Eine digitalisierte Demokratie br?chte auch politisch ganz neue M?glichkeiten, über die es sich nachzudenken lohnt, meint Roger Wattenhofer.

Wattenhofer

Die Urform der Schweizerischen Demokratie ist die Landsgemeinde. Heute jedoch praktizieren die allermeisten Schweizerinnen und Schweizer die Demokratie in der Version 2.0: Wir schreiben ?Oui? oder ?Nein? beziehungsweise eine Liste von Namen auf ein Blatt Papier. Eine Urne oder die Post nimmt dann unsere Entscheidungen entgegen. Und nun, als weitere Begleiterscheinung der Digitalisierung, debattiert man über e-Voting: Eine App soll das Papier ersetzen. Moderne e-Voting-Systeme k?nnen das Wahlgeheimnis wahren und gleichzeitig eine nachvollziehbare und unverf?lschbare Wahl garantieren. Wenn wir ehrlich sind, hat die Landsgemeinde im Gegensatz dazu ein Problem mit dem Wahlgeheimnis, und die Papierwahl mit der Nachvollziehbarkeit.

Bessere Demokratie dank einer App?

Wie sicher e-Voting tats?chlich ist, ist eine ausgesprochen wichtige Diskussion, aber als Expertenstreit manchmal auch ein wenig langweilig. Viel spannender finde ich die Frage, ob die Digitalisierung unsere Demokratie weiterbringen kann. Bietet eine App einen Mehrwert gegenüber Papier? Eine Innovation ist vor allem dann interessant, wenn sich neue M?glichkeiten auftun. Kann eine App die Demokratie tats?chlich verbessern?

Ich muss dieser Diskussion vorausschicken, dass ich Schweizer bin, und als solcher (wie wahrscheinlich die Mehrheit aller Mitbürgerinnen und Mitbürger) Demokratie für eine tolle Sache halte, insbesondere die direkte Demokratie. Nicht-Schweizer sind da oft bedeutend skeptischer – man traut der Bev?lkerung nicht zu, das Kreuz an der ?richtigen? Stelle zu machen. Nun ja, so ganz unberechtigt ist diese Kritik nicht, wenn man bedenkt, dass manchmal bis zu 25 Prozent der abgegebenen Wahlzettel ungültig sind.

e-Voting
Moderne e-Voting-Systeme k?nnen das Wahlgeheimnis wahren und gleichzeitig eine nachvollziehbare und unverf?lschbare Wahl garantieren. (Grafik: iStock / sorbetto)

Etwas von der Sache verstehen, müssen wir immer

Demokratie ist aber keine Frage des Vertrauens in die Klugheit der W?hler, sondern eine Grundeinstellung: Jeder Mensch hat den gleichen Wert, unabh?ngig von zum Beispiel Einkommen oder Bildung. Sachfragen in einer direkten Demokratie müssen nicht komplizierter sein als Wahlen in einer repr?sentativen Demokratie. Eine Wahl ist schliesslich eine Meta-Sachfrage: Wer Sachthemen nicht versteht, kann auch nicht wirklich absch?tzen, welche Partei oder gar Lobby die Sachthemen am besten vertreten wird.

Falls Sie das nicht überzeugt, sollten Sie wohl besser nicht weiterlesen. Der Rest meines Textes richtet sich an Leute, die an eine m?glichst direkte Demokratie glauben. Es soll darum gehen, was für ein Potential eine digitalisierte Demokratie hat. Einige Aspekte sind da schon anerkannt, zum Beispiel, dass wir ungültige Stimmen einfach vermeiden k?nnen. Unleserliche Handschriften sind kein Problem mehr, und die App kann uns sofort Feedback geben, wenn etwas nicht richtig ausgefüllt wird.

?Mehr Basisdemokratie geht nicht!?Roger Wattenhofer

Wenn ich im Kanton Zürich wohne, muss ich zudem bei Nationalratswahlen 35 Namen auf eine Liste schreiben – angesichts der unüberschaubaren Schar von Kandidaten und Kandidatinnen und der Tatsache, dass ich keiner Partei so richtig über den Weg traue eine langwierige Aufgabe. Eine App k?nnte da unser Leben erheblich erleichtern. Schon heute liefern Plattformen wie beispielsweise Smartvote Wahlempfehlungen, indem sie eruieren, mit wem ich in Sachfragen die gr?sste ?bereistimmung habe. Die App würde zudem noch meine pers?nlichen Pr?ferenzen kennen (?Keine Juristen oder Verwaltungsratsmandate?) und mir so bei meiner Auswahl der passenden Kandidatinnen und Kandidaten helfen.

Lasst uns nuancierter abstimmen

Aber eine App würde noch viel mehr erlauben: Fragen müssten nicht mehr nur mit Ja oder Nein beantwortet werden, sondern liessen Nuancen zu. Zum Beispiel k?nnte man fragen, wie viel denn ein ?ffentlich-rechtlicher Rundfunk pro Jahr kosten darf. Man sammelt alle Zahlen und legt den Betrag auf den Median der Antworten fest. Damit m?chte genau die H?lfte der Bev?lkerung lieber weniger, und die andere H?lfte lieber mehr ausgeben. Mehr Basisdemokratie geht nicht!

Oder alle Stimmbürgerinnen und Stimmbürger k?nnten zum Ausdruck bringen und auch priorisieren, welche der vorgeschlagenen L?sungen ihnen am liebsten sind, zum Beispiel: L?sung A ist der Favorit, am zweitliebsten B, aber auf keinen Fall C oder D. Dank der Digitalisierung w?ren solche komplexeren, aber auch differenzierteren Abstimmungen einfach m?glich.

Und noch weitere Neuerungen w?ren in einer digitalisierten Demokratie denkbar: Elektronische Abstimmungen sind sehr billig. Dadurch h?tten wir die M?glichkeit, über mehr Sachfragen abstimmen zu lassen. Und was, wenn jemand keine Lust hat abzustimmen? Warum nicht einfach die Stimme einer Person oder Organisation übertragen, der man vertraut? Oder je nach Thema verschiedenen Personen beziehungsweise Organisationen? Weil man selber jederzeit die Kontrolle über die delegierten digitalen Stimmen beh?lt, k?nnte man immer noch einschreiten, wenn die Repr?sentantin dann doch nicht so stimmt, wie man das m?chte. Man kennt dieses Prinzip bereits als Delegated Voting oder externe SeiteLiquid Democracy – die Digitalisierung würde das aber vereinfachen.

Die Digitalisierung der Demokratie hat also das Potential, unsere Demokratie umfassend zu reformieren. E-Voting hat Vorteile, was die Nachvollziehbarkeit angeht, aber dies alleine ist nicht Grund genug, um es in der Schweiz einzuführen. E-Voting wird besonders dann interessant, wenn wir auch über echten Mehrwert und die M?glichkeiten dieser Demokratie 3.0 sprechen.

Dieser Beitrag erscheint ebenfalls in der ?Schweiz am Wochenende?. 

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