Unflexibler als gedacht

Moleküle aus aneinandergeketteten Zucker-Bausteinen sind für biologische Zellen essenziell. Bis anhin dachten Wissenschaftler, diese Moleküle seien frei beweglich. Ein internationales Forscherteam zeigt nun, dass solche Zucker-Moleküle rigide Formen bilden k?nnen, wie sie bisher nur von der DNA und von Proteinen bekannt sind.

Oligosaccharid-Sekundärstruktur
Die drei Zucker-Bausteine (unten, gelb: Fucose) bilden eine starre Struktur, die über eine Wasserstoffbrückenbindung (gestrichelt) stabilisiert wird. (Bild: Aeschbacher et al. Chemistry 2017. Copyright Wiley. Reproduced with permission)

Moleküle aus aneinandergeketteten Zucker-Bausteinen, sogenannte Oligosaccharide, geh?ren zu den wichtigsten Molekülen in Lebewesen. Sie machen einen Grossteil der Oberfl?che von Zellen aus und tragen zum Beispiel dazu bei, dass das Immunsystem k?rpereigene Zellen von Krankheitserregern und anderen fremden Zellen unterscheiden kann. Oligosaccharide auf der Oberfl?che von Blutzellen bestimmen ausserdem unsere Blutgruppe. Und auch viele Proteine tragen Oligosaccharid-Anh?ngsel, die wesentlich sind für die Protein-Funktion.

Bisher dachten Wissenschaftler, dass diese Zucker-Moleküle frei beweglich sind und keine rigiden Formen bilden. Steife dreidimensionale Molekülstrukturen – von Fachleuten Sekund?rstrukturen genannt – waren bislang nur von der DNA bekannt, deren Molekül eine Doppelhelix bildet, und von Proteinen, deren Teilbereiche h?ufig Spiralen oder kleine Fl?chen mit Wellblechstrukturen formen.

Ein internationales Forscherteam hat nun jedoch auch bei den Oligosacchariden solche Sekund?rstrukturen gefunden. ?Wir konnten zeigen, dass die Struktur von bestimmten Oligosacchariden, die den Grundbaustein Fucose enthalten, eine charakteristische Versteifung enthalten?, erkl?rt der Leiter des Forschungsteams, Mario Schubert. Der Wissenschaftler forschte lange an der ETH Zürich und ist nun an der Universit?t Salzburg t?tig.

Stabile Anordnung

Das neuentdeckte Sekund?rstrukturelement bestimmt, wie drei im Oligosaccharid zusammenh?ngende Zucker-Bausteine r?umlich zueinander stehen: Der erste Baustein – die Zuckerart Fucose – und der dritte Baustein liegen parallel geschichtet zueinander, w?hrend der mittlere Baustein rechtwinklig zu den beiden anderen steht. Stabilisiert wird diese Struktur durch eine chemische Wasserstoffbrückenbindung zwischen dem ersten und dem dritten Zucker-Baustein.

Diese sich über drei Bausteine erstreckende Struktur ist ein vergleichsweise kleinr?umiges molekulares Muster. Zum Vergleich: Spiral-Sekund?rstrukturen bei Proteinen k?nnen sich über mehrere Dutzend Protein-Bausteine erstrecken.

Dogma widerlegt

Bislang gingen Wissenschaftler davon aus, dass Wasserstoffbrückenbindungen zwischen Oligosaccharid-Bausteinen nur sehr schwach wirken und daher dort vernachl?ssigt werden k?nnen. Es herrschte die Lehrmeinung vor, dass bei Oligosacchariden keine Sekund?rstrukturen vorkommen. ?In unserer Arbeit zeigen wir nun, dass man bestimmte Wasserstoffbrückenbindungen sehr wohl berücksichtigen muss. Sie k?nnen als Zünglein an der Waage wesentlich dazu beitragen, die Zucker-Bausteine in ein rigides Korsett zu zwingen?, sagt Schubert.

?Oligosaccharide mit dem neuentdeckten Strukturmuster werden von anderen Molekülen besonders gut nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip erkannt, weil eine starre, unflexible Struktur die molekulare Erkennung vereinfacht?, sagt Schubert. Diese Schlüssel-Schloss-Erkennung von Oligosacchariden ist insbesondere bei Molekülen des Immunsystems und bei Stammzellen bedeutend. Die neue Erkenntnis hilft, die Wechselwirkungen solcher Moleküle besser zu verstehen.

Bei vielen Zuckermolekülen vorhanden

Strukturbiologen benutzen oft Computerprogramme, um die dreidimensionale Struktur von Molekülen zu bestimmen. ?Diese Software muss nun erg?nzt werden, damit sie auch das neue Oligosaccharid-Sekund?rstrukturelement berücksichtigt?, sagt Schubert.

Die Forschenden der ETH Zürich, der Universit?t Basel und der Ecole normale supérieure in Paris wiesen das neue Strukturelement im Experiment mittels Kernspinresonanzspektroskopie bei zwei Blutgruppen-Oligosacchariden und vier weiteren Oligosacchariden nach. Die Wissenschaftler gehen allerdings davon aus, dass das Strukturelement bei sehr vielen weiteren Zelloberfl?chen- und Protein-Oligosacchariden vorkommt. In einer Proteinstruktur-Datenbank fanden sie bei über 200 Oligosacchariden Hinweise auf solche Muster.

Literaturhinweis

Aeschbacher T, Zierke M, Smie?ko M, Collot M, Mallet JM, Ernst B, Allain FHT, Schubert M: A secondary structure element present in a wide range of fucosylated glycoepitopes. Chemistry, 27. Juni 2017, doi: externe Seite10.1002/chem.201701866

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