Überraschend verformbares Silizium

Forschende der ETH Zürich und der Empa haben gezeigt, dass man aus Silizium kleinste Objekte herstellen kann, die deutlich fester und verformbarer sind als bisher gedacht. Dadurch k?nnen etwa Sensoren in Handys kleiner und robuster werden.

Wenige Mikrometer grosse Siliziumsäulen unter dem Elektronenmikroskop: Solche Strukturen machen das Material elastischer. (Bild: Laszlo Pethö   / Empa)
Wenige Mikrometer grosse Siliziums?ulen unter dem Elektronenmikroskop: Solche Strukturen machen das Material elastischer. (Bild: Laszlo Peth? / Empa)

Seit vor sechzig Jahren der Mosfet-Transistor erfunden wurde, der auf dem Halbleiter Silizium basiert, ist dieses chemische Element aus unserem modernen Leben nicht mehr wegzudenken. Es erm?glichte den Siegeszug des Computers, und der Mosfet ist nunmehr das meisthergestellte Ger?t der Geschichte. Silizium ist leicht verfügbar, billig und hat ideale elektrische Eigenschaften, aber auch einen wichtigen Nachteil: Es ist sehr spr?de und bricht daher leicht. Dies kann zum Problem werden, wenn man aus Silizium Mikrosysteme, also nur wenige Mikrometer grosse mechanische Ger?te herstellen will, wie zum Beispiel Beschleunigungssensoren in modernen Handys.

An der ETH Zürich hat ein Team unter Leitung von Jeffrey Wheeler, Senior Scientist im Labor für Nanometallurgie, gemeinsam mit Kollegen des Labors für die Mechanik von Materialien und Nanostrukturen an der Empa gezeigt, dass Silizium unter bestimmten Bedingungen viel widerstandsf?higer und verformbarer sein kann, als man bisher gedacht hatte. Ihre Ergebnisse wurden jüngst im Fachjournal Nature Communications ver?ffentlicht.

Zehnj?hrige Fleissarbeit

?Das ist das Ergebnis einer zehnj?hrigen Fleissarbeit?, sagt Wheeler, der vor seiner Karriere an der ETH bei der Empa in Thun forschte. Um zu verstehen, wie kleinste Strukturen aus Silizium sich verformen k?nnen, nahm er im Rahmen eines SNF-Projekts eine weit verbreite Herstellungsmethode genauer unter die Lupe: den gebündelten Ionenstrahl. Ein solcher Strahl aus geladenen Teilchen kann sehr effektiv gewünschte Formen in eine Siliziumscheibe fr?sen, hinterl?sst dabei aber auch deutliche Spuren in Form von Oberfl?chensch?den und -defekten, die das Material leichter brechen lassen.

Lithographie mit Endreinigung

Wheeler und seine Mitarbeiter hatten die Idee, alternativ zur Ionenstrahl-Methode eine spezielle Form der Lithographie auszuprobieren. ?Zuerst stellten wir die gewünschten Strukturen – in unserem Fall winzige S?ulen – her, indem wir mit einem Gasplasma das nicht von einer Maske bedeckte Material von einer Siliziumoberfl?che weg?tzten?, erkl?rt Ming Chen, ein ehemaliger Doktorand aus Wheelers Arbeitsgruppe. In einem weiteren Schritt wird die Oberfl?che der teils weniger als hundert Nanometer breiten S?ulen zun?chst oxidiert und dann gereinigt, indem die Oxidschicht mit einer starken S?ure restlos entfernt wird.

Vergr?sserte Ansicht: Der Herstellungsprozess der festen, verformbaren Siliziumsäulen (links). Durch eine Maske aus Lack werden die Säulen zunächst geätzt, dann oxidiert und schliesslich gereinigt. Das Endresultat ist rechts zu sehen (Grafik: M.Chen/ETH Zürich).
Der Herstellungsprozess der festen, verformbaren Siliziums?ulen (links). Durch eine Maske aus Lack werden die S?ulen zun?chst ge?tzt, dann oxidiert und schliesslich gereinigt. Das Endresultat ist rechts zu sehen (Grafik: M.Chen/ETH Zürich).

Anschliessend untersuchte Chen mit einem Elektronenmikroskop die Festigkeit und plastische Verformbarkeit von verschieden breiten Siliziums?ulen und verglich die beiden Herstellungsmethoden miteinander. Dazu drückte er einen winzigen Diamantstempel in die S?ulen hinein und beobachtete deren Verformungsverhalten unter dem Elektronmikroskop.

Frappierende Ergebnisse

Die Ergebnisse waren frappierend: Die mit einem Ionenstrahl gefr?sten S?ulen brachen schon bei einer Breite von weniger als einem halben Mikrometer ein. Bei den per Lithographie-?Verfahren hergestellten S?ulen dagegen kam es erst bei Breiten über vier Mikrometern zu Spr?dbrüchen, dünnere Exemplare konnten der Belastung aber weitgehend widerstehen. ?Diese lithographischen Siliziums?ulen sind noch verformbar selbst bei zehnfach gr?sseren Dimensionen, als wir sie bei mit Plasma gefr?stem Silizium mit derselben Kristallrichtung beobachten konnten – und das bei doppelter Festigkeit!?, fasst Wheeler die Ergebnisse seiner Experimente zusammen.

Die Festigkeit der lithografisch erzeugten S?ulen erreichte sogar Werte, die man sich eigentlich nur theoretisch, also für ideale Kristalle, erwarten würde. Der Clou, so Wheeler, liegt in der absoluten Reinheit der S?ulenoberfl?chen, die mit der abschliessenden Reinigung erreicht wird. Dadurch bleiben wesentlich weniger Oberfl?chendefekte übrig, von denen ein Bruch im Material ausgehen kann. Mit Unterstützung von Alla Sologubenko, einer Forscherin am Mikroskopie-?Zentrum ScopeM der ETH, konnten die Forscher dank dieser zus?tzlichen Verformbarkeit auch eine auff?llige ?nderung der Verformungsmechanismen bei kleinen Dimensionen beobachten. Dies brachte neue Details zur Verformung von Silizium ans Licht.

Anwendungen in Handys

Die Resultate der ETH-?Forschenden k?nnten sich direkt auf die Herstellung von Silizium-?Mikrosystemen auswirken, meint Wheeler: ?In Handys eingesetzte Gyroskope, die Drehungen des Ger?tes nachweisen, k?nnten so noch kleiner und robuster werden.? Das sollte nicht allzu schwierig zu realisieren sein, da die Industrie bereits jetzt die von Wheeler und Kollegen untersuchte kombinierte ?tz-? und Reinigungsmethode verwendet.

Diese sollte auch für andere Materialien mit ?hnlicher Kristallstruktur wie der von Silizium anwendbar sein, vermuten die Forscher. Zudem k?nnte man mit elastischerem Silizium auch dessen elektrische Eigenschaften für bestimmte Anwendungen weiter verbessern. Durch eine starke Verspannung des Halbleiters kann n?mlich die Beweglichkeit seiner Elektronen erh?ht werden, wodurch sich beispielsweise kürzere Schaltzeiten erreichen lassen. W?hrend dazu bislang Nanodr?hte hergestellt werden mussten, k?nnte man dies nun direkt mit im Halbleiterchip integrierten Strukturen schaffen.

Vergr?sserte Ansicht: Siliziumsäulen verschiedener Grösse unter dem Elektronenmikroskop, von knapp 10 Mikrometern (links, der weisse Balken entspricht 3 Mikrometern) bis hinunter zu 150 Nanometern. (aus Chen M. et al, Nat.Comm, 2020)
Siliziums?ulen verschiedener Gr?sse unter dem Elektronenmikroskop, von knapp 10 Mikrometern (links, der weisse Balken entspricht 3 Mikrometern) bis hinunter zu 150 Nanometern. (aus Chen M. et al, Nat.Comm, 2020)

Literaturhinweis

Chen M, Peth? L, Sologubenko AS. et al. Achieving micron-scale plasticity and theoretical strength in Silicon. Nat Commun 11, 2681 (2020). externe Seitehttps://doi.org/10.1038/s41467-020-16384-5

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