Wie wirkt sich die Energiewende auf unser Stromnetz aus?

Die nachhaltige Energieversorgung mittels erneuerbaren Energien und der europaweite Stromhandel stellen unser Stromnetz vor vielseitige Herausforderungen – sowohl im Netzbetrieb als auch bei der Planung. Demgegenüber stehen viele L?sungsans?tze und Betriebskonzepte für das Stromnetz von morgen. Eine Auslegeordnung aus technischer Sicht.

Vergr?sserte Ansicht: Strommasten und Windräder bei Nacht
Bild: Thorsten Schier / Fotolia.com

Wie müssen wir unser Energiesystem umrüsten, damit wir auch langfristig eine hohe Versorgungssicherheit für Strom gew?hrleisten k?nnen? Um diese zentrale Frage dreht sich die Veranstaltung ?Das Stromnetz der Zukunft?, die das Energy Science Center der ETH Zürich (ESC) diese Woche durchführt. Das Thema ist so spannend wie komplex – einfache Antworten wird es kaum geben. Fest steht: Die Energiewende und der europaweit zunehmende Stromhandel wirken sich stark auf den Betrieb unserer Stromnetze aus. Die technischen Herausforderungen, die sich daraus ergeben, und m?gliche L?sungsans?tze m?chte ich in diesem Beitrag n?her erl?utern.

Strom aus Erneuerbaren ist weniger planbar

Europa baut in rasantem Tempo neue erneuerbare Energien zu. Vor allem die wachsende Anzahl Windturbinen und Photovoltaik-Anlagen (PV) führt zu Unw?gbarkeiten im Netzbetrieb, weil diese Anlagen Strom nur fluktuierend produzieren – also wechselhaft je nachdem, ob der Wind weht oder die Sonne scheint. Mit einer installierten Leistung von knapp 130 GW Wind (8 Prozent der j?hrlichen Strommenge) und 87 GW  Photovoltaik (3 Prozent) in Europa Ende Jahr 2014 [1] wird die Stromerzeugung noch st?rker wetterabh?ngig und damit für Produzenten und Netzbetreiber weniger planbar.

Stromhandel integriert erneuerbare Energien

Vergr?sserte Ansicht: Strommasten
(Bild: damm unique / flickr)

Auch der Stromhandel ist ein wichtigerer Einflussfaktor. In den vergangenen 40 Jahren hat sich das Stromhandelsvolumen in Europa verachtfacht, w?hrend sich der Stromverbrauch selbst nur etwas mehr als verdoppelt hat [2]. Heute werden mehr als zw?lf Prozent des j?hrlichen europ?ischen Stromverbrauchs über L?ndergrenzen hinweg gehandelt [3]. Früher handelten vor allem Nachbarl?nder untereinander, und die Stromflüsse waren aufgrund langfristiger Liefervertr?ge eher statisch und damit gut planbar. Heutzutage wird an den Spotm?rkten im Stunden- oder sogar Viertelstundentakt gehandelt, und dies zunehmend europaweit – von Norwegen bis nach Portugal.

Der Stromhandel erfüllt damit eine wichtige Funktion: Er integriert den unsteten Strom aus erneuerbaren Energiequellen. Wenn eine Windfront oder eine Sch?nwetterlage regional zu sehr grossen Mengen an Wind- oder Solarstrom führt, organisieren die Stromhandelsplattformen den europaweiten Energieausgleich erstaunlich effizient und meist passgenau.

Ver?nderte Stromflüsse im Hochspannungsnetz

Vergr?sserte Ansicht: Hochspannung
(Bild: Tekke / flickr)

Unstete Stromproduktion aus Wind und PV und der wachsende Stromhandel ver?ndern die Stromflussmuster auf der obersten Netzebene, dem Hochspannungs- oder Transportnetz (220/380 kV), dessen Lasten damit schlechter vorhersehbar sind. Diese mitunter europaweiten Lastfluss?nderungen finden oft unkontrolliert statt, teilweise mit unerwünschten Nebeneffekten: Erzeugt die Windkraft in einem Land besonders viel Strom, k?nnen die ver?nderten Lastflüsse zu ungeplanten Netzengp?ssen führen. Das kann so weit gehen, dass Nachbarl?nder ganze Kraftwerke abschalten müssen. Nationale Netzbetreiber verwenden deshalb schon heute sogenannte Phasenschieber, um die Lastflüsse an einigen Landesgrenzen besser zu steuern und unerwünschte Effekte in benachbarten Netzgebieten zu reduzieren.

Ver?nderte Stromflussmuster im europ?ischen ?bertragungsnetz wirken sich auch auf die langfristige Netzplanung aus. Um sicher zu stellen, dass wir dort ausbauen oder verst?rken, wo es notwendig ist, müssen wir die künftigen Stromflussmuster m?glichst genau vorhersagen. Im Vergleich zu früher ist dazu heute ein viel h?herer Planungs- und Simulationsaufwand n?tig.

Spannungsprobleme in den Verteilnetzen

Auch neue Stromverbraucher wie W?rmepumpen und langfristig auch die Elektromobilit?t beeinflussen die Netze. W?hrend heute schon mehr als 250‘000 (Ende 2014) W?rmepumpen in der Schweiz installiert sind [4], ist die Anzahl der hierzulande zugelassenen Elektrofahrzeuge mit wenigen Tausend zwar immer noch sehr gering. Ihr Potenzial für die kommenden Jahre und Jahrzehnte ist allerdings hoch.

Die allermeisten PV-Anlagen und W?rmepumpen sowie alle Elektroautos werden auf den untersten Netzebenen betrieben, dem Niederspannungs- oder Verteilnetz (220 bis 400 V). Wird viel PV-Strom erzeugt, kommt es lokal zu ?berspannung, w?hrend ein h?herer Lastverbrauch durch W?rmepumpen und Elektroautos zu Unterspannung führt. In beiden F?llen k?nnen lokale Netz-?berlastungen entstehen. Solche Effekte werden die langfristigen Netzausbaupl?ne stark beeinflussen.

Smart Grid schafft Abhilfe

Vergr?sserte Ansicht: Laterne mit Solarpanel und Windrad
(Bild: Sura Nualpradid / freedigitalphotos)

In den meisten F?llen l?sen Netzbetreiber auftretende Probleme auch heute noch durch konventionellen Netzausbau, sprich durch Investitionen in neue oder st?rkere Leitungen und Transformatoren. Doch Alternativen dazu wie Energie-Speicher und Smart-Grid-Elemente werden zunehmend wichtiger. Unter Smart Grid versteht man ein ?intelligentes? Stromnetz, das verschiedenste Stromerzeuger, Energiespeicher und Verbraucher miteinander vernetzt und dezentral steuert. Beim Einsatz von neuen Netzelementen und Smart-Grid-Konzepten gibt es Unterschiede zwischen dem Hochspannungs- und Niederspannungsnetz:

Im Hochspannungsnetz spielen bestimmte, an sich schon etablierte Netztechnologien eine immer gr?ssere Rolle: Im Fokus steht die sogenannte Hochspannungs-Gleichstrom-?bertragung (HG? oder englisch HVDC), die Energie verlustarm über weite Strecken transportieren kann. HG? erm?glicht es beispielsweise, Kontinentaleuropa über leistungsstarke Unterwasserkabel mit Grossbritannien und Skandinavien zu verbinden. Dies erlaubt erst einen wirklich europaweiten Stromhandel und -transport.

Generell l?sst sich sagen, dass gr?ssere Transport- und Speicherkapazit?ten den Netzbetrieb, Stromhandel und die Integration erneuerbarer Energien erleichtern. Neue leistungsst?rkere Pump- und Turbinenanlagen erm?glichen es im Bereich Pumpspeicherkraftwerke, die vorhandenen Speicherkapazit?ten effizienter und flexibler zu nutzen. Hier müssen wir allerdings einen langfristig tragf?higen Kompromiss finden zwischen den hohen Investitionskosten und dem damit erreichbaren betrieblichen Nutzen. Gerade Pumpspeicheranlagen sind ein wichtiges Element für die Energiewende. Da die Gesch?ftsmodelle in der Strombranche aber im Umbruch sind, sind Investitionen  über sehr lange Zeitr?ume (bis 40 Jahre und mehr) sehr unsicher. Dies sind einige der Kernergebnisse einer trilateralen Studie über Pumpspeicherkraftwerke für die Energieministerien der Schweiz, ?sterreich und Deutschland, an der das Energy Science Center der ETH Zürich mitarbeitete [5].

Im Verteilnetz gilt es vor allem, die PV-Anlagen und die neuen Verbrauchertypen wie W?rmepumpen und Elektroautos besser einzubinden. Hier k?nnen Smart-Grid-Elemente und -Konzepte effektiv helfen, die PV-Integration zu verbessern und generell Netzbelastungen zu reduzieren. Die modernen Netztechniken sollten sich auch langfristig lohnen, weil ein konventioneller Ausbau der Verteilnetze wohl umfangreicher und damit auch teurer w?re.

Diskutieren Sie mit!

Sie interessieren sich für Fragen rund um unser Energiesystem von morgen? Dann nehmen Sie teil am ?Stromnetz der Zukunft?: Es erwarten Sie spannende Referate von Experten und eine Podiumsdiskussion.

Weiterführende Informationen

[1] EurObserv‘ER 2015: externe SeiteLink

[2] IEA Electricity Information 2013 (Tabelle 2.13): externe Seitehier

[3] ENTSO-E Yearly Statistics & Adequacy Retrospect  2013: externe SeiteLink

[4] BFE Elektrizit?tsstatistik 2013.

[5] Trilaterale Studie zur Zukunft von Pumpspeicherkraftwerken in der Schweiz, ?sterreich und Deutschland, 2014: externe SeiteStudie

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