Nicht immer nimmt der Gewinner alles

Theoretisch vorausgesagt, nun erstmals experimentell mit Bodenbakterien bewiesen: Schw?chere Organismen k?nnen sich gegen st?rkere durchsetzen – wenn sie zahlenm?ssig überlegen sind. Dies ist ein treibender Mechanismus zum Erhalt von genetischer Vielfalt.

Vergr?sserte Ansicht: Myxococcus xanthus
Zahlreiche Individuen des Bodenbakteriums Myxococcus xanthus sammeln sich in einem Schwarm. (Bild: ETH Zürich / Gregory J. Velicer)

Das Bakterium Myxococcus xanthus ist eine spezielle Mikrobe. Sie lebt in B?den, fast überall auf der Welt. Weitere Besonderheit: M. xanthus ist zu sozialen Interaktionen f?hig, sprich, Individuen schliessen sich zusammen, um gemeinsam auf Jagd zu gehen – nach anderen Bakterien oder Pilzen. In Zeiten der Not k?nnen mehrere Bakterien dieser Art gemeinsam Fruchtk?rper mit Sporen bilden, welche lange Zeit ohne Wasser und N?hrstoffe überleben k?nnen. Dies gelingt insbesondere genetisch nah Verwandten gut. Sind die Individuen genetisch zu verschieden, dann k?nnten sie sich gegenseitig dabei behindern oder gar vernichten.

Von M. xanthus gibt es zahlreiche genetische Varianten oder St?mme – konkurrenzstarke und schw?chere. In der Tendenz r?umen die konkurrenzstarken St?mme konkurrenzschw?chere aus dem Weg, was auf Dauer eigentlich dazu führen müsste, dass die Vielfalt der St?mme verloren geht. Doch es zeigt sich ein anderes Bild: Schon in geringen Abstand von einem Zentimeter k?nnen im Boden zahlreiche genetisch unterschiedliche M.-xanthus-St?mme vorkommen. Weshalb und wie diese Diversit?t aufrecht erhalten wird, darüber konnten die Forscher bisher nur spekulieren. Eine der Theorien besagte, dass konkurrenzschwache St?mme in der Population erhalten bleiben, wenn sie eine eigene Nische einnehmen k?nnen, die der Dominante nicht besiedeln kann.

Ritterturnier mit Bakterien

Vergr?sserte Ansicht: Bei Nahrungsknappheit kann M. xanthus gelbe Fruchtkörper bilden. (ETH Zurich / Greg Velicer)
Bei Nahrungsknappheit kann M. xanthus gelbe Fruchtk?rper bilden. Je n?her die Bakterien miteinander verwandt sind, desto erfolgreicher sind sie dabei. (ETH Zurich / Gregory J. Velicer)

Dass diese Theorie im echten bakteriellen Leben zutrifft, hat nun ETH-Forscherin Olaya Rendueles als erste experimentell beweisen k?nnen. Die Postdoktorandin arbeitet am Institut für integrative Biologie der ETH Zürich in der Gruppe von Professor Gregory J. Velicer. Velicer besitzt eine der gr?ssten Sammlungen an M. xanthus-St?mmen weltweit – über 1000 verschiedene lagern bei ihm im Kühlschrank in Kultur.

Um herauszufinden, welche Faktoren für die hohe Diversit?t des Bodenbakteriums verantwortlich sind, hat Rendueles die Konkurrenzkraft von einigen Myxococcus xanthus-Varianten miteinander verglichen. Ihre Studie ver?ffentlichte sie soeben in der Fachzeitschrift ?Current Biology?.

Auf Kulturschalen veranstaltete die Forscherin eine Art Ritterturnier. Zuerst prüfte sie, welcher Stamm sich in einem Eins-zu-eins-Duell durchsetzt. Dabei zeigte sich, dass sich stets der konkurrenzstarke durchsetzte und den schwachen vernichtete. So ging Diversit?t verloren.

Nicht so, wenn der Konkurrenzschwache dem Starken zahlenm?ssig im Verh?ltnis 99:1 überlegen war. Dann vernichtete der Schw?chere den St?rkeren. Die Fachleute nennen diesen Selektionsvorteil aufgrund einer zahlenm?ssigen ?berlegenheit ?positive frequenzabh?ngige Selektion? (Frequenz als Synonym für H?ufigkeit).

Nische rettet Konkurrenzschw?chere

Ordnete Rendueles die Duelle schachbrettartig auf vier Feldern an – auf einem weissen Feld ?bermacht des Schw?cheren, auf dem schwarzen Feld ?bermacht des St?rkeren, dann setzte sich auf dem jeweiligen Feld immer der zahlenm?ssig ?berlegene durch.

Aber: Hatte sich der Konkurrenzschw?chere dank seiner zahlenm?ssigen ?berlegenheit auf seinem Feld durchgesetzt, hielt er dieses Feld erfolgreich. Der Konkurrenzst?rkere konnte diese Nische nicht erobern. Eine soziale Barriere zwischen den genetisch unterschiedlichen St?mmen verhinderte den ?bergriff. Rendueles fand heraus, dass sich zwei verschiedene St?mme nur im direkten Kontakt einzelner Individuen bek?mpfen k?nnen, nicht aber aus der Ferne, wie zum Beispiel über Antibiotika, welche den Gegner t?ten. Insgesamt blieb die Diversit?t der Gesamtpopulation, die alle vier Felder umfasst, also erhalten.

Für Rendueles spricht dies eindeutig dafür, dass die positive frequenzabh?ngige Selektion die Vielfalt von Genotypen innerhalb einer Population erhalten oder gar f?rdern kann, wenn sich konkurrenzschw?chere Varianten einer Art in Nischen halten k?nnen, die den dominanten nicht zug?nglich sind.

H?ufigkeit als Selektionsvorteil

Vergr?sserte Ansicht: M.xanthus
Ein Fruchtk?rper unter dem Elektronenmikroskop (Falschfarbenaufnahme / ETH Zürich / Gregory J. Velicer)

?Das ist der erste experimentelle Nachweis dieses theoretisch vorausgesagten Mechanismus‘?, freut sich die Postdoktorandin. W?re die Population nicht ungleichm?ssig verbreitet, etwa in w?ssriger L?sung wie im Meer, würde die Geschichte anders ausgehen, erg?nzt sie. In einer solchen Situation, in der sich alle vorhandenen St?mme stark durchmischen k?nnen, würde nur der konkurrenzst?rkste oder zahlenm?ssig überlegene Bakterienstamm überleben. Dies führt unweigerlich zu einer Verminderung der genetischen Vielfalt.

Der experimentelle Nachweis für die Hypothese der positiv frequenzabh?ngigegn Selektion als Mechanismus zum Erhalt der Diversit?t ist deshalb wichtig, weil bisher nur eine ?ltere, etablierte Theorie, n?mlich die der negativ frequenzabh?ngigen Selektion, als der Hauptmechanismus zum Erhalt von Vielfalt galt. Bei dieser Selektion k?nnen seltene Genvarianten einen Vorteil gegenüber h?ufigen, dominanten Varianten haben, da sie weniger oft Beutegreifern zum Opfer fallen. So entgehen zum Beispiel abweichende Farbvarianten einer Schmetterlingspopulation einem Raubtier, weil sie besser getarnt sind als das Gros des Bestandes. Dieser Selektionsvorteil besteht nur so lange, als dass die Genvariante Tarnfarbe selten bleibt.

Die positiv frequenzabh?ngige Selektion hingegen wurde bis anhin als diversit?tsvermindernd (?the winner takes it all?) angesehen. ?Wir zeigen nun auf, das auch positiv frequenzabh?ngige Selektion die Diversit?t erhalten kann, indem es schw?cheren Genvarianten das ?berleben erlaubt, wenn sie gegenüber dominanten Varianten zahlenm?ssig überlegen sind?, so Rendueles.

Die Forscher sind überzeugt, dass dieser Mechanismus nicht nur für M. xanthus gilt, sondern auch für viele weitere Organismen.

Literaturhinweis

Rendueles O, Amherd M, Velicer GJ: Positively Frequency-Dependent Interference Competition Maintains Diversity and Pervades a Natural Population of Cooperative Microbes. Current Biology 2015. In Press. DOI: externe Seite10.1016/j.cub.2015.04.057

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