Leitung des Collegiums zu ¨¹bernehmen?
Sebastian Bonhoeffer: Orte wie das Collegium fand ich schon immer sehr spannend: Begegnungsorte, in denen Menschen den Freiraum finden, sich ein wenig aus dem Alltagsgeschehen herauszul?sen und vertieft ¨¹ber Dinge nachzudenken.

An welche Themen denken Sie konkret?
Die Frage habe ich erwartet, aber ich verstehe meine prim?re Rolle nicht so, dass ich bestimme, wor¨¹ber ideenreiche K?pfe nachdenken sollen. Wer zuviel vorgibt, l?uft immer Gefahr, das Denken und die Kreativit?t einzuschr?nken. Das machen wir in unserem Alltag schon zu oft. Nat¨¹rlich braucht es gewisse Leitplanken, aber das Collegium sehe ich hier als einen idealen Ort, kreativen Freiraum zu erm?glichen. Die Themenkreise werden dann ?bottom up? entstehen.

Wie definieren Sie Ihre Rolle als neuer Leiter?
Ich m?chte Strukturen schaffen, in denen das Collegium lebendiger wird und so ein Umfeld kreieren, in dem beim f?cher¨¹bergreifenden Austausch wirklich Neues entsteht. Dazu m?chte ich vermehrt die akademischen G?ste einbeziehen, welche die Z¨¹rcher Hochschulen zum Beispiel im Rahmen eines Sabbaticals besuchen. Diese Menschen sind ja unterwegs, weil sie sich intensiv mit neuen Fragen besch?ftigen m?chten, sich die Zeit daf¨¹r nehmen und offen sind f¨¹r den Austausch.

Trandisziplinarit?t bildet das Zentrum des Collegiums. Welches war Ihre letzte wichtige Erkenntnis, die Sie aus einem anderen Bereich erhalten haben?
Das Thema, das uns alle besch?ftigt ¨C die Coronakrise ¨C ist f¨¹r mich ein sehr aktuelles Beispiel daf¨¹r. Als Mitglied der Science Task Force habe ich mich fortlaufend und intensiv mit den Kolleginnen aus der Wirtschaftswissenschaft oder der Ethik ausgetauscht. Dabei ist mir bewusst geworden, dass man einer so komplexen Situation nur gerecht wird, wenn man alle Perspektiven einbezieht. Das sehen wir in der Infektionsbiologie: Die Entwicklung von Impfstoffen ist absolut zentral, aber damit alleine hat man noch keine Epidemie ausgerottet ¨C hier braucht es beispielsweise auch die Sozialwissenschaften.
 

Mit der ZHdK ist auch die Kunst in den Think Tank integriert. Was kann die Kunst, was die Wissenschaften nicht k?nnen?  
Die Kunst spricht in einer ganz anderen Art zu den Menschen als die Wissenschaft, und sie erfasst damit wohl besser die Gesamtheit des menschlichen Wesens. Was aber beide ¨C Kunst und Wissenschaft ¨C brauchen, ist die Kreativit?t. Ich mache die Erfahrung: Wenn sich die Bereiche treffen, empfinden es alle als sehr bereichernd, weil es ganz neue Perspektiven er?ffnet.   

Sie selber sind Naturwissenschaftler und Cellist ¨C was bedeutet das f¨¹r Ihre neue Funktion?
Die Musik ist seit je her meine Leidenschaft und meine Ausbildung als Cellist pr?gt mich wohl ein bisschen auch als Wissenschaftler. Ich schreibe deswegen nicht ein besseres Paper, aber f¨¹r mich ist Musik eine Quelle der Inspiration und sch?rft mein Bewusstsein daf¨¹r, was aus einem inneren Antrieb heraus alles m?glich ist. Wenn eigenes Interesse und Leidenschaft auf ein freies und inspirierendes Umfeld stossen, kann Grossartiges entstehen ¨C hoffentlich auch am Collegium Helveticum.

Warum braucht es ein Collegium Helveticum?
Da w¨¹sste ich sehr viele Antworten, aber ich beschr?nke mich auf zwei. Erstens ist es wohl f¨¹r jeden wichtig, mal aus seinem ?Hamsterrad? auszusteigen, um eine neue Perspektive zu gewinnen. Das klingt vielleicht nach ?Luxus?. Ich bin aber ¨¹berzeugt, dass das insbesondere in kreativen und akademischen Berufen letztlich die Produktivit?t erh?ht. Erfahrungsberichte zum Beispiel aus dem Wissenschaftskolleg zu Berlin zeigen dies eindr¨¹cklich.
Zweitens fehlt aus meiner Sicht in unserer Gesellschaft zunehmend der Raum f¨¹r offene Debatte. Offene Debatte w¨¹rde heissen, man steigt mit einer Ansicht in die Diskussion ein und kommt mit einer anderen wieder heraus. Das Collegium ist im besten Sinne interdisziplin?r und m?chte explizit etablierte Denkmuster aufbrechen.

Und wie macht man das?
Das ist eine Frage der Kultur: L?sst man gegenl?ufige Meinungen zu? Und was machen wir damit? Menschen sollte man nicht danach beurteilen, wo sie in die Debatte eintreten, sondern wie sie aus dem Prozess herauskommen.

Welche Aussenwirkung soll das Collegium Helveticum haben?
Obwohl wir hier in Z¨¹rich hochtalentierte Menschen haben, m?chte ich das Collegium internationaler vernetzen, denn auch Z¨¹rich braucht eine Aussenperspektive. Aber nat¨¹rlich m¨¹ssen wir die Reflexionen auch in die Gesellschaft tragen. Es gab schon immer Ausstellungen und Veranstaltungen, welche f¨¹r die ?ffentlichkeit gedacht waren, zuk¨¹nftig d¨¹rfen sie gerne auch in einem etwas gr?sseren Rahmen stattfinden. Insgesamt soll es das Collegium Z¨¹rich noch attraktiver machen ¨C vielleicht als eine Stadt der ?K¨¹nstler und Denker??

Ist das nicht ein bisschen elit?r?
Elit?r kann ja bedeuten, dass man sich ab- und andere ausgrenzt, und damit kann ich nichts anfangen. Die T¨¹ren des Collegiums stehen allen offen, die sich f¨¹r den f?cher¨¹bergreifenden Austausch interessieren. Sich intensiv und vertieft mit Dingen zu befassen, bei denen vielleicht nicht ein unmittelbarer Nutzen erkennbar ist, war aber noch nie ein Massenph?nomen. Wenn man zum Beispiel an die Salons im 19. und 20. Jahrhundert denkt, wo sich Menschen getroffen und inspiriert haben, dann erkennt man, was f¨¹r einen ungeheuren kulturellen und geistigen Wert solche Orte haben k?nnen.   

Was w?re f¨¹r Sie ein Erfolg?
Nicht jedes Gelingen ist quantifizier- und messbar. Erfolg w?re f¨¹r mich, wenn die Menschen, die sich im Collegium begegnen, dies als eine echte Bereicherung empfinden und wenn der Austausch, der dort stattfinden wird, ihr Denken, Handeln und Arbeiten nachhaltig beeinflusst.