Pandemie-Bedrohungen proaktiver angehen

Wenn wir die Auswirkungen künftiger Krankheitsausbrüche minimieren wollen, müssen wir die Bedeutung von Impfstoffen erkennen und in deren pr?ventive Entwicklung investieren, schreibt Tim Keys.

Tim Keys

Im Marathon der Entwicklung eines Impfstoffs gegen Covid-19 sind wir beim Endspurt angelangt. Zwei führende Impfstoffkandidaten erwiesen sich in Studien bei 95 Prozent der Teilnehmenden als wirksam. Zum ersten Mal k?nnen wir zuversichtlich sein, dass Impfstoffe dieser Pandemie ein Ende bereiten werden. Allerdings werden wir auch in Zukunft von neuauftretenden Infektionskrankheiten betroffen sein. Deshalb müssen wir uns schon jetzt die Frage stellen: Wie k?nnen wir die n?chste Pandemie vermeiden?

Die gegenw?rtige Pandemie werden wir wahrscheinlich innert wenigen Jahren unter Kontrolle bringen k?nnen. Bei Krankheiten wie Masern, Kinderl?hmung und Pocken war das anders, sie haben die Menschheit w?hrend Jahrhunderten geplagt. Erst in den letzten Jahrzehnten ist es uns mit Impfstoffen gelungen, die von ihnen verursachte Last an Todesf?llen und Behinderungen zu verringern oder gar ganz zu eliminieren. Dieser Erfolg hat allerdings eine Kehrseite: Das ?ffentliche Bewusstsein für die Gefahr, die von Infektionskrankheiten ausgeht, hat ebenfalls abgenommen.

Person bekommt Impfung
Die Entwicklung von Impfstoffen ist zwar teuer, deren volkswirtschaftlicher Nutzen ist jedoch – gerade bei einer Pandemie – um ein Vielfaches h?her (Symbolbild). (Bild: Adobe Stock)

Covid-19 erinnert uns schmerzlich daran, dass unsere Gesellschaft nach wie vor anf?llig ist auf neu auftretende Infektionskrankheiten. Weil viele Krankheitserreger heute mit Impfungen bek?mpft werden k?nnen, besteht die Herausforderung der kommenden Jahrzehnte darin, Impfstoffe zu entwickeln, die uns vor künftigen Krankheitsbedrohungen schützen. 

Weitere Krankheitsausbrüche sind unvermeidlich

Immer wieder n?mlich springen Krankheiten vom Tier auf den Menschen über. Mit Covid-19 ist zum dritten Mal innert 20 Jahren ein Coronavirus von Flederm?usen auf den Menschen gesprungen, nach Sars-1 im Jahr 2003 und Mers im Jahr 2012. Wild- und Haustierpopulationen sind ein Reservoir, in dem Krankheitserreger zirkulieren und neue Mechanismen entwickeln zur Infektion und Ausbreitung in neuen Wirten, so auch dem Menschen. Es ist nicht m?glich, den Sprung einer Krankheit auf Menschen zu verhindern. Mit einer guten Vorbereitung k?nnen wir solche Ausbrüche jedoch eind?mmen, bevor sie sich zu einer Epidemie oder gar Pandemie entwickeln.

Diese Vorbereitung umfasst im Wesentlichen drei Dinge: Erstens wachsam zu sein und zu erkennen, welche Infektionskrankheiten auftreten und zirkulieren (Monitoring), zweitens solche Erreger zu erforschen und drittens gegen sie pr?ventiv Impfstoffe zu entwickeln.

Meist scheitern wir an diesem dritten Punkt, und dafür gibt es gute Gründe: Die Entwicklung eines Impfstoffs von der ersten Idee bis zum erfolgreichen Abschluss von klinischen Studien kann mehr als ein Jahrzehnt dauern und kostet über 500 Millionen US-Dollar. Das Risiko eines Scheiterns ist hoch. Und selbst wenn die Entwicklung erfolgreich ist, ist die Aussicht auf einen kommerziellen Erfolg bei einem solchen Impfstoff gering, denn bereits eine verh?ltnism?ssig geringe Anzahl Dosen reicht, um einen Ausbruch zu beenden. Entsprechende Projekte werden daher nur selten zu Ende geführt.

Lehren von Ebola und Sars-1

Ein tragisches Beispiel ist der Impfstoff gegen Ebola. Obschon w?hrend mehr als zehn Jahren an seiner Entwicklung gearbeitet wurde, war er erst ein Jahr nach dem Ausbruch der Krankheit 2014 in Westafrika einsatzbereit. Bei diesem Ausbruch starben 11'000 Menschen. Heute wissen wir, dass der Impfstoff einen 100%-igen Schutz gegen die Krankheit bietet.

Bei Sars-1 versiegten die finanziellen Anreize für die Entwicklung eines Impfstoffs, nachdem der Ausbruch unter Kontrolle gebracht wurde. Im vergangenen April ver?ffentlichte Laborstudien deuten darauf hin, dass ein Impfstoff gegen Sars-1 m?glicherweise einen gewissen Schutz vor einer Covid-19-Infektion geboten h?tte1. W?re die Entwicklung fortgesetzt worden, h?tte ein Sars-1-Impfstoffkandidat in der Frühphase des Covid-19-Ausbruchs getestet werden k?nnen. M?glicherweise h?tte er die Covid-Epidemie zum Stillstand gebracht, bevor sie sich zu einer Pandemie ausgeweitet hat.

?Wenn wir die Folgen künftiger Ausbrüche minimieren wollen, ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Gesellschaft den wahren Wert von Impfstoffen versteht.?Tim Keys

Vorsorge zahlt sich aus. Und es gibt auch positive Beispiele, die das zeigen: Die schnelle Entwicklung von Covid-19-Impfstoffen ist auch mehreren Jahren an Grundlagenforschung und angewandter Impfstoffforschung zum Mers-Virus zu verdanken. Mehrere Mers-Impfstoffprojekte wurden langfristig finanziell unterstützt von der Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (Cepi), einem Konsortium von ?ffentlichen, privaten und philanthropischen Geldgebern. So waren es für Mers entwickelte Impfstoff-Strategien, welche die sofortige Herstellung von vielversprechenden Covid-19-Kandidaten erm?glichten2. Man kann den Einfluss der Mers-Impfstoffforschung auf unsere gegenw?rtige Situation jedenfalls kaum hoch genug einsch?tzen. Ohne diese Vorarbeiten h?tte es Jahre gedauert, bis ein wirksamer Covid-19-Impfstoff entwickelt worden w?re. 

Hohe Kosten lohnen sich

Das Cepi-Konsortium verfolgt das Ziel, die Entwicklung von mindestens einem Impfstoffkandidaten für jede der von der WHO als ?vorrangig? eingestuften Krankheiten zu finanzieren und Dosen für sofortige Wirksamkeitstests im Falle eines Ausbruchs zu lagern. Das Konsortium sch?tzt die Kosten hierfür auf 4 Milliarden US-Dollar3. Diese Zahl scheint gross zu sein, im Vergleich zu den gesch?tzten 10 Billionen US-Dollar, die die Covid-19-Pandemie die Weltwirtschaft voraussichtlich kosten wird4, ist sie allerdings winzig – vom vermiedenen menschlichen Leid ganz zu schweigen.

Wenn wir die Folgen künftiger Ausbrüche minimieren wollen, ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Gesellschaft den wahren Wert von Impfstoffen versteht und die Regierungen in die pr?ventive Entwicklung von Impfstoffen investieren.

Referenzen

1 Walls CA et al.: Structure, Function, and Antigenicity of the SARS-CoV-2 Spike Glycoprotein. Cell 2020, 181:281, doi: externe Seite10.1016/j.cell.2020.02.058

2 Corbett KS et al.: SARS-CoV-2 mRNA vaccine design enabled by prototype pathogen preparedness. Nature 2020, 586: 567, doi: externe Seite10.1038/s41586-020-2622-0

3 Gouglas D et al.: Estimating the cost of vaccine development against epidemic infectious diseases: a cost minimisation study. Lancet Global Health 2018, 6: e1386, doi: externe Seite10.1016/S2214-109X(18)30346-2

4 externe SeiteSchwab J: Fighting COVID-19 could cost 500 times as much as pandemic prevention measures

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