Mit medizinischen Mikrorobotern zum Durchbruch des Jahres

Das grosse Finale der ?Falling Walls Conference? am 9. November in Berlin musste aufgrund der Covid-19-Situation dieses Jahr zum ersten Mal online durchgef¨¹hrt werden. Dabei wurden die ?Breaktroughs of the Year? in zehn Kategorien gek¨¹rt. Zum 31. Geburtstag des Mauerfalls in Berlin wollen die Veranstalter damit zeigen, welche ?Mauern? in Wissenschaft und Gesellschaft als n?chstes fallen werden. Die Jurys hatten daf¨¹r aus ¨¹ber 600 Finalisten in jeder Kategorie zehn Gewinnerinnen ausgew?hlt. Darunter befanden sich dieses Jahr gleich f¨¹nf Forschende der ETH Z¨¹rich (siehe Kasten).

ETH-Pr?sident Jo?l Mesot, der dieses Jahr die zehnk?pfige Jury der Kategorie ?Engineering & Technology? pr?sidierte, sagte anl?sslich der Preisverleihung: ?In Zeiten wie diesen ist es besonders wichtig, dass wir k¨¹hne Forschungsideen sichtbar machen, die gesellschaftliche Herausforderungen adressieren. Der World Science Summit bietet eine wichtige B¨¹hne, um die Kreativit?t von Forschenden aus ganz Europa hochleben zu lassen.? Diese Jahr fiel die Wahl in der Kategorie ?Engineering & Technology? einstimmig auf Metin Sitti, der in den vergangenen Jahren immer wieder durch ¨¹berraschende und innovative Entwicklungen in Mikrotechnik und Robotik aufgefallen ist. Sitti ist aktuell Professor an der Universit?t Ko? in Istanbul und Direktor am Max-?Planck-Institut f¨¹r Intelligente Systeme in Stuttgart. Diesen Mai wurde er zus?tzlich zum affiliierten Professor am Departement Informationstechnologie und Elektrotechnik der ETH Z¨¹rich berufen.

Mikroroboter auf fantastischer Reise

Als wichtige Inspiration f¨¹r seine Forschungskarriere nennt Metin Sitti den Kultfilm ?Fantastic Voyage? von 1966. Dort wird ein U-Boot inklusive Expeditionsteam soweit geschrumpft, dass es in die Blutbahn eines Patienten injiziert und auf eine Reise durch Kapillaren und Organe geschickt werden kann. Dies mit dem Ziel, ein Blutgerinnsel im Hirn des Patienten zu zertr¨¹mmern. Was sich f¨¹r die meisten nach wie vor nach Science Fiction anh?rt, illustriert f¨¹r Sitti (abgesehen von der Schrumpfung der Forschenden) die Zukunft der Medizin. Heute entwickelt er selbst winzige, f¨¹r das Auge praktisch nicht mehr sichtbare Roboter f¨¹r medizinische Zwecke. Auch sie sollen einst in unseren Blutbahnen zirkulieren, um dort Krankheiten zu diagnostizieren und im besten Fall auch gleich zu behandeln.

Metin Sitti wuchs in der T¨¹rkei auf. Als Kind verbrachte er viel Zeit damit, Tiere zu beobachten und deren Bewegung und Verhalten zu studieren. Trotzdem entschied er sich nicht f¨¹r ein Biologie- sondern f¨¹r ein Ingenieurstudium an der Bo?azi?i Universit?t in Istanbul. Sein Doktorat absolvierte er an der Universit?t von Tokyo in Japan. Nach einem dreij?hrigen Forschungsaufenthalt an der Universit?t Berkeley in Kalifornien, forschte und lehrte er zwischen 2002 und 2014 als Professor an der Carnegie Mellon Universit?t in Pennsylvania. ?Die Mikrotechnik und -robotik gab mir die M?glichkeit, meine Faszination f¨¹r die Natur und deren Lebewesen zu einem wichtigen Bestandteil meiner Arbeit zu machen?, erz?hlt Sitti. ?Damit ging f¨¹r mich ein Traum in Erf¨¹llung.?

Innovation mit Geckos als Vorbild

F¨¹r die Entwicklung einer neuen Generation von Klebe- und Haftmaterialien orientierte er sich zum Beispiel an den F¨¹ssen von Geckos. Die Tiere k?nnen aufgrund von Millionen feinster H?rchen und der dadurch erzeugten Adh?sion, sogar kopf¨¹ber auf einer Glasscheibe laufen. Sitti und sein Team haben Polymerfilme entwickelt, die durch die Eigenschaften der Geckos inspiriert sind. Das Material hat wenige Mikrometer grosse, pilzf?rmigen Spitzen, deren zwischenmolekularen Kr?ften dazu f¨¹hren, dass der Film aussergew?hnlich gut haftet und langlebig ist. Dies im Gegensatz zu markt¨¹blichen Haftmaterialien, deren Effekt auf chemischer Reaktion in feuchter Umgebung beruht. 2009 gr¨¹ndete er das Spin-off-Unternehmen ?nanoGriptech?, das die Haft- und Klebematerialien f¨¹r Anwendungen in Medizin, Sportequipment, Halbleiter und Robotik weiterentwickelt. Sitti ist stets an praktischen Anwendungen seiner Forschung interessiert: Aktuell laufen zw?lf Patente auf seinen Namen, 15 weitere sind in Bearbeitung.

Im Zentrum von Sittis aktueller Forschung an der ETH steht die bio-?inspirierte Mikro-? und Nanorobotik und dabei insbesondere die Kopplung von Mikrorobotern mit der Magnetresonanztomographie (MRI). Dadurch soll es eines Tages m?glich werden, die kabellosen Roboter im K?rper exakt abzubilden, zu ¨¹berwachen und zu steuern. K¨¹rzlich pr?sentierte er einen biokompatiblen Mikroroboter, lediglich 3,7 Millimeter lang, 1,5 Millimeter breit und 0,18 Millimeter dick. Dieser kann sich auf sieben unterschiedliche Arten im K?rper fortbewegen, darunter rollend, schwimmend und springend. Als Vorbild dienten Mikroorganismen. Der Roboter ist mit winzigen Magneten ausgestattet, die extern ¨¹ber ein elektromagnetisches Feld unterschiedlich angeregt werden k?nnen. Die Intelligenz eines solchen Mikroroboters beruht haupts?chlich auf dessen physischem Aufbau, dem verwendeten Material, und der F?higkeit zur Selbstorganisation ¨C und nicht wie bei gr?sseren Robotern auf leistungsf?higen Computern. ?Es ist das erste Mal, dass ein Roboter in dieser Gr?sse so viele Bewegungsm?glichkeiten vereint?, sagt Sitti. ?Dadurch k?nnte er sich in praktisch allen Bereichen unseres K?rpers fortbewegen.?

Auch hat sein Team k¨¹rzlich eine weiche Kapsel von wenigen Mikrometern Durchmesser entwickelt, mit welcher fl¨¹ssige Wirkstoffe mit h?chster Pr?zision durch einen ?usseren Impuls an der Zielstelle im Organismus appliziert werden k?nnen. Auch nicht-invasive Biopsien sollen damit m?glich werden. Bis die Roboter f¨¹r eine zunehmend personalisierte Medizin zum Einsatz kommen, ist wegen der hohen Sicherheitsanforderungen jedoch noch viel Forschung und Entwicklung n?tig. Eine der gr?ssten Herausforderungen ist die kontrollierte und pr?zise Steuerung der Roboter in turbulenten K?rperfl¨¹ssigkeiten und pulsierenden Organen. Sitti rechnet mit zehn Jahren bis zu ersten klinischen Anwendungen am Menschen. Von den Vorteilen einer durch Mikro- und Nanorobotik erg?nzten Medizin ist er aber schon heute ¨¹berzeugt: ?Wir sind auf dem Weg zu einer Medizin, mit der wir Krankheiten fr¨¹her erkennen und mit viel weniger Nebenwirkungen behandeln k?nnen.?