Unser viel zu grosser Fussabdruck

Planungshorizonte, wie sie die Schweiz fürs Klima und die Endlagerung radioaktiver Abf?lle festlegt, sind so langfristig, dass sie heute zu wenig bewegen und langfristig die Zielerreichung in Frage stellen. Dabei w?ren in beiden F?llen fast alle technischen L?sungen vorhanden. Warum sind die Zeitpl?ne bei der Endlagerung und dem Klimaschutz so wenig ambiti?s?

Vergr?sserte Ansicht: Ökologischer Fussabdruck
(Bild: Montage / iStock.com – adventtr)

Viele reden vom Klimawandel und spüren ihn selbst hautnah – aber fast niemand nimmt ihn genügend ernst. Ich besitze zwei H?user, beide sind gut isoliert und relativ neu. Das Haus nahe der Stadt hat Sonnenkollektoren für Warmwasser, das Haus in den Bergen wird fast ausschliesslich mit Stückholz aus dem nahen Wald beheizt. Mein Auto, ein sparsamer Diesel, f?hrt meistens nur am Wochenende aus; zur Arbeit nehme ich die ?ffentlichen Verkehrsmittel. Da leiste ich doch schon viel für das Klima, m?chte ich denken – doch ich t?usche mich selbst gewaltig. Mein ?kologischer Fussabdruck entspricht 3.5 (es br?uchte für meinen Lebenswandel nicht eine sondern dreieinhalb Erden), und liegt noch über dem Schweizer Durchschnitt von 3.0. [1] Dazu emittiere ich j?hrlich etwa 13 Tonnen CO2. [2]

Langfristige Ziele l?hmen

Ich erforsche mit meiner Professur unter anderem die M?glichkeit, aus tiefer Geothermie einen nachhaltigen Beitrag an unseren Strombedarf zu erbringen und unsere radioaktiven Abf?lle aus der bisherigen nuklearen Stromproduktion langfristig sicher im geologischen Untergrund der Schweiz zu lagern. Gem?ss dem Bundesamt für Energie sollte im Jahr 2050 ein geologisches Tiefenlager für die schwach- und mittelaktiven Abf?lle bereit stehen, im Jahr 2060 für hochaktive Abf?lle – und meine CO2-Emissionen sollten 2050 noch 3 Tonnen CO2 pro Jahr betragen.

Derart lange Zeitr?ume für die Endlagerung und diese von Politik und Beh?rden verfolgten ?CO2-Ziele? sind aus technischer Sicht nicht notwendig und aus ?kologischer Sicht verheerend. Ich werde – wie viele andere Verursacher dieser Umweltprobleme – im 2050 auch bei einem gesunden Lebenswandel wohl kaum mehr leben. Die regionale Partizipation im Sachplan Geologische Tiefenlager [3] wird innerhalb von 30 bis 40 Jahren ihre heutige Dynamik kaum erhalten und auf die Enkel übertragen k?nnen, und auch die Stromerzeuger scheinen schon heute ihre Motivation zu verlieren, radioaktive Abf?lle ohne Kostendruck m?glichst sicher zu entsorgen.

Sachstand bei der Endlagerung

Gleichzeitig sind aber die wichtigsten geologischen Fragestellungen für eine sichere Lagerung radioaktiver Abf?lle bereits gel?st: Geologisch geeignete Gebiete und Wirtsgesteine haben wir im Prinzip in der Schweiz schon gefunden. Ausstehend sind nur noch deren Optimierung und die Diskussion in regionalen Partizipationsverfahren. In einer ?hnlichen Situation befinden wir uns  in der Klimaproblematik, da hier schon viele L?sungsans?tze vorliegen, um unseren CO2-Ausstoss markant zu reduzieren.

In der Endlagerung der Schweiz harren prim?r noch zwei bautechnische Aufgaben einer L?sung respektive eines Nachweises der Machbarkeit: Wie k?nnen Lagerstollen in gr?sserer Tiefe in Tonsteinen gebaut und betrieben werden, ohne die geologische Barriere zu zerst?ren – und wie führen wir die Gase ab, welche durch Korrosion von Stahl und organische Abfallstoffe im Endlager gebildet werden, ohne die strahlenden Radionuklide freizusetzen?

Gotthard-Basistunnel als Benchmark

Ideen zur L?sung dieser bautechnischen Probleme liegen vor; um sie konkretisieren und zu prüfen braucht es noch aufw?ndige Tests auf verschiedenen Gr?ssenskalen, die sich typischerweise innerhalb von 10 bis 20 Jahren durchführen lassen. Die noch ausstehenden Aufgaben der Endlagerung sind damit durchaus vergleichbar mit der Planung anderer technischer Grossprojekte, etwa des Gotthard-Basistunnels. Hier war der Zeitbedarf deutlich geringer – man k?nnte ihn als Benchmark für Planung und Bau geologischer Tiefenlager verwenden: Entscheid zum Bau der neuen Alpentransversale im Jahr 1992, Beginn der Ausbruchsarbeiten am Gotthard 1999, Durchschlag 2010 und Er?ffnung 2016.

Warum machen wir nicht vorw?rts?

Weshalb denn ist ein solcher Fahrplan bei der L?sung der Schweizer Energie- und Klimaprobleme nicht m?glich? Beim Bau des Basistunnels durch die Alpen waren alle Gewinner, sowohl die Bauindustrie, die lokale Bev?lkerung, die Politiker, wie die Umwelt. Bei der Klimapolitik verhindern verschiedene Zielkonflikte ein beherztes Vorgehen: Schweizer Grosskonzerne profitieren von der F?rderung und dem internationalen Handel mit Erdgas und Erd?l, oder von nationalem und internationalem Güter- und Personentransport auf dem Europ?ischen Strassennetz. Die Zielkonflikte bei der Lagerung radioaktiver Abf?lle sind haupts?chlich politischer Natur, da sich in der Schweiz keine geologisch geeigneten Regionen finden, welche sich über den Bau eines Tiefenlagers freuen.  

Ich denke, unsere Umweltmassnahmen sind prim?r deshalb so z?gerlich, weil die Grosskonzerne die Politik in der Schweiz und in anderen L?ndern massiv beeinflussen, sich die Politiker ungerne mit der Bev?lkerung auf Konfrontationen einlassen, und weil die Umwelt nur über eine schwache Lobby verfügt. Nur mittels ?konsensf?higer? Aktionen l?sst sich der CO2-Ausstoss der Schweiz nicht genügend verringern, und w?hrend die radioaktiven Abf?lle auch noch Jahrzehnte auf ihre geologische Entsorgung warten k?nnten, ertr?gt dies unser Klima leider nicht mehr. Zudem machen langfristige Umweltziele viele Bürgerinnen und Bürger tr?ge. Und so beruhigen sie ihr Gewissen – wie auch ich meines – mit ungenügenden Ablasshandlungen.

Weiterführende Informationen

[1] berechnet nach externe SeiteWWF

[2] berechnet nach externe Seiteecospeed

[3] externe SeiteSachplan geologische Tiefenlager

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