Die Komplexität bändigen

Sie sind selbst für Physiker eine grosse Herausforderung: Quantensysteme aus mehreren Teilchen. Denn ihr Verhalten l?sst sich nur mit grossem rechnerischen Aufwand berechnen. ETH-Physiker haben nun einen Weg gefunden, wie die Gleichungen elegant vereinfacht werden k?nnen.

Darstellung neuronales Netzwerk
Quantensysteme aus vielen Teilchen lassen sich mit einem neuronalen Netzwerk elegant beschreiben. (Bild: iStock.com/naddi)

Wie sich Objekte in unsere Alltagswelt bewegen, l?sst sich mit den Gesetzen der klassischen Physik relativ einfach ermitteln. In der Welt der Quantenphysik ist diese Aufgabe viel anspruchsvoller. Um zu ermitteln, wie sich ein Quantenteilchen verh?lt, muss man die von Erwin Schr?dinger formulierte Wellengleichung beiziehen, die im Vergleich zu den Formeln der klassischen Mechanik um einiges schwieriger zu l?sen ist.

Die Limiten der Grossrechner

Besonders vertrackt wird die Situation, wenn nicht das Verhalten eines einzelnen Objekts beschrieben werden soll, sondern dasjenige von mehreren Objekten, die sich zudem gegenseitig beeinflussen. Die quantenmechanischen Gleichungen, mit denen diese sogenannten Mehr-Teilchen-Systeme beschrieben werden, sind wesentlich komplexer als diejenigen für Ein-Teilchen-Systeme, wobei die Komplexit?t mit steigender Teilchenzahl exponentiell zunimmt. Mit den besten heute verfügbaren Supercomputern l?sst sich die Wellengleichung für Systeme mit h?chstens 50 Teilchen l?sen. Wesentlich mehr wird auch künftig nicht drin liegen: Selbst mit einem Supercomputer in der Gr?sse unseres Planeten k?nnte die Gleichung für Systeme aus mehr als 100 Teilchen nicht mehr gel?st werden.

Für viele Anwendungen w?re jedoch genau dies wünschenswert, etwa in der Materialforschung, bei der Berechnung von komplexen Molekülen oder beim Bau von Quantencomputern. In all diesen F?llen spielen Vorg?nge eine zentrale Rolle, die sich nur mit Hilfe der Quantenmechanik beschreiben lassen. Deshalb versucht man in der Physik, solche Systeme mit Hilfe von Ann?herungen zu beschreiben.

Selbstlernendes Programm

Giuseppe Carleo und Matthias Troyer vom Institut für Theoretische Physik haben nun einen Weg gefunden, wie sich die mathematische Komplexit?t der Mehr-Teilchen-Systeme b?ndigen l?sst. Wie die beiden Forscher in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift ?Science? berichten, nutzten sie dazu künstliche neuronale Netzwerke, also lernf?hige Computersysteme. Diese trainierten die Physiker so, dass sie mit der Zeit erkennen konnten, welche Parameter im unübersichtlichen Gleichungssystem wichtig sind und welche vernachl?ssigt werden k?nnen, so dass mit den vereinfachten Gleichungen auch gr?ssere Systeme berechnet werden k?nnen.

Das neuronale Netzwerk entdeckt im untersuchten Quantensystem spezifische Muster.
Das neuronale Netzwerk entdeckt im untersuchten Quantensystem spezifische Muster. Im vorliegenden Fall erkennt das Netzwerk richtig, dass sich Atome mit gegenl?ufigem Spin tendenziell paaren. (Bild: ETH Zürich /G. Carleo)

Konkret setzten die beiden Wissenschaftler eine Methode ein, die man als ?reinforcement learning? bezeichnet. Auf diesem Verfahren basiert beispielsweise das Computerprogramm AlphaGo, das im letzten Jahr einen der weltbesten Go-Spieler besiegte. Der Clou dabei: Dem Programm wird nicht gezeigt, welche Aktion in welcher Situation die beste ist, sondern der Rechner findet selber heraus, mit welchen Schritten er am meisten Erfolg hat.

Das von Carleo und Troyer entwickelte Programm simulierte mit vereinfachten Parametern ein bestimmtes quantenmechanisches System und prüfte anschliessend, wie gut die Wellengleichung erfüllt wird. Dabei berechnete das Programm den sogenannten Grundzustand des Systems, also den Zustand, in dem es die geringstm?gliche Energie aufweist. Je tiefer die resultierende Energie am Ende der Simulation war, desto wichtiger waren demzufolge die gew?hlten Parameter.

Ein m?chtiges Werkzeug

Mit dem neuen Ansatz lassen sich Quantensysteme mit mehr als 100 Teilchen beschreiben, und das mit vernünftigem Rechenaufwand. In einem n?chsten Schritt wollen die Forscher nun genauer untersuchen, wo die Limiten dieses Ansatzes sind. ?Und nicht zuletzt geht es auch um eine philosophische Frage?, meint Carleo: ?Wie komplex ist die Wellenfunktion eines physikalischen Systems tats?chlich? Ist sie am Ende vielleicht einfacher zu handhaben, als wir bisher dachten??

Im Moment breche in der Physik gerade eine spannende Zeit an, erkl?rt der Forscher. ?Im Moment werden Big-Data-Technologien, die für ganz andere Anwendungen entwickelt wurden, auf physikalische Probleme angewendet. Das ist einerseits für die Physik befruchtend, andererseits aber auch für die Computerwissenschaften. Denn vielleicht verstehen wir so auch besser, warum neuronale Netzwerke derart m?chtige Werkzeuge sind.?

Literaturhinweis

Carleo G, Troyer M. Solving the quantum many-body problem with artificial neural networks. Science, 10. Februar 2017. DOI: externe Seite10.1126/science.aag2302

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