Ein Schwarm stromproduzierender «Heizungen» für die Energiewende

Eine zentrale Herausforderung der Energiewende ist es, die schwankende Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen auszugleichen. Eine Machbarkeitsstudie zeigt nun für drei Schweizer Kantone auf, wie ein Verbund von W?rme-Kraft-Kopplungsanlagen kurzfristige Engp?sse überbrücken und Geb?ude mit Strom und W?rme versorgen kann.

Vergr?sserte Ansicht: Wärme-Kraft-Kopplung liefert Strom und Wärme.
Mit Biogas betriebene W?rme-Kraft-Kopplungsanlagen (WKK) k?nnen fluktuierenden Solarstrom kompensieren und Geb?ude beheizen. (Bild: Fotolia / Eisenhans)

Die Schweiz will ihren Elektrizit?tsbedarf künftig vermehrt mit Sonnenenergie decken. Weil Solarstrom aber fluktuiert, also nur fliesst, wenn die Sonne scheint, ben?tigen Netzbetreiber im Energiesystem der Zukunft auf Abruf verfügbare Produktionsleistung, um kurzfristig auftretende Versorgungslücken zu schliessen. Dafür wurden bislang vor allem neue Gaskombikraftwerke und verschiedene Formen der Energiespeicherung diskutiert. Wir – ein interdisziplin?res Team der ETH Zürich und des Paul Scherrer Instituts PSI – schlagen nun einen nachhaltigen Systemansatz für die Schweiz vor: Künftig k?nnte man eine akute Unterversorgung im Stromnetz mit einem Verbund biogen befeuerter W?rme-Kraft-Kopplungsanlagen (WKK) kompensieren. Im Projekt ?CHPswarm? untersuchten wir die technische Machbarkeit sowie die Wirtschaftlichkeit eines solchen WKK-Schwarms für drei Schweizer Kantone – mit vielversprechendem Ergebnis. [1]

Strom erzeugen und gleichzeitig heizen

Unter einer WKK-Anlage versteht man vereinfacht kleinere oder gr?ssere ?Kraftwerke?, die aus einem Konverter sowie einem Generator bestehen und mit Gas befeuert gleichzeitig W?rme und Strom produzieren. Mit der W?rme lassen sich Geb?ude oder industrielle Prozesse beheizen. Im Gegensatz zur klassischen Elektrizit?tsproduktion mittels thermischer Kraftwerke, welche die Abw?rme an die Umwelt abgeben, wird bei WKK also praktisch 100 Prozent des Brennstoffs sinnvoll genutzt. Insbesondere kolbenmotorische WKK-Anlagen lassen sich flexibel innert Minuten zu- und abschalten und decken mit wenigen Kilowatt bis zu mehreren 100 Megawatt ein breites Leistungsspektrum ab, was sie geeignet macht, um das Stromnetz zu stabilisieren. Als Installationsorte, das heisst prim?r als W?rmeabnehmer, kommen vom Einfamilienhaus bis hin zur Grossindustrieanlage alle Standorte mit einem Gasanschluss in Frage.

WKK als Technologie ist an sich nicht neu und wurde auch schon unter diversen Gesichtspunkten untersucht – allerdings meist nur für Einzelanlagen und Kleinstverbünde. Das Besondere an ?CHPswarm? ist unser systemischer Ansatz mit Fokus auf den Verbund: An Stelle einer Grossanlage kann eine Energiefirma die erforderliche Produktionsleistung auf einen Schwarm kleinerer Maschinen verteilen. Das schafft Skalierbarkeit, indem sich der Verbund flexibel erweitern oder verkleinern l?sst. Zudem speisen die dezentralen WKK-Anlagen den produzierten Strom wie die fluktuierende Photovoltaik auf der unteren Netzebene ein, dem Geb?udeanschluss.

Potential für drei Schweizer Regionen analysiert

Wir prüften das Potenzial und die Praxistauglichkeit von WKK-Schw?rmen anhand der Kantone Luzern, Thurgau und Basel-Stadt. Dazu sch?tzten wir die absetzbare W?rme für jedes ans Gasnetz anschliessbare Geb?ude einzeln ab und legten geeignete WKK-Anlagen aus. Aus allen m?glichen Installationsorten stellten wir dann einen Schwarm zusammen, der die verfügbare Gasmenge mit maximalen Profiten umsetzt. Im Sinne eines nachhaltigen Betriebs sollte dafür Biogas verwendet werden; entsprechend darf die j?hrlich bezogene Gasmenge die im Kanton maximal produzierbare Biogasmenge nicht überschreiten. Letztere bezifferten wir anhand einer r?umlichen Inventur der Gülle-, Holz- und Bioabfallvorkommen.

Die Rechnung geht auf

Unsere Fallstudien zeigen, dass sich mit den Biogaspotentialen der Kantone Luzern und Thurgau jeweils 15 bis 20 Prozent der existierenden Heizenergie (nur W?rme produzierende Gasbrenner) durch WKKs ersetzen liessen. Der damit zus?tzlich produzierte Strom entspricht 10 bis 16 Prozent des kantonalen Elektrizit?tsbedarfs. Im st?dtischen Umfeld von Basel-Stadt fiel das Potential von WKK-Schw?rmen aufgrund der wenigen land- und forstwirtschaftlichen Biomasselieferanten gering aus. Es k?nnte aber in der Praxis durch ?Biogas-Importe? erh?ht werden. 

Insgesamt zeigt die Potenzialanalyse für die drei Kantone, dass biogene WKK-Anlagen etwa ?hnlich viel Strom produzieren k?nnten wie die Photovoltaik im Jahr 2050 gem?ss Erwartungen des Bundesamt für Energie BFE – hochgerechnet auf die gesamte Schweiz entspr?che das 10 Prozent des gesamten Elektrizit?tsbedarfs. Mengenm?ssig k?nnten WKK-Schw?rme die Photovoltaik also durchaus kompensieren; sie reichen aber alleine bei weitem nicht aus, um die gesamte Strom-Nachfrage zu decken. 

Saisonaler Energiespeicher

Aufgrund des gesteigerten W?rmebedarfs produzieren WKK-Anlagen im Winter mehr Elektrizit?t als im Sommer. Eine Grobabsch?tzung eines Gasnetzbetreibers ergab, dass die Leitungssysteme über Druckanpassungen im Sommer produziertes Biogas durchaus bis zum Winter speichern k?nnten – das Gasnetz k?nnte somit als saisonaler Energiespeicher dienen.

WKK-Schwarm und Photovoltaik im Jahresverlauf.
Die Grafik zeigt die additiven Leistungen der Photovoltaik (PV) und des WKK- Schwarms für den Kanton Luzern im Jahresverlauf. Der WKK-Schwarm verh?lt sich saisonal komplement?r zur Photovoltaik, da er seine Produktion nach dem W?rmebedarf der Geb?ude richtet, der im Sommer tief und im Winter hoch ist. Die PV-Produktion ist vor allem im Sommer hoch. (Grafik: ETH Zürich / Philipp V?gelin)

Schliesslich analysierten wir die Wettbewerbsf?higkeit unserer Idee und identifizierten Gaskombikraftwerke als prim?re Konkurrenten im Strommarkt. Im W?rmemarkt beobachteten wir eine ?hnliche Situation mit Gasheizungen. Allgemein begünstigten hohe Gaspreise und restriktive umweltpolitische Randbedingungen den Einsatz von WKK. Zudem stellte sich heraus, dass WKK-Schw?rme ein synergetisches Verh?ltnis mit W?rmepumpen eingehen k?nnen, da diese bei einer ?berversorgung Elektrizit?t aus dem System ziehen und somit das komplement?re Gegenstück zu WKKs bilden. 

Wir sind daher der Meinung, dass Schw?rme dezentraler und biogen befeuerter WKK-Anlagen eine interessante Option für die Schweiz darstellen, wenn es künftig darum geht, kurzfristige und bis zu einem gewissen Grad auch saisonale Schwankungen der Photovoltaikproduktion auszugleichen.

Weiterführende Information

[1] Studie CHPswarm: Philipp V?gelin, René Buffat, Giovanni Beccuti, Evangelos Panos, Gil Georges, ?System modelling for assessing the potential of decentralised biomass-CHP plants to stabilise the Swiss electricity network with increased fluctuating renewable generation – Final report”, BFE, externe SeiteVolltext

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Gil Georges
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