Mut zur Innovation

Chance f¨¹r Neukonzeption

Ein neuer Studiengang bietet immer die Chance, ihn grundlegend neu zu konzipieren. In einem berufsbef?higenden Studiengang wie der Medizin, dessen enges Anforderungsprofil noch weitgehend aus dem letzten Jahrhundert stammt, ist das eine besondere Herausforderung, besonders wenn man bedenkt, wie rasch sich die Medizin durch Genomik, Smartphone-Sensoren, Big Data und K¨¹nstliche Intelligenz ver?ndert.

Bei der Konzeption der Lehrveranstaltungen zu den biologischen Grundlagen im Medizinstudium sind wir nach dem ?Reverse Design? vorgegangen. Das heisst, wir haben zuerst die F?higkeiten bestimmt, die Studierende im Bachelorstudiengang Medizin erwerben sollen. Anschliessend machten wir uns Gedanken, wie wir diese F?higkeiten ¨¹berpr¨¹fen k?nnen. Erst zum Schluss bestimmten wir, welche Inhalte wir den Studierenden vermitteln m¨¹ssen. Bei der Konzeption konnten wir auf die Expertise und Ressourcen des Centers for Active Learning (CAL) des Departments Biologie zur¨¹ckgreifen.

Dabei haben wir uns entschieden, die Lerneinheit ?Molekulare Genetik und Zellbiologie? f¨¹r 330 Studierende der Medizin und der Gesundheitswissenschaften als Flipped Classroom durchzuf¨¹hren. In zwei der f¨¹nf Wochenstunden erarbeiten sich die Studierenden mit eigens f¨¹r diese Vorlesung konzipierten Lernmodulen die Grundlagen im Selbststudium. In den Vorlesungen werden dann die Konzepte an Beispielen erkl?rt und erweitert. Jede Woche finden Gruppenarbeiten statt, zum Beispiel ein Experteninterview oder eine Fallstudie zu den molekularen Ursachen einer Krankheit. Drei Dozenten, zwei Mitarbeiter des CAL und 15 studentische Assistierende betreuen die Studierenden w?hrend des Semesters.

Grosse Zustimmung

Einmal wurde ich in der Vorlesung gefragt, wof¨¹r man denn in die Vorlesung kommen m¨¹sse, wenn alle Unterlagen schon im Voraus bearbeitet werden. Diese Frage machte mir meine Rolle als Dozent in der heutigen Hochschullandschaft noch einmal deutlich: Meine Aufgabe ist es, das Gelernte in einen Kontext zu stellen und mit den Studierenden die Konzepte zu diskutieren. Nicht nur ich, sondern alle Dozierenden, das Team des CAL und die Hilfsassistierenden haben aus dem Austausch mit den Studierenden viel gelernt.

Erfreulicherweise sehen das auch die Studierenden so. Die Evaluation ergab, dass die grosse Mehrheit (82 Prozent) der Studierenden die gelehrten Inhalte als relevant bis sehr relevant f¨¹r ihr Studium empfindet. Auch der Lehransatz Flipped Classroom fand grosse Zustimmung: 75 Prozent der Studierenden w¨¹nschen sich ?hnliche Modelle f¨¹r andere Lehrveranstaltungen.

Mehr Online-Lehrg?nge

Die curricul?ren Vorgaben im Medizinstudium sind eng. Doch die Verantwortlichen f¨¹r den Studiengang im Departement Gesundheitswissenschaften und Technologie haben einen grossartigen Job gemacht, die Beteiligten f¨¹r eine grundlegend neue Konzeption dieses Studiengangs zu gewinnen. Ein moderner Studiengang braucht neue Lernformen und anspruchsvolle Lernmodule, aber auch Mut zur Innovation in den klinischen Disziplinen.

Man k?nnte sogar noch weiter gehen. Derzeit vermitteln Dozierende der Universit?t Z¨¹rich die medizinischen Grundlagen wie zum Beispiel Anatomie an die ETH-Studierenden. Meines Erachtens k?nnte man hier vermehrt auf interaktive Online-Lehrg?nge setzen. Solche gibt es¹, und sie k?nnten, gepaart mit ?bungen und Diskussionen in Gruppen, Frontalvorlesungen ersetzen.

An der ETH haben wir hervorragende und motivierte Studierende. Unsere Aufgabe ist es nun, diese Motivation w?hrend des Studiums aufrechtzuerhalten. Ich bin ¨¹berzeugt, dass wir unsere Studierenden besser auf die zuk¨¹nftigen Herausforderungen vorbereiten k?nnen, wenn wir im Studium Freir?ume schaffen f¨¹r Gruppenarbeiten, Buchclubs oder Projektarbeiten wie die eingangs erw?hnte Lekt¨¹re von Eric Topols Buch.

ETH-Professor Ernst Hafen ist Studiendirektor des Departements Biologie und Verantwortlicher f¨¹r die biologischen Grundlagen im neuen ETH-Medizinstudium.