Dem Zellschicksal auf die Schliche kommen

Ein internationales Forscherteam unter Leitung von ETH-Wissenschaftlern untersuchte, welche Faktoren die Entwicklung der verschiedenen Blutzellen beeinflussen. Dabei zeigte sich: Gewisse molekulare Mechanismen sind nicht so relevant wie bisher gedacht. Diese Erkenntnis ist hilfreich, um Krankheiten wie Leuk?mie oder An?mien besser zu verstehen.

Blutzellen
Blutstammzellen im Knochenmark bilden sowohl rote als auch weisse Blutzellen. (Grafik: Colourbox)

Biologisch gesehen ist eine Zelle die kleinste Funktionseinheit lebender Organismen. Die Anzahl der Zellen im menschlichen K?rper ist gigantisch und erreicht die Gr?ssenordnung von 10 bis 100 Billionen – je nach K?rpergr?sse und Gewicht. Die meisten dieser Zellen sind ausdifferenziert; sie nehmen im K?rper spezifische Funktionen wahr. Andere Zellen, die sogenannten Stammzellen, k?nnen sich durch Teilung unbeschr?nkt selbst erneuern und sorgen für Nachschub an ausdifferenzierten K?rperzellen. Denn die Lebensdauer gewisser K?rperzellen ist relativ kurz: Zum Beispiel sterben manche weisse Blutk?rperchen (Leukozyten) und Blutpl?ttchen (Thrombozyten) bereits nach Stunden bis einigen Tagen ab, rote Blutk?rperchen (Erythrozyten) nach rund 4 Monaten.

Blutbildende Stammzellen

Blutstammzellen im Knochenmark bilden daher jede Sekunde Millionen neuer Blutzellen. Diese Blutstammzellen sind sogenannt multipotent; aus ihnen k?nnen alle Arten von Blutzellen mit unterschiedlichen Funktionen hervorgehen: Rote Blutzellen, zust?ndig für den Sauerstofftransport, für die Immunabwehr verantwortliche weisse Blutzellen und Blutpl?ttchen, wichtig für die Blutgerinnung. Wie Blutstammzellen die verschiedenen Zelltypen entwickeln, ist bis heute erst in Ans?tzen verstanden. Der Weg der Differenzierung, also die Entscheidung, zu welchem Zelltyp sich eine Zelle entwickelt, h?ngt von verschiedenen ?usseren und inneren Faktoren ab.

Timm Schroeder, Professor am Departement Biosysteme der ETH Zürich mit Sitz in Basel, erforscht zusammen mit seinem Team die Faktoren, die bei der Ausrichtung der einzelnen Blutzellen eine Rolle spielen. ?Die Regulation der Differenzierungsrichtung von Blutstammzellen ist für die normale tagt?gliche Aufrechterhaltung der Blutbildung essentiell?, erkl?rt Schroeder. ?Wenn sie nicht richtig funktioniert, entstehen lebensbedrohliche Erkrankungen wie An?mien und Leuk?mien. Daher m?chten wir den molekularen Mechanismus dieser Regulation besser verstehen.?

Beobachtung auf molekularer Ebene

Der Zellbiologe analysierte zusammen mit seinem Team, wie sich Blutstammzellen in die verschiedenen Arten von Blutzellen ausdifferenzieren und wie Moleküle im Zellkern (Transkriptionsfaktoren) diesen komplexen Vorgang steuern. Zusammen mit dem Helmholtz Zentrum München (Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt) entwickelten sie dafür eine neue Mikroskopietechnik zur Zellbeobachtung – eine spezielle Einrichtung, die es nun weltweit in nur sehr wenigen Stammzell-Labors gibt.

Besonders die beiden Proteine GATA1 und PU.1 standen im Fokus der Forscher. Diese spielen eine wichtige Rolle bei der Ausdifferenzierung von Blutzellen, erz?hlt Timm Schroeder. ?Sie sind Transkriptionsfaktoren, welche umfangreiche genetische Programme mit vielen Zielgenen an- oder abschalten k?nnen. Das macht sie zu m?chtigen Regulatoren von Zellschicksalen.?

Vielversprechendes Potenzial

So konnten die Grundlagenforscher mittels Zeitraffer-Mikroskopie lebende Blutstammzellen mit bisher nicht gekannter Pr?zision bei der Ausreifung beobachten und die beiden Proteine GATA1 und PU.1 quantifizieren. ?W?hrend Jahrzehnten dachte man, dass diese beiden Transkriptionsfaktoren die Linienentscheidungen von Blutstammzellen treffen. Nun konnten wir zeigen, dass dies nicht der Fall ist und dass andere Mechanismen für diese Entscheidungen verantwortlich sein müssen?, erkl?rt Schroeder. Die Forschung müsse sich nun auf andere molekulare Mechanismen konzentrieren, um die sehr komplexe Blutstammzell-Differenzierung zu verstehen.

Blutkrankheiten wie zum Beispiel Leuk?mie sind schwere St?rungen des blutbildenden Systems im Knochenmark. Um solche Krankheiten in Zukunft besser zu verstehen und erfolgreich zu therapieren, sind genaue Kenntnisse über die Entstehung der einzelnen Blutzellen wichtig. Ein Grundstein dazu wurde jetzt an der ETH Zürich gelegt.

Literaturhinweis

Hoppe SP et al.: Early myeloid lineage choice is not initiated by random PU.1 to GATA1 protein ratios. Nature 2016, 535: 299-302, doi: externe Seite10.1038/nature18320

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