Auf der Nanoskala Sektorwände versetzen

Wissenschaftler der ETH Zürich k?nnen die magnetische und elektrische innere Ordnung einer intensiv erforschten Materialklasse, den Multiferroika, sichtbar machen und gezielt ver?ndern. Dies ?ffnet Türen für vielversprechende elektronische Anwendungen. Speziell interessieren sich die Forschenden für die W?nde der geordneten Bereiche.

Vergr?sserte Ansicht: Strontiummanganit
Strontiummanganit ist ein Multiferroikum, das in einer dünnen Kristallschicht vorliegt. In dieser vergr?sserten Aufnahme sind die einzelnen Dom?nen sichtbar, welche nur rund 100 Nanometer breit sind. (Bild: Becher C et al. Nature Nanotechnology 2015)

Die meisten magnetischen Materialien sind etwas komplizierter aufgebaut als ein handelsüblicher Küchenmagnet: Sie haben nicht nur einen Nord- und einen Südpol, sondern setzen sich aus einer Vielzahl oft nur Nanometer grosser Sektoren zusammen, in denen die magnetische Achse jeweils in eine andere Richtung zeigt. Diese Sektoren werden als Dom?nen bezeichnet. Manfred Fiebig, Professor für multifunktionale ferroische Materialien an der ETH Zürich, untersuchte in den vergangenen Jahren in bestimmten Materialien die W?nde, an denen die Dom?nen aneinandergrenzen. ?Das Innenleben eines Materials mit seinen Dom?nen ist das eine?, sagt Fiebig. ?Ganz interessante Dinge passieren jedoch an den Grenzw?nden dieser Dom?nen.?

Fiebig hat sich dabei einer ganz speziellen Klasse von Materialien verschrieben: den Oxiden, und zwar insbesondere solchen mit sogenannt multiferroischen Eigenschaften. Das sind kristalline Materialien, die einerseits magnetisch geordnet sind (das heisst, einen magnetischen Nord- und Südpol aufweisen), gleichzeitig aber auch eine elektrische Ordnung aufweisen (das heisst, die elektrische Ladung ist im Material so verteilt, dass es zus?tzlich zum magnetischen auch einen elektrischen Plus- und Minuspol gibt).

?Weil in multiferroischen Materialien eine magnetische und eine elektrische Ordnung zusammenkommen, sind auch Kreuzkopplungen m?glich: Man kann zum Beispiel den magnetischen Zustand mit einer elektrischen Spannung ?ndern?, erkl?rt Fiebig. Diese Eigenschaften machen die Materialien auch für viele Anwendungen interessant und sind der Hauptgrund, warum Multiferroika derzeit von der Wissenschaft so intensiv erforscht werden.

Winzige Kondensatoren

Gemeinsam mit Forscherkollegen hat Fiebig die Dom?nengrenzen in bestimmten Multiferroika genau untersucht und dieser Tage dazu zwei Fachartikel ver?ffentlicht. Darin konnten die Wissenschaftler zeigen, dass sich die elektrische Leitf?higkeit der Dom?nenw?nde von jener des Materials als Ganzes unterscheidet. In einem Material, Strontiummanganit, konnten sie zeigen, dass Dom?nenw?nde elektrischen Stromfluss unterdrücken. ?Ein Material mit nicht-leitenden W?nden in einer leitenden Umgebung kann in der Elektronik sehr nützlich sein?, so Fiebig. Denkbar w?re beispielsweise, damit elektronische Bauteile herzustellen, in denen die nanometergrossen Dom?nen als winzige Kondensatoren wirken, die man getrennt voneinander elektrisch aufladen kann.

?So k?nnte man ein neues ladungsbasiertes Speichermedium schaffen?, sagt Fiebig. Um in einer Dom?ne die Ladung zu ?ndern, ben?tige man nur einen Spannungspuls, es müsse dazu kein Strom fliessen. Ein solches Speichermedium w?re im Vergleich zu heutigen energieeffizienter. Zudem entstünde bei der Datenspeicherung keine W?rme, die man abführen müsse, weshalb man solche Speichermedien sehr viel kleiner bauen k?nnte.

Die Arbeit verfassten Wissenschaftler aus der Gruppe von Manfred Fiebig gemeinsam mit solchen aus der Gruppe von ETH-Professorin Nicola Spaldin sowie der Universit?t Saragossa. Spaldin und ihre Mitarbeiter trugen die theoretische Erkl?rung bei, warum in Strontiummanganit die Dom?nenw?nde nicht leiten. Fiebig erkl?rt es so: Kristalline Materialien seien niemals perfekt aufgebaut. An bestimmten Stellen im Kristallgitter der Oxide würden einzelne Sauerstoffatome fehlen. Die Wissenschaftler konnten nun zeigen, dass sich solche ?Sauerstoff-Lücken? mit Vorliebe an den Dom?nengrenzen ansammelten und dort den Stromfluss blockierten.

Leitf?higkeit manuell ver?ndern

In Untersuchungen an einem zweiten multiferroischen Material, Terbiummanganit, konnten Wissenschaftler aus Fiebigs Gruppe gemeinsam mit Kollegen aus Japan zeigen, dass sich die Dom?nengrenzen mit elektrischen Feldern unter bestimmten Bedingungen auch verschieben lassen. ?Dies ist ein Vorteil gegenüber herk?mmlichen Halbleitermaterialien, die eine gewachsene, feste Struktur haben?, so Fiebig. Ausserdem fanden die Forschenden in diesem Material Bedingungen, unter denen sich die Magnetisierung der Dom?nen sowie die Leitf?higkeit der Dom?nengrenzen ?ndern lassen, ohne dabei die Position der Grenzen zu ?ndern.

Voraussetzung für diese Untersuchungen ist eine Technik, mit der man die Dom?nen und deren Grenzen überhaupt sichtbar machen kann. Dies ist derzeit einzig mit einer bestimmten optischen Methode, der Frequenzverdopplung, m?glich. Dazu bestrahlt man das Material mit einem sehr intensiven, gepulsten Laserstrahl einer bestimmten Farbe. Als Reaktion darauf sendet das Material andersfarbiges Licht aus, woraus die Wissenschaftler Informationen über die magnetische und elektrische Struktur des Materials gewinnen k?nnen. ETH-Professor Fiebig war in den vergangenen Jahren die treibende Kraft hinter der Entwicklung, diese optische Methode zur Untersuchung der inneren Ordnung von Materialien zu nutzen.

Neue technische M?glichkeiten

Dass es nun in einem Multiferroikum m?glich ist, die Dom?nenw?nde nicht nur zu sehen, sondern sie auch gezielt zu verschieben oder ihre Leitf?higkeit zu ver?ndern, ?ffnet die Türen für neue technische M?glichkeiten. Konkrete Anwendungen l?gen zwar noch in der Ferne, stellt Fiebig klar. Doch die Erkenntnisse k?nnten sp?ter nicht nur in Datenspeicher, sondern auch in Sensoren oder komplexe elektronische Bauteile fliessen. ?Wenn man in einem Material die Leitf?higkeit ver?ndern kann, hat man einen Schalter – in unserem Fall einen, den man steuern kann, ohne etwas mechanisch zu bewegen, und der somit nicht anf?llig ist auf Materialermüdung?, sagt Fiebig und denkt derweil schon an den n?chsten Entwicklungsschritt: Im Moment k?nne man in Multiferroika einen magnetischen Zustand mit einem elektrischen Feld ver?ndern. In Zukunft sei es vielleicht sogar m?glich, auf das elektrische Feld zu verzichten und den Zustand rein optisch zu schalten. Dies, indem man mit den intensiven Lichtpulsen nicht nur die innere Struktur sichtbar macht, sondern sie damit gleich ver?ndert.

Literaturhinweise

Matsubara M, Manz S, Mochizuki M, Kubacka T, Iyama A, Aliouane N, Kimura T, Johnson SL, Meier D, Fiebig M: Magnetoelectric domain control in multiferroic TbMnO3. Science, 5. Juni 2015, doi: externe Seite10.1126/science.1260561

Becher C, Maurel L, Aschauer U, Lilienblum M, Magén C, Meier D, Langenberg E, Trassin M, Blasco J, Krug JP, Algarabel PA, Spaldin NA, Pardo JA, Fiebig M: Strain-induced coupling of electrical polarization and structural defects in SrMnO3 films. Nature Nanotechnology, 1. Juni 2015, doi: externe Seite10.1038/nnano.2015.108

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert