Toxisch, extrem persistent und häufig verwendet

Keine andere Substanzklasse ist so stabil und wird zugleich so h?ufig in Alltagsprodukten eingesetzt wie perfluorierte Verbindungen. Es ist Zeit zum Handeln, sagt Martin Scheringer.

Martin Scheringer

Eine Gruppe von chemischen Verbindungen taucht immer wieder in Nachrichten über belastete Kleidungsstücke und Nahrungsmittelverpackungen sowie Grundwasserverschmutzungen auf: die perfluorierten Verbindungen – oder mit vollst?ndiger Bezeichnung: die poly- und perfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS). Sie verbessern die Streich- und Fliesseigenschaften von Flüssigkeiten und sind stark wasser- und fettabweisend. Daher werden sie in vielen verschiedenen Konsumgütern und industriellen Anwendungen eingesetzt1.

Sehr verbreitet sind sie in Impr?gniermitteln zum Beispiel für Spannteppiche, Outdoor-Bekleidung und Nahrungsmittelverpackungen, aber auch in K?rperpflegeprodukten wie Hautcremes. Dadurch gelangen wir im Alltag h?ufig in Kontakt mit diesen Substanzen und nehmen sie auch in den K?rper auf. Industriell werden sie zum Beispiel als Prozesschemikalien bei der Herstellung von Teflon eingesetzt, und sie werden auch in Feuerl?schsch?umen in Flugh?fen verwendet, was in vielen L?ndern zu erheblichen Grund- und Trinkwasserverschmutzungen geführt hat.

PFAS sind eine grosse Substanzklasse mit 4000 bekannten chemischen Verbindungen. Nur die wenigsten davon sind gut untersucht (Symbolbild). (Bild: Colourbox)
PFAS sind eine grosse Substanzklasse mit 4000 bekannten chemischen Verbindungen. Nur die wenigsten davon sind gut untersucht (Symbolbild). (Bild: Colourbox)

Das Problem: PFAS wirken toxisch auf Leber und Niere, k?nnen die Entwicklung von Embryonen beeintr?chtigen sowie die Immunreaktionen des K?rpers hemmen, und sie sind teilweise auch dafür bekannt, die Entwicklung von Tumoren zu f?rdern. Ausserdem sind die Verbindungen chemisch so stabil, dass sie in der Umwelt über Zeitr?ume von Jahrzehnten bis Jahrhunderten nicht nennenswert abgebaut werden. Es gibt keine andere Substanzgruppe von praktischer Bedeutung, welche eine so hohe chemische Stabilit?t besitzt wie die PFAS und zugleich in so grossen Mengen in Alltagsprodukten vorkommt und nach deren Gebrauch in die Umwelt gelangt. Durch den fortdauernden Einsatz von PFAS nimmt die Umweltbelastung kontinuierlich zu.

Ein zweites grosses Problem der PFAS ist die grosse Anzahl dieser Substanzen und das mangelnde Wissen über viele von ihnen. 4000 verschiedene PFAS sind bekannt; mein ETH-Kollege Zhanyun Wang verfasste jüngst eine entsprechende Zusammenstellung für die OECD2. Die umweltchemische und toxikologische Forschung hat sich in den letzten 25 Jahren allerdings nur auf eine kleine Gruppe von etwa 25 PFAS konzentriert. Am bekanntesten davon sind die Perfluoroktans?ure (PFOA) und die Perfluoroktansulfons?ure (PFOS). Diese Substanzen sind mittlerweile ausführlich untersucht worden, ihr Umweltverhalten und ihre Toxizit?t sind bekannt.

Das führte dazu, dass diese als problematisch erkannten PFAS nun zwar weltweit reguliert worden sind und sie allm?hlich auch ersetzt werden, jedoch in den allermeisten F?llen durch andere PFAS, deren Toxizit?t bisher wenig untersucht worden ist. Man weiss von ihnen jedoch, dass ihre Persistenz in der Umwelt ebenso gross ist wie jene der gut untersuchten PFAS. Es besteht daher die Gefahr, dass das Problem der extrem langlebigen Umweltbelastung durch PFAS auch jetzt, beim Wechsel zu fluorierten Alternativsubstanzen, nicht etwa gel?st, sondern im Gegenteil noch versch?rft wird.

Feuerlöschschaum
In Feuerl?schsch?umen, die unter anderem die Flughafenfeuerwehren verwenden, sind PFAS enthalten (Symbolbild). (Bild: Colourbox)

Zürcher Erkl?rung

Im vergangenen November traf sich eine Gruppe von über 30 Wissenschaftlern und Beh?rdenvertretern aus 14 L?ndern hier in Zürich zu einem Workshop, zusammengeführt von Zhanyun Wang und Justin Boucher und mir. Ziel des Workshops war, eine Strategie für den Umgang mit PFAS zu entwickeln. Aus den damaligen Diskussionen ist die ?Zürcher Erkl?rung? entstanden, welche wir vor kurzem in der Fachzeitschrift Environmental Health Perspectives publiziert haben3. Darin betonen wir, dass die Regulierung extrem persistenter Substanzen grunds?tzlich überdacht werden muss. Die Zürcher Erkl?rung steht zur Unterzeichnung durch weitere Personen offen4.

?Eine M?glichkeit ist, systematisch zwischen essentiellen und nicht-essentiellen Anwendungen von PFAS zu unterscheiden.?Martin Scheringer

Gegenw?rtig stützt sich die Regulierung von Chemikalien in der Regel auf den Nachweis unerwünschter Wirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt. Bei extrem persistenten Substanzen ist dieses Vorgehen jedoch nicht zweckm?ssig. Wenn die Vielzahl von PFAS, die auf dem Markt sind, so lange eingesetzt werden, bis ihre unerwünschten Wirkungen im Einzelnen dokumentiert sind, gelangen erhebliche Mengen dieser Substanzen in die Umwelt. Die Substanzen sind dann nicht rückholbar und werden für Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte in der Umwelt zirkulieren und die menschliche Nahrung und das Trinkwasser kontaminieren.

Nur für essenzielle Anwendungen

Aufgrund der ansteigenden Konzentrationen in der Umwelt treten früher oder sp?ter unweigerlich auch toxische Effekte auf – dies l?sst sich zweifelsfrei konstatieren, auch ohne dass die toxischen Wirkungen im Einzelnen bekannt w?ren. Dies ist ein ganz zentraler Punkt, der die Regulierung von Chemikalien auf der Grundlage von extremer Persistenz allein nahelegt. Damit würde umweltpolitisch ein grosser Schritt nach vorn getan.

Die Anwendungen der zahlreichen PFAS sind so vielf?ltig (und sie unterliegen auch ganz unterschiedlichen gesetzlichen Regulierungen), dass es keine einfache und direkte L?sung des Problems gibt. Eine M?glichkeit besteht jedoch darin, in systematischer Weise zwischen essentiellen und nicht-essentiellen Anwendungen von PFAS zu unterscheiden. Vor allem gewisse industrielle Anwendungen unter extremen Bedingungen k?nnten vorerst als essentiell eingestuft werden. Beispiele sind der Einsatz von PFAS in Hydraulikflüssigkeiten, Isolier- und Dichtmaterialien in der Luft- und Raumfahrt sowie die Hartverchromung, wo PFAS unter anderem zur Unterdrückung von chromhaltigen und dadurch sehr giftigen Sprühnebeln verwendet werden. In vielen Konsumgütern hingegen sind PFAS nicht unerl?sslich, und die Anwendungen in Konsumgütern tragen stark zur Belastung von Mensch und Umwelt bei. Solche Anwendungen sollten daher mit hoher Priorit?t unterbunden werden.

Referenzen

1 OECD: externe SeitePortal on Per and Poly Fluorinated Chemicals

2 OECD: The OECD releases a new list of PFASs

3 Ritscher A, Wang Z, Scheringer M, Boucher JM et al.: Zürich Statement on Future Actions on Poly- and Perfluoroalkyl Substances (PFASs). Environmental Health Perspectives, 31. August 2018, doi: externe Seite10.1289/EHP4158

4 IPCP: externe SeitePublication of the ‘Zu?rich Statement on Future Actions on Per- and Polyfluoroalkyl Substances (PFASs)

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