Klimawandel verschärft Konkurrenz

Viele Pflanzen dürften in einem w?rmeren Klima einen harten Stand haben. Dies vor allem, wenn ihnen neue Konkurrenz erw?chst von Pflanzen, die ihren Lebensraum wegen der Klimaerw?rmung in gr?ssere H?hen ausdehnen, wie eine neue ETH-Studie zeigt.

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In tiefere Lagen verpflanzte Alpenpflanzen müssen sich an eine h?here Durchschnittstemperatur von drei Grad und neue Konkurrenz anpassen. (Bild: Peter Rüegg/ETH Zürich)

Der Klimawandel geht ungebremst voran. Die Durchschnittstemperaturen steigen. Für viele Wildtiere und Pflanzen bedeutet dies, dass sie sich neue Lebensr?ume erschliessen müssen. Weil dabei neue Arten in bisher unbekannten Kombinationen zusammenkommen, dürften sich auch die ?kologischen Wechselwirkungen stark ver?ndern – mit bislang unerforschten Konsequenzen für einzelne Arten aber auch Lebensgemeinschaften.

Für Alpenpflanzen k?nnte das heissen, dass sie Konkurrenz erhalten von Pflanzen, die heute in tiefen Lagen vorkommen, aber, begünstigt durch den Klimawandel, irgendwann zu ihnen hochwandern.

In einer neuen Studie, die soeben in der Fachzeitschrift Nature publiziert wurde, zeigen die Pflanzen?kologen Jake Alexander, Jeff Diez und ETH-Professor Jonathan Levine, erstmals empirisch auf, dass diese neuartige Konkurrenz ein entscheidender Faktor sein k?nnte.

Konkurrenzsituation in w?rmerem Klima simuliert

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Migration am Calanda: In einem w?rmeren Klima k?nnten Pflanzen aus mittleren Lagen (rot) über die Waldgrenze aufsteigen (hellrot), die dortige Flora weicht in die Gipfelregion (blau) aus. (Bild: Adrian Michael, wikimedia commons)

Mit einem Experiment am Churer Hausberg, dem Calanda, fanden die Forscherinnen und Forscher heraus, dass Alpenpflanzen eine 3-Grad-Erw?rmung des Klimas überleben, vorausgesetzt, dass sie es mit ihren gegenw?rtigen alpinen Nachbarn zu tun haben. Wurden Alpenpflanzen hingegen mit einer Pflanzengesellschaft aus tieferen Lagen konfrontiert, sank ihre ?berlebensrate um mehr als die H?lfte. Diejenigen, die der Konkurrenz standhielten, wuchsen schlechter und blühten weniger. ?Das ist insofern bedeutend, als dass es zeigt, dass wir wissen müssen wer die Konkurrenten sind, wenn wir Wachstum und Vorkommen nach der Klimaerw?rmung vorhersagen m?chten?, sagt Alexander. Er ist überzeugt, dass dieser Effekt durch den Wettbewerb ums Licht erkl?rt werden kann: ?Pflanzen aus tieferen Lagen wachsen h?her und ihre Bl?tter sind oft gr?sser. Dies erlaubt es ihnen, ihre alpinen Konkurrenten auszustechen.?

Ursprünglich gingen ?kologen davon aus, dass h?here Temperaturen den Alpenpflanzen zu schaffen machen. Alexander und seine Kollegen fanden jedoch, dass dieser direkte Effekt des Klimawandels sich nur selten negativ auf diese Arten auswirkte. ?Der massgebende Effekt, der Alpenpflanzen das Leben in Zukunft schwer machen k?nnte, ist die Konkurrenz, insbesondere diejenige, die einwandernde Tieflandarten ausüben werden?, sagt Alexander. Diese Erkenntnis trage zur wachsenden Zahl von Hinweisen bei, dass die sich ver?ndernde Wechselwirkung zwischen Arten wichtiger ist als die direkte Wirkung der h?heren Temperatur nach erfolgter Klimaerw?rmung.

Verschiedene Szenarien testen

Das Experiment der ETH-Forscher ist das erste, das die Rolle von neuartiger Konkurrenz im Feld empirisch untersucht. Für die meisten Lebensr?ume kennen Wissenschaftler schlicht nicht, welche Arten sich in Zukunft begegnen werden. ?Aber in den Bergen wissen wir es: Die künftige Konkurrenz von Alpenpflanzen lebt nur wenige hundert Meter hangabw?rts?, sagt ETH-Professor Jonathan Levine.

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Die vier Fokusarten im ?berblick: Frühlingsanenome (Pulsatilla vernalis), Gl?nzende Skabiose (Skabiosa lucida), Alpen-Wundklee (Anthyllis vulneraria ssp. alpestris) und Berg-Wegerich (Plantago atrata). (Bilder: P. Rüegg, ETH Zürich; wikimedia commons)

Für ihr aussergew?hnliches Experiment zügelten die Autoren der Studie vier charakteristische Pflanzenarten – die Frühlingsanemone, den Alpenwundklee, die Gl?nzende Skabiose und den Berg-Wegerich – von ihrem heutigen Standort auf einer Alpweide auf 2000 Meter über Meer  600 H?henmeter hangabw?rts. Dadurch simulierten die Forscher den für die Schweiz in 50 bis 100 Jahren erwarteten Anstieg der Durchschnittstemperatur von rund drei Grad. Die Pflanzen wurden einerseits in intakte Vegetation migriert, die in tieferen Lagen ans?ssig ist – ihre künftige Konkurrenz – , oder in Vegetation, die von der Alpweide – ihre heutige Konkurrenz – hinuntertransportiert wurde.

Weiter verwendeten die Wissenschaftler einen gleichen Ansatz, um die Konkurrenz zu simulieren, die die Alpenpflanzen erleben werden, wenn sie in w?rmerem Klima selbst h?her hinauf migrieren. Dazu verwendeten die Forscher intakte Vegetation aus der Gipfelregion des Calanda von 2600 Meter und zügelten diese auf die Alpweide, wo sie die vier Pflanzenarten einpflanzten.

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Versuchsfl?che auf 2000 m.ü.M, wo Forscher simulieren, wie h?her wandernde Alpenpflanzen auf neue, angestammte Konkurrenz treffen. (Bild: P. Rüegg/ETH Zürich)
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Szenarien der Ausbreitung vier ausgew?hlter Alpenpflanzen (grün): Entweder bleiben sie an Ort in ihrer Gesellschaft (Szenario 1) oder eine neue Pflanzengemeinschaft holt sie ein (S2). Alternativ dazu wandert die gesamte alpine Gemeinschaft h?her (S3) oder nur die Fokusarten erreichen die n?chste H?henstufe (S4). (aus Alexander et al, 2015)

Mit dieser komplexen Versuchsanordnung konnten die Forschenden verschiedene Szenarien testen: Erstens konnten sie Szenarien testen, in welchen Alpenpflanzen im w?rmeren Klima an ihrem Standort verwurzelt bleiben und entweder von Arten aus dem Tiefland eingeholt werden oder weiterhin mit ihren heutigen Mitbewerbern konkurrieren. Weiter konnten Szenarien untersucht werden, bei denen die Alpenpflanzen hochwandern und auf hochalpine Pflanzengesellschaften oder ihre aktuellen Mitbewerber treffen.

Konkurrenzeffekt unerwartet deutlich

?Für ?kologen mit Kenntnissen von alpinen Lebensr?umen dürfte der ausschliessliche Effekt der neuartigen Konkurrenz unter w?rmerem Klima nicht überraschend sein?, findet Alexander. Trotzdem seien sie überzeugt, dass ihre Resultate wichtig sind, um die Reaktion von Arten auf den Klimawandel vorauszusagen. ?Die grosse Mehrheit der Voraussagen darüber, wo Arten künftig vorkommen, basieren auf der Annahme, dass die Identit?t der Konkurrenz keine Rolle spielt?, erg?nzt Jeff Diez, der als Postdoc bei Jonathan Levine die Studie durchführte und heute Professor an der UC Riverside ist. ?Dass sich die Konkurrenz als massgebender Effekt herauskristallisiert und nicht wie bislang vermutet die h?here Temperatur, ist eine sehr wertvolle Entdeckung?, sagt Alexander.

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Eine Gl?nzende Skabiose nach der Transplantation in Vegetation, in welche diese Art als Antwort auf die Klimaerw?rmung einwandern k?nnte. (Bild: Peter Rüegg/ETH Zürich)

Neue Konkurrenten dürfen indessen nicht überall einen derart starken Einfluss haben: Die vier Fokusarten konnten sich in hochalpinen Pflanzengesellschaften gut halten, wahrscheinlich weil Vertreter dieser H?henstufe ?hnliche Blattmerkmale und Wuchsformen aufweisen.

Alexander ist es bewusst, dass die mit diesem Experiment durchgespielten Szenarien ?extrem? seien. Die Vegetation werde sich in der Zukunft eher graduell ?ndern, denn nicht alle Pflanzen h?tten dieselbe Ausbreitungsgeschwindigkeit. Realistischer, aber experimentell schwieriger zu überprüfen sei, dass neue Arten schrittweise hochwandern. Darüber hinaus konnten die ETH-Forschenden die Entwicklung der vier Alpenpflanzen nur gerade zwei Jahre lang beobachten. Dennoch gab diese Zeit genügend Hinweise darauf, welche massgebenden Faktoren in einer w?rmeren Klimazukunft auf die Pflanzen einwirken und welche nicht. ?Unsere Studie liefert einen der ersten empirischen Hinweis darauf, dass der Wettbewerb mit sich ausbreitenden Arten unbedingt einbezogen werden muss, wenn man die Reaktion von Pflanzen auf den Klimawandel voraussagen will?, betont Alexander.

Literaturhinweis

Alexander JM, Diez JM, Levine JM. Novel competitors shape species response to climate change. Nature, advanced online publication September 16th 2015. DOI: externe Seite10.1038/nature14952

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