Gefangen im Netz?

Weltweit wachsen die Megast?dte und immer mehr Menschen zieht es in grosse Agglomerationen. Wie k?nnen wir heute die besten Verkehrsnetze für die St?dte von morgen planen?

Vergr?sserte Ansicht: Singapur Verkehrsnetz
Der Trend hin zu Megast?dten wie Singapur stellt hohe Anforderungen an die Verkehrsplanung. (Foto: Andrew J. Cosgriff/ flickr _CC BY-NC-SA 2)

Die Frage, wie sich Verkehrssysteme nachhaltig gestalten lassen, stellt sich für die verschiedenen Agglomerationen rund um die Welt sehr verschieden: Je nachdem, ob es sich um Megast?dte in den Entwicklungsl?ndern, um Wachstumskerne in den OECD L?ndern, oder um eine der stagnierenden und schrumpfenden St?dte weltweit handelt. Im Zentrum steht aber immer die Frage, ob die jeweiligen Verkehrsnetze der Bev?lkerung erm?glichen, ihre wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und Umweltziele zu erreichen. Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, benutzen Verkehrsplaner als zentrale Gr?sse die Erreichbarkeit.

Dieses Mass für die Qualit?t eines Verkehrssystems setzt sich zusammen aus der Anzahl Gelegenheiten zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben (Arbeitspl?tze, Schulen, Einkaufsm?glichkeiten etc.) an einem bestimmten Ort und – im einfachsten Fall – der Reisezeit dorthin. Die Erreichbarkeit ergibt sich somit aus den Geschwindigkeiten der Fortbewegung, die das Netz durch seine Kapazit?t und seinen Ausbaustandart zur Verfügung stellt. [1]

Vergr?sserte Ansicht: Erreichbarkeitskarte
Erreichbarkeitskarte der Schweiz. Die Erreichbarkeit wird verstanden als Mass für die Angebotsqualit?t des Verkehrsnetzes an einem bestimmten Punkt. (Grafik: IVT / ETH Zürich)

Planen für eine noch unbekannte Zukunft

Die Herausforderung für wachsende St?dte ist nun, die bestehenden Netze anzupassen, oder – wo m?glich – neu zu bauen. Die Frage ist nur, wie grosszügig und damit wie teuer man heute für eine noch unbekannte Zukunft bauen will. Noch kann niemand genau absch?tzen, wie gross in Zukunft die Nachfrage in der jeweiligen Stadt sein wird. Ebenso l?sst sich schwer einsch?tzen, welche Kosten bei einem sp?teren Ausbau anfallen würden, wenn man das Netz heute zu klein auslegt. Das gilt sowohl für den Individual-, als auch für den ?ffentlichen Verkehr (?V).

Das ?V–Angebot spielt bei der Planung der zukünftigen Verkehrssysteme eine zentrale Rolle: Seine Geschwindigkeit definiert die minimale Geschwindigkeit des Individualverkehrs, da sich letzterer sonst nicht auszahlt und nicht mehr genutzt würde. Denn wenn die Nachfrage im ?V zu hoch wird, stossen die ?V-Systeme an ihre Grenzen, und sp?tere Ausbauten – zum Beispiel etablierte Netze und Angebote zu verschieben oder anzupassen, alles w?hrend des laufenden Betriebs – erzeugen hohe Zusatzkosten. Nicht zuletzt auch, da die Qualit?tsanforderungen an neue Infrastrukturen stetig wachsen und in Zukunft vermutlich deutlich h?her sein werden als heute.

Man sieht das sch?n in der Schweiz: Die in den 70iger Jahren gebauten Nationalstrassen boten für damalige Verh?ltnisse eine grosszügige Kapazit?t. Heute ist diese Kapazit?t in Wachstumskernen wie Zürich im Wesentlichen ersch?pft. Ja, man k?nnte ausbauen, aber die Baukosten für zus?tzliche Spuren oder neue Strassen sind überproportional gestiegen. Insbesondere auch, da heute h?here Erwartungen an die Umweltvertr?glichkeit gestellt werden. Ausbauten des bestehenden Strassennetzes sind zudem fast undenkbar, wenn dafür bestehende Geb?ude abgerissen werden müssten.

Grosszügige Netze, mehr Verkehr

Noch schwieriger ist die Planung zukünftiger Verkehrsnetze, wenn man bestimmte Wechselwirkungen berücksichtigt: Baut man heute das Netz grosszügig aus, f?rdert dies das Verkehrswachstum, aber auch das Wirtschafts- und Bev?lkerungswachstum. W?chst das Verkehrsaufkommen, entsteht wiederum die Notwendigkeit des weiteren (teuren) Ausbaus. Man kann zwar Kapazit?ten auch ohne einen Ausbau erh?hen, aber diese Massnahmen (zum Beispiel gezielte Verkehrssteuerung durch bessere Information, Einbahnstrassen und Abbiegeverbote) haben begrenzte Wirkungen. Man bleibt gefangen in dem Netz, das gebaut ist.

Für St?dte, die weder ausbauen, noch in die Breite wachsen wollen, bleiben zwei Wege, um ihre Erreichbarkeiten zu erhalten: Sie müssen die Verkehrsmenge kontrollieren, entweder durch Gebühren (auf Strassen- und Schienennutzung oder für den Besitz der Fahrzeuge), oder durch Verlosung der Nutzungsrechte. Die zweite M?glichkeit ist das Wachstum der jeweiligen Stadt in die H?he, so dass viele kurze Wege zu Fuss oder per Fahrrad erledigt werden k?nnen. Bei der ersten Option geht es darum, ?berlastungen des Verkehrssystem zu vermeiden, so dass die Bev?lkerung sich mit der von ihr gewünschten Geschwindigkeit von einem Ort zum anderen bewegen kann. Im zweiten Fall geht es um dasselbe, da aber die Geschwindigkeit der Fussg?nger gegeben ist, muss die Anzahl der Gelegenheiten, also Arbeitspl?tze, Einkaufsm?glichkeiten und Freizeitangebote, in fussl?ufiger Distanz entsprechend erh?ht werden. Singapur, Shenzen und Shanghai kombinieren beide Optionen. Ausschliesslich aufs H?henwachstum setzt heute niemand, aber einige St?dte beginnen verst?rkt auf die Innenentwicklung zu fokussieren, was eine abgeschw?chte Form dieser Option ist. Die meisten St?dte, vor allem die wachsenden, lassen sich aber bisher vom Autoverkehr überrollen und wachsen in die Breite, da sie nicht in der Lage sind, politische Mehrheiten für einen der beiden anderen Wege oder besser eine Kombination derselben zu finden.

Nachhaltige Verkehrsplanung als (politische) Praxis muss sich dieser Herausforderung stellen, so dass die Stadtgesellschaften weltweit die Erreichbarkeiten erhalten, die sie für ihre Entwicklung brauchen ohne ihr Umland unn?tig zu verschlingen.

Weiterführende Informationen

[1] Die Erreichbarkeit ergibt sich, indem man von einem Ort aus die Reisezeiten zu allen anderen Orten berechnet. Diese Reisezeiten werden gewichtet, um die Unterschiede in der Nützlichkeit zwischen nahen und fernen Zielen zu erfassen. Diese gewichteten Reisezeiten werden mit der Anzahl der Gelegenheiten multipliziert und dann über alle Ziele addiert und dann logarithmiert, um ihren abnehmenden Grenznutzen abzubilden.

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Kay W. Axhausen
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