Kristallin und flüssig zugleich

Wenn man Materie nahe an den absoluten Nullpunkt abkühlt, stellen sich mitunter bemerkenswerte Ph?nomene ein. Zu ihnen geh?rt auch die Suprasolidit?t, bei der regelm?ssige Strukturen und reibungsloses Fliessen gleichzeitig vorkommen. ETH-Forschern gelang es nun erstmals, diesen merkwürdigen Zustand experimentell nachzuweisen.

Vergr?sserte Ansicht: Illustration eines suprasoliden Zustandes
Illustration eines suprasoliden Zustandes, in dem die Eigenschaften einer reibungsfreien Flüssigkeit und eines Festk?rpers verschmelzen. (Bild: ETH Zürich / Julian Léonard)

Fest, flüssig oder gasf?rmig – in diesen drei klar definierten Zust?nden nehmen wir Materie in unserer Alltagswelt wahr. Dass Substanzen die Eigenschaften von zwei Zust?nde gleichzeitig annehmen k?nnen, ist für uns deshalb nur schwer vorstellbar. Doch in der Welt der Quantenphysik ist genau dies m?glich: Dort kann die Materie mitunter Eigenschaften in sich vereinen, die sich auszuschliessen scheinen.

Ein solch paradoxer Zustand ist die Suprasolidit?t: Wenn die Materie diesen Zustand annimmt, weist sie einerseits die Eigenschaften eines festen Materials auf; gleichzeitig verh?lt sie sich aber wie eine sogenannte Supraflüssigkeit. In einem suprasoliden Zustand sind die Atome also regelm?ssig angeordnet wie in einem Kristall, gleichzeitig bewegen sie sich aber ohne Reibung wie in einer Supraflüssigkeit.

Raffinierte Versuchsanordnung

Bisher gab es Suprasolidit?t nur als theoretisches Konstrukt. Eine Forschergruppe um Tilman Esslinger, Professor für Quantenoptik am Institut für Quantenelektronik, und Tobias Donner, Senior Scientist am gleichen Institut, berichtet nun in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift ?Nature?, dass sie erstmals einen solchen suprasoliden Zustand kreieren konnten.

Die Forscher kühlten in einer Vakuumkammer eine kleine Menge Rubidium-Gas auf eine Temperatur von wenigen Milliardstel Kelvin über dem absoluten Nullpunkt ab, so dass sich diese Atome zu einem sogenannten Bose-Einstein-Kondensat verdichteten. Dabei handelt es sich um ein spezielles quantenphysikalisches Gebilde, das sich wie eine Supraflüssigkeit verh?lt.

Vergr?sserte Ansicht: Detailaufnahme der Versuchsanlage
Detailaufnahme der Versuchsanlage: Gut erkennbar sind die vier Spiegel, welche als gegenüberliegende Paare je eine optische Resonanzkammer bilden. (Bild: ETH Zürich)

Dieses Kondensat platzierten die Forscher in eine Vorrichtung mit zwei sich kreuzenden optischen Resonanzkammern, bestehend aus je zwei kleinen, gegenüberliegenden Spiegeln. Das Kondensat wurde anschliessend mit Laserlicht beleuchtet, das in diese beiden Kammern gestreut wurde. Die spezielle Kombination der beiden Lichtfelder in den Resonanzkammern führte dazu, dass sich die Atome im Kondensat regelm?ssig anordneten, dass sich also eine kristall?hnliche Struktur formte. Trotzdem behielt das Kondensat die Eigenschaften bei, die es als Supraflüssigkeit hatte. Die Atome im Kondensat liessen sich – zumindest in einer Richtung – also immer noch ohne Energieaufwand verschieben, was in einem ?normalen? Festk?rper nicht m?glich w?re.

?Diesen speziellen Zustand tats?chlich zu erzeugen, gelang uns nur, weil wir eine sehr raffinierte Konstruktion hatten, mit der wir die beiden Resonanzkammern für die Atome gleichartig machen konnten?, erkl?rt Esslinger.

Theoretisches Konzept realisiert

Mit ihrem Experiment konnten die Physiker um Esslinger und Donner ein theoretisches Konzept realisieren, das unter anderem auf den britischen Physiker David Thouless zurück geht. 1969 vermutete dieser, dass eine Supraflüssigkeit gleichzeitig kristallin sein k?nnte. Aufgrund von theoretischen ?berlegungen kam man zum Schluss, dass dieses Ph?nomen am einfachsten in Helium nachgewiesen werden k?nnte, wenn dieses auf nur wenige Kelvin über den absoluten Nullpunkt abgekühlt wird. 2004 glaubte eine amerikanische Gruppe, ihr w?re der experimentelle Nachweis gelungen. Sp?ter führte sie ihre Messungen jedoch auf Oberfl?cheneffekte von Helium zurück. ?Mit unserer Arbeit gelang es nun, Thouless’ ?berlegungen umzusetzen?, erkl?rt Donner. ?Allerdings erbrachten wir den Nachweis nicht mit Helium, sondern mit einem Bose-Einstein-Kondensat.?

In der gleichen Nature-Ausgabe findet sich übrigens noch eine zweite Studie zu diesem Thema: Eine Forschergruppe um Wolfgang Ketterle vom MIT machte im letzten Herbst – kurz nach den ETH-Forschern – publik, dass auch ihnen der Nachweis der Supersolidit?t gelungen sei. Allerdings basiert die Arbeit der MIT-Forscher auf einem anderen experimentellen Ansatz.

Literaturhinweis

Léonard J, Morales A, Zupancic P, Esslinger T, Donner T: Supersolid formation in a quantum gas breaking a continuous translational symmetry. Nature 2017, 543: 87-90, doi: externe Seite10.1038/nature21067

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