«Wir haben es geschafft, genetische Daten über Ländergrenzen hinweg auszutauschen»

ETH-Professor Gunnar R?tsch hat massgeblich dazu beigetragen, die gr?sste ?ffentliche Datenbank zu schaffen für anonymisierte Informationen zu zwei bedeutenden Brustkrebs-Genen. Die Datenbank hilft, die Behandlung von Patientinnen zu verbessern. ETH-News unterhielt sich mit ihm über Hintergründe und Herausforderungen eines solchen Projekts.

Gunnar Rätsch
?Der Wert genomischer und medizinischer Daten steigt, wenn man Informationen verschiedener Datenbanken geeignet miteinander kombiniert?, sagt ETH-Professor Gunnar R?tsch. (Bild: MSKCC)

ETH-News: Warum ist es so wichtig, m?glichst viele Gen-Daten an einem Ort zu vereinen?
Gunnar R?tsch: Im Rahmen des internationalen Projekts BRCA Challenge haben wir die Informationen zu den beiden Genen BRCA1 und BRCA2 zusammengetragen. Von diesen beiden Genen gibt es in der Bev?lkerung unglaublich viele verschiedene Varianten. Einige zeigen an, dass eine Frau ein normal niedriges Risiko hat, an Brustkrebs zu erkranken. Andere Varianten stehen jedoch in Zusammenhang mit einem deutlich erh?hten Krebsrisiko (siehe Kasten). Weil viele der Genvarianten sehr selten sind, ist eine umfangreiche Datenbank so wichtig. Denn je umfassender die Datenbank, desto gr?sser ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir zu einer Person mit einer seltenen Genvariante weitere Personen mit derselben Variante finden und zu deren Brustkrebsrisiko Informationen verfügbar sind. Diese Informationen sind wichtig, um zum Beispiel Frauen zu beraten, deren Familie geh?uft von Krebs betroffen ist, oder um früh ein erh?htes Krebsrisiko festzustellen.

Wie ist es zu diesem Projekt gekommen, das von der Global Alliance for Genomics and Health initiiert wurde?
Wir hatten in der Wissenschaftsgemeinschaft realisiert, dass es in vielen L?ndern und an vielen Institutionen genomische und medizinische Datens?tze gibt, die für sich genommen zu klein sind, um beispielsweise seltene Genvarianten klinisch beschreiben zu k?nnen. Der Wert dieser Datenbanken w?re deutlich h?her, wenn man sie vereinen würde. Allerdings ist es nicht so einfach, Daten über Instituts- und L?ndergrenzen hinweg auszutauschen. Das ist einer der Gründe, warum die ?Global Alliance for Genomics and Health? gegründet wurde. Deren Ziel ist es, den Austausch genomischer und medizinischer Daten zu vereinfachen. Dies einerseits technisch, indem die Global Alliance gemeinsame Datenstandards definiert, und andererseits auch durch das Erarbeiten von rechtlichen und ethischen Grundlagen sowie von Konzepten für einen sicheren Datenaustausch. Die BRCA Challenge startete vor drei Jahren als eines der ersten Pilotprojekte der Global Alliance, mit denen wir die Machbarkeit und den Nutzen des Datenaustauschs aufzeigen wollen.

Warum fokussierten Sie sich auf die beiden Gene BRCA1 und BRCA2?
Das sind sehr relevante genetische Marker. Ausserdem waren diese Gene in aller Munde, als wir die Idee zu dem Projekt hatten. Die Schauspielerin Angelina Jolie hatte gerade bekanntgegeben, dass sie sich prophylaktisch die Brüste entfernen lassen hat, weil sie Tr?gerin einer BRCA1-Genvariante mit hohem Brustkrebsrisiko ist. Gleichzeitig gibt es eine amerikanische Firma, Myriad Genetics, die lange ein Patent auf den zwei Brustkrebs-Genen hatte. Die Firma vermarktet einen entsprechenden Gentest, hatte darauf lange ein Monopol und behielt die damit gewonnenen Patientendaten für sich. Das Unternehmen wird quasi als Gegenpol zur restlichen Forschergemeinschaft wahrgenommen und hat auch schon die Aussagekraft von ?ffentlich zur Verfügung stehenden Daten angezweifelt. Das spornte uns zus?tzlich an: Wir wollten zeigen, dass man durch die Kombination von ?ffentlichen Daten ?hnlich gute Informationen hervorbringen kann.

Was haben Sie seit dem Projektstart erreicht?
Wir mussten zun?chst die Information der verschiedenen Datenbanken auf eine Plattform bringen. Diese Datenbanken sind aus lokalen Initiativen heraus entstanden und waren zun?chst nicht miteinander kompatibel. Auf der Webplattform externe SeiteBRCA Exchange ist die kombinierte Information nun einfach und anonymisiert zug?nglich. Wir haben im Moment Informationen zu über 20’000 genetischen Varianten gespeichert. Von über 7’250 davon haben wir gesicherte Informationen zu deren klinischen Relevanz – ob sie in Zusammenhang mit Krebs stehen oder nicht. Im Rahmen unseres Projekts entwickelten wir auch Algorithmen, um eine solche Klassifizierung von Varianten zu automatisieren.

Sind Ihre Informationen nun besser als jene von Myriad Genetics?
Das l?sst sich schwer sagen. Der Grossteil der Daten der Firma sind nicht ?ffentlich, daher k?nnen wir sie nicht mit unseren vergleichen. Grunds?tzlich denke ich jedoch: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir mehr und bessere Daten haben werden. Unsere Informationen werden kostenlos ?ffentlich verfügbar sein.

An dem Projekt sind Wissenschaftler von zwei Dutzend Institutionen weltweit beteiligt. Was war Ihr Beitrag und jener der ETH Zürich?
Ich war von Beginn an dabei, die Idee mitzuentwickeln. Damals arbeitete ich noch am Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York. In den ersten Jahren leitete ich die Gruppe von Softwareentwicklern, welche die Webplattform BRCA Exchange erstellte. Zwei Mitarbeiter aus meiner Gruppe sind Teil des gr?sseren Teams von Softwareentwicklern. An der ETH entwickelten wir dann zudem eine externe SeiteSmartphone-App, mit der man unkompliziert auf die Daten zugreifen kann. Hilfreich ist diese insbesondere für ?rzte und Humangenetiker. Sie k?nnen nachschauen, ob die Genvariante einer Patientin schon bekannt und allenfalls als krankheitserregend klassifiziert ist. Auch ist es m?glich, einen Dienst zu abonnieren, der einen informiert, wenn neue Informationen zu einer bestimmten Variante bekannt werden.

Wie geht das Projekt nun weiter?
Es gibt Pl?ne, Daten aus weiteren L?ndern in die Plattform zu integrieren, um so noch mehr Varianten klassifizieren zu k?nnen. Wir arbeiten hier mit einigen südamerikanischen, europ?ischen und asiatischen L?ndern zusammen, die einen wichtigen Beitrag leisten k?nnen. Bereits jetzt kann man auch sagen: Wir haben mit BRCA Challenge erfolgreich gezeigt, wie der internationale Datenaustausch funktionieren kann. Wir Menschen haben noch viel mehr krankheitsrelevante Gene. Daher sehen wir das Projekt auch als Modell, das man auf andere genetische Marker übertragen kann.

BRCA1 und BRCA2

Die Gene BRCA1 und BRCA2 enthalten den Bauplan für Enzyme, welche fehlerhafte DNA reparieren. Die Mehrheit der Bev?lkerung tr?gt ?gesunde? BRCA-Genvarianten – ihre Reparaturenzyme sind funktionsf?hig. Ein kleiner Teil der Bev?lkerung (etwa 0,3 Prozent) tr?gt allerdings Genvarianten, die zu ver?nderten Reparaturenzymen mit beeintr?chtigter Funktion führen. Bei diesen Personen h?ufen sich Mutationen im Erbgut eher an, ihr Risiko für Brust- und Eierstockkrebs ist deutlich erh?ht.

Literaturhinweis

Cline MS et al.: BRCA Challenge: BRCA Exchange as a global resource for variants in BRCA1 and BRCA2, PLOS Genetics 2018, doi: externe Seite10.1371/journal.pgen.1007752

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert