Weg zum CO2-armen Energiesystem

Die Schweizer Energieversorgung steht vor einem Umbruch. Es braucht nicht nur Ersatzkapazit?ten beim Strom, wenn die Kernkraftwerke vom Netz gehen. Auch gilt es, die Bereiche Heizen und Verkehr zu elektrifizieren. Wie kann die Schweiz die Lücke schliessen, und wo sollte sie erneuerbaren oder CO2-armen Strom priorit?r einsetzen?

Vergr?sserte Ansicht: (Bild: Colourbox)
(Bild: Colourbox)

Wir brauchen künftig viel mehr Energie als heute, und wir brauchen sie umweltfreundlich produziert: Allein der Elektrizit?tsbedarf des Landes wird gegen Mitte des Jahrhunderts um 10 bis 50 Prozent ansteigen, wie das Energy Science Center (ESC) der ETH Zürich in der Studie ?Energiezukunft Schweiz? im Jahr 2011 sch?tzte [1].

Aus heutiger Sicht stellt sich die Situation mit einem Zeithorizont bis 2035 folgendermassen dar: W?hrend der n?chsten 20 Jahre müssen wir – selbst bei gleichbleibender Nachfrage – Ersatzkapazit?ten für die existierenden Kernkraftwerke in der H?he von 25 Terawattstunden (TWh) aufbauen. Das entspricht rund etwa 40 Prozent des gesamten Stromverbrauchs im Jahr 2015. Gleichzeitig muss die Schweiz auch die Sektoren Geb?udew?rme und Verkehr mit m?glichst klimaschonender Technik optimieren, das heisst Heizungen und Antriebssysteme zumindest teilweise mit CO2-armem Strom (etwa für W?rmepumpen und E-Mobilit?t) elektrifizieren. Das Problem dabei: Die Nachfrage nach erneuerbarer Elektrizit?t wird das inl?ndische Angebot deutlich übersteigen. Woher kommt also der Strom für diese Herkulesaufgabe, und wo genau setzen wir ihn am sinnvollsten ein?

Atomlücke mit Erneuerbaren füllen

Strom aus erneuerbaren Quellen, insbesonder der Photovoltaik, kann und soll künftig Atomstrom ersetzen.
Strom aus erneuerbaren Quellen, insbesonder der Photovoltaik, kann und soll künftig Atomstrom ersetzen. (Bild: iStock / 4X-Image)

Am Laboratorium für Aerothermochemie und Verbrennungssysteme haben wir den Sachverhalt analysiert [2]: Da der CO2-Ausstoss der Schweizer Elektrizit?tserzeugung heute schon sehr gering ist, macht es Sinn, die Kernkraftwerke m?glichst mit CO2-freiem Strom aus inl?ndischen erneuerbaren Quellen zu ersetzen: Etwa die H?lfte der Lücke durch den Atomausstieg kann – systemvertr?glich – die Photovoltaik kompensieren; den Rest k?nnen biogene WKK-Anlagen (W?rme-Kraft-Kopplung), die erh?hte Produktion durch Wasserkraft und m?glicherweise die Geothermie und die Windkraft bereitstellen [1].

Jeder darüber hinausgehende Strombedarf, insbesondere aber jener für die Elektrifizierung des W?rme- und Verkehrssektors, erfordert in der Konsequenz also entweder Stromimporte aus der EU oder neue inl?ndische Gaskombikraftwerke beziehungsweise neue WKK-Anlagen. Mein Hauptargument ist hier, dass man jede verfügbare Kilowattstunde (kWh) CO2-armer Elektrizit?t priorit?r in demjenigen Energiesektor einsetzen soll, wo sie den gr?ssten Substitutionseffekt für das Klima bewirkt: Für eine solche Substitution kommen die Geb?udew?rme, der Personen- und Güterverkehr auf der Strasse und nicht zuletzt die schlechtesten europ?ischen Kohlenkraftwerke in Frage.

Dort ersetzen, wo es dem Klima am meisten dient

Unsere Analyse [2] nimmt vereinfachend an, dass die Substitution von Brenn- und Treibstoffen in den Sektoren W?rme und Verkehr (a) durch relativ CO2-arme Elektrizit?t aus Gaskombikraftwerken und (b) durch zus?tzliche Stromimporte aus der EU erfolgt, und untersucht, welche CO2-Minderungseffekte dadurch jeweils entstehen (siehe nachfolgende Grafik). Erneuerbare Elektrizit?t betrachten wir dafür nicht, da sie unserer Meinung nach vollumf?nglich für den Ersatz der Kernkraftwerke – teilweise auch gesamteurop?isch – zur Verfügung stehen muss; ansonsten würde eine zus?tzliche Verbesserung im Verkehrs- und W?rmesektor mit einer entsprechenden Verschlechterung des heutigen nahezu ?Null-CO2?-Ausstosses der Schweizer Elektrizit?tserzeugung erkauft.

Vergr?sserte Ansicht: Diagramm CO2-Minderung
Eingespartes CO2 bei der Substitution verschiedener Technologien im W?rme-, Verkehrs- und Elektrizit?tssektor durch Strom aus Gaskombikraftwerken oder aus Importen. Die Grafik berücksichtigt die Betriebsenergie der Anlagen (ohne die ?graue?, vorabinvestierte Energie) und verwendet Performance-Daten der entsprechenden Energiewandler. (Tabelle: Konstantinos Boulouchos / ETH Zürich)

Der Grafik k?nnen wir folgende Schlüsselaussagen entziehen:

  • Der CO2-Minderungseffekt mit Strom aus Gaskombikraftwerken (mit einem Emissionsfaktor von rund 350g CO2/kWh) variiert um mindestens einen Faktor 10 je nach Energiesektor und substituierter Technologie. Zum Vergleich: Ein ?lteres Braunkohlekraftwerk emittiert etwa 1`200 g CO2/kWh.
  • Der CO2-Minderungseffekt mit Strom aus dem EU-Mix (mit einem Emissionsfaktor von 550g CO2/kWh) ist generell deutlich kleiner und speziell bei modernen PKW-Hybridantrieben inexistent bis klar negativ.
  • Im Verkehr sind die spezifischen CO2-Minderungseffekte am kleinsten. Um aber das relativ grosse absolute Potential der Verkehrselektrifizierung auszusch?pfen, müsste man in der Schweiz mit einem sehr hohen zus?tzlichen Strombedarf von etwa 15 TWh (oder etwa zwei Kernkraftwerken der Gr?sse von G?sgen) rechnen.

Fazit: Den optimalen Pfad w?hlen

Wenn es künftig darum geht, fossile Energie im W?rme- und Verkehrssektor durch CO2-arme Elektrizit?t zu ersetzen, sollten wir mit Bedacht vorgehen. Nimmt man den Klimaschutz als massgebende Gr?sse, so resultiert über die n?chsten Jahrzehnte ein optimales Preis-Leistungsverh?ltnis, wenn zun?chst die schlechtesten europ?ischen Kraftwerke im Stromsektor, dann die CO2-intensivsten ?lheizungen ersetzt und zuletzt der motorisierte Individualverkehr (teil-) elektrifiziert werden. Sowohl beim Verkehr als auch beim Geb?udesektor ist es mittelfristig volkswirtschaftlich am sinnvollsten, die ?low-hanging fruits? systematisch zu pflücken: Das sind die heute schon realisierbaren Effizienzsteigerungen durch konsequente Hybridisierung im Verkehr und den Wechsel von ?l zu Erdgas zusammen mit energetischen Sanierungen im Geb?udebereich.

Weiterführende Informationen

[1] Energiezukunft Schweiz (2011), Energy Science Center der ETH Zürich (Link)

[2] K. Boulouchos et. al.: interne Berechnungen für ein Working Paper, LAV, ETH Zürich (2016)

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