Den Umgang mit Wasser neu gestalten

Um Siedlungswasser zu bewirtschaften, leisten sich Industriel?nder wie die Schweiz eine komplexe Infrastruktur aus Trinkwasserleitungen, Kanalisation und zentralen Kl?ranlagen. Doch dieser konventionelle Ansatz ist weder zukunftsf?hig noch geeignet für weniger entwickelte Regionen der Welt.

Vergr?sserte Ansicht: Herkömmliches Wassermanagement ist keine global taugliche Lösung.
Herk?mmliches Wassermanagement ist keine global taugliche L?sung. (Bild: iStock / Hong Li)

Wasser kommt aus dem Hahn – und verschwindet wieder im Abguss. Wie Strom aus der Steckdose ist das klare Nass für uns so selbstverst?ndlich, dass wir uns kaum je fragen, was es alles für diese Annehmlichkeit braucht. Ein vierk?pfiger Schweizer Haushalt bezieht über 200 Tonnen Wasser pro Jahr. Dieses muss nicht nur in die Wohnung geliefert, sondern auch wieder weggeführt, gereinigt und sicher in die Umwelt abgegeben werden.

Um das zu erm?glichen, haben wir in der Schweiz eine fast unglaubliche Siedlungswasserwirtschaft aufgebaut. Sie z?hlt rund 200'000 km Leitungen, die uns mit sauberem Trinkwasser versorgen und das Abwasser entsorgen, und umfasst neben Reservoirs und Kl?ranlagen auch einen institutionellen Rahmen. Dazu geh?ren ?mter, Gesetze und gut ausgebildete Fachkr?fte. [1] Dieses Wassersystem hat sich in Industriel?ndern bew?hrt und galt auch über ein Jahrhundert lang als Standard für den Rest der Welt.

Keine globale L?sung

Doch unser konventionelles Wassermanagement ist nicht zukunftsf?hig. Es ben?tigt enorme Wassermengen und verschwendet Energie und Ressourcen. Zudem ist es sehr aufwendig, teuer und setzt stabile Institutionen voraus – kurz: keine global taugliche L?sung. Diese Erkenntnis setzt sich langsam auch unter Fachleuten durch. [2]

In der kleinen Schweiz hat es unter ?konomisch und klimatisch besten Bedingungen mehrere Jahrzehnte und viel politischen Willen gebraucht, um eine Wasserinfrastruktur mit einem gesch?tzten Wert von 230 Milliarden Franken zu errichten. Insbesondere in den L?ndern Afrikas und Asiens sind die Voraussetzungen anders; und man sieht sich mit gigantischen Herausforderungen konfrontiert: Rasant wachsende St?dte, zunehmende Wasserknappheit, widrige ?konomische  und politische Realit?ten und die Effekte des Klimawandels – das alles macht die konventionelle Siedlungswasserwirtschaft wenig geeignet für die Welt.

(Graph: from Tove A. Larsen et al., SCIENCE 352:928(2016). Reprinted with permission from AAAS)
Globaler Blick auf urbanes Wassermanagement: (A) Anteil der Bev?lkerung mit Anschluss an eine Kanalisation. (B) Gebiete mit physischem und ?konomischem Wassermangel (Daten von International Water Management Institute IWMI, 2015, ver?ffentlicht mit Erlaubnis von IWMI). (C) Anteil der Bev?lkerung mit Zugang zu sicheren Trinkwasserquellen. (Graph: from Tove A. Larsen et al., SCIENCE 352:928 (2016). Reprinted with permission from AAAS)

Aber wie k?nnen wir die Menschen ohne diese ganzen Infrastrukturbauten mit sauberem Wasser versorgen – und Schmutzwasser entsorgen? Die ehrliche Antwort lautet: Wir Experten wissen es (noch) nicht. Aus meiner Sicht ist das eine der gr?ssten globalen Herausforderung unserer Zeit.

Erste ressourcenschonende Ans?tze

?hnlich wie bei der Energiewende ben?tigen wir für die zukünftige Siedlungswasserwirtschaft eine ganze Reihe unterschiedlicher Konzepte und Techniken, die noch entwickelt werden müssen. Erste vielversprechende Ans?tze für einen alternativen Umgang mit Wasser tauchen in Wissenschaft und Praxis bereits auf [2]:

 

  • Erh?hte Wasserproduktivit?t strebt einen kleineren Netto-Wasserverbrauch bei gleichem Nutzen an. Die beiden zentralen Elemente sind Wassersparen und –recycling. W?hrend Massnahmen zum Wassersparen vielf?ltig und gut akzeptiert sind, werden weltweit nur rund 1.6 Prozent des Wasserverbrauchs aufbereitet und wieder genutzt. Die Technik dafür ist vorhanden und l?sst sich in die bestehende Infrastruktur integrieren. Offen sind vor allem sozialwissenschaftliche Fragen: Wer will aufbereitetes Abwasser trinken?
  • No-Mix übertr?gt das Konzept der Abfalltrennung auf die Abwasseraufbereitung. Urin und F?kalien k?nnen in Wertstoffe wie Stickstoff oder Phosphor überführt werden. [3] Das restliche Grauwasser ist nur leicht verschmutzt und kann einfach aufbereitet und mehrfach genutzt werden. Würde man dieses Konzept fl?chendeckend in der Schweiz einführen, k?nnte man auf den Import von mineralischem Phosphordünger verzichten.
  • Dezentralisierung sieht vor, den aufwendigen Wassertransport in zentral organisierten Leitungsnetzen durch lokale Aufbereitung zu ersetzen. Wasserversorgungsnetze und Kanalisation ben?tigen rund 90 Prozent der Investitionen und sind starr. Dezentrale Strukturen lassen sich hingegen rasch und flexibel auf- und ausbauen. Kombiniert mit dem  No-Mix-Konzept kann auch auf Geb?udeebene das Grauwasser (ohne Urin und F?kalien) aufbereitet und wieder genutzt werden.

Den Herausforderungen begegnen  

Um aus diesen Ans?tzen alltagstaugliche Alternativen zu entwickeln, braucht es massive inter- und transdisziplin?re Forschung. Die Bill und Melinda Gates Foundation [4] hat dies erkannt und investiert grosse Summen in neue Ideen für die ?rmsten dieser Welt (Stichwort: Reinvent the Toilet). Das reicht aber nicht, um der künftigen Weltbev?lkerung Würde und Gesundheit zu gew?hren! Die Forschungsgemeinschaft hat es geschafft, die 100 Milliarden Dollar teure internationale Raumstation ISS zu verwirklichen. Ich wünsche mir etwas Vergleichbares für die Wasserinfrastruktur dieser Welt.

Weiterführende Informationen

[1] Umweltingenieurwissenschaften

[2] Science Review: Larsen et al., Emerging solutions to the water challenges of an urbanizing world, Science  20 May 2016: Vol. 352, Issue 6288, pp. 928-933 DOI: 10.1126/science.aad8641. externe SeiteLink

[3] Siehe auch diese Blogbeitr?ge: Neue Wege fürs Abwasser und Phosphorrecycling aus Kl?rschlamm 

[4] externe SeiteGates Foundationexterne Seite

Zum Autor

Max Maurer
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