«Warum nicht endlich Wald roden?»

Der Wald geniesst in der Schweiz seit über hundert Jahren einen absoluten Schutz. Die Waldfl?che w?chst. Der Ruf wird lauter, dass wir statt wertvolles Ackerland zu überbauen doch Wald roden sollen, um mehr Siedlungsfl?che zu schaffen. Damit w?re das Platzproblem endlich zu l?sen – klingt logisch, oder? ?Endlich? ist leider auch das Stichwort, warum dies keine L?sung ist.

Vergr?sserte Ansicht: Platzhalter-Bild
(Bild: Marlano Mantel / flickr)

Wenn ich mit dem Zug von Zürich nach Solothurn oder Bern fahre, frage ich mich jedes Mal, weshalb so viele Hektaren bestes Ackerland geopfert wurden, um einst?ckigen Lagerhallen oder Dienstleistungsbetrieben Platz zu machen; weshalb viele Einfamilienhaus-Siedlungen derart locker gebaut sind, dass ihr Fl?chenbedarf beinahe unversch?mt wirkt; und ich wünschte mir, dass dieses Ackerland immer noch vorhanden w?re. Also ist doch klar: Ackerland erhalten, dafür die Waldfl?che reduzieren, die ja in der Schweiz ohnehin reichlich vorhanden und zudem noch weniger produktiv ist.

Was wollen wir?

In Bezug auf die Landnutzung sind wir wie kleine Kinder: wir wollen alles. Kein Verlust von Ackerland. Kein Verlust von Waldfl?che. Und es ist toll, dass unser Land so attraktiv ist und viele Menschen, oftmals sehr gut ausgebildete und deshalb gesuchte Leute, in unser Land ziehen. Also wollen wir auch keine Beschr?nkung der Siedlungsfl?che (indirekt: der Zuwanderung). Und wir wollen m?glichst naturnah in einer nachhaltigen Gesellschaft leben. Es ist offensichtlich, dass das nicht aufgehen kann. Aber der Reihe nach.

Vergr?sserte Ansicht: Forstarbeiter
Wird oft gefordert: Wald roden, um Platz zu schaffen. (Bild: Henning Welslau / flickr)

Siedlungsfl?che gegen Ackerland – Ackerland gegen Wald?

Landwirtschaftsfl?che ist wichtig, weil in einer nachhaltigen Welt ein Grossteil der Produktion aus der Nachbarschaft kommen muss – die derzeitigen Transportwege für Nahrungsmittel sind absurd und nachhaltig sicher nicht aufrecht zu erhalten. Also muss m?glichst viel Landwirtschaftsfl?che erhalten bleiben. Der Wald steht übrigens an jenen Orten, die sich für Landwirtschaft in aller Regel nicht eignen, sei es wegen schlechter B?den, einer zu steilen Lage oder zu grosser Distanz zu den Siedlungen. Das heisst, Landwirtschaftsland liesse sich auf Kosten des Waldes nur in geringem Ausmass gewinnen. Also muss die Ausdehnung der Siedlungen auf Kosten der Landwirtschaft beendet werden.

Oder doch lieber: Siedlungsfl?che gegen Wald?

Wald ist aus vielerlei Gründen wichtig: von der Erhaltung der Biodiversit?t über die Kohlenstoff-Speicherung bis hin zur Tatsache, dass er gerade in Siedlungsn?he eine grosse Bedeutung für die menschliche Erholung hat. Die Waldfl?che nimmt (leider) nicht dort zu, wo der gr?sste Siedlungsdruck herrscht, sondern genau dort, wo kein Siedlungsdruck ist, n?mlich in abgelegenen Gebieten, die sich teils auch entv?lkern (zum Beispiel Seitent?ler im Tessin). Und dort, wo der Siedlungsdruck am gr?ssten ist, haben wir bereits heute den geringsten Fl?chenanteil des Waldes [2]. Also kann es auch keine L?sung sein, Waldfl?che für die Expansion der Siedlungen aufzugeben, denn die Nachfrage nach Erholungswald in Siedlungsn?he nimmt durch die Ausdehnung der Siedlungsfl?che zu und nicht etwa ab. Also muss auch die Waldfl?che geschützt bleiben.

Vergr?sserte Ansicht: Landschaft mit Wald
Der Wald steht meist an Orten, die landwirtschaftlich schlecht nutzbar sind. (Bild: Patrik Walde / flickr)

Was bleibt?

Es bleiben zwei Optionen: Zum einen die Siedlungsfl?che ?nach innen? zu verdichten. Das h?tte nicht nur den Vorteil, dass der Fl?chenbedarf nicht weiter zunehmen würde, sondern auch, dass die zurückgelegten Pendler-Kilometer s?nken. Das w?re für eine nachhaltige Gesellschaft sehr wichtig. Allerdings ist Verdichtung nur so weit sinnvoll, als dass eine hohe Lebensqualit?t in urbanen Gebieten erhalten bleibt [3]. Wenn ich heute in gewissen Quartieren Zürichs spazieren gehe und sehe, wie Einfamilienhaus-Siedlungen zunehmend zu grauen Strassenschluchten mit grossen drei- oder viergeschossigen Geb?uden links und rechts mutieren, so ist mir klar, dass deren Bewohner in Zukunft das Wochenende nicht ums Haus verbringen, sondern aufs Land fahren werden, um sich zu erholen. Da h?tte man den Teufel dann mit dem Beelzebub ausgetrieben.

Und das andere? Ohne Zweifel wird auch die Verdichtung der Siedlungsfl?che ein Ende haben. Es braucht offensichtlich einen gesellschaftlichen Diskurs über die maximale Anzahl Einwohner, welche die Schweiz nachhaltig haben kann. Das ist ein heisses Eisen, aber wir werden es angehen müssen. Einfach zu hoffen, dass die Zuwanderung ?bald? einmal aufh?ren wird, erinnert an den Strauss, der den Kopf in den Sand steckt. Ecopop war aus verschiedensten Gründen eine grundfalsche Antwort auf die Frage. Aber die Frage bleibt auch nach der Abstimmung. (Siehe auch den Blogbeitrag von Christoph Küffer: Die echte Debatte beginnt jetzt)

Weiterführende Informationen

[1] Meadows, D.D. et al. 1972. Limits to Growth. Potomac Associates, Universe Books, NY. externe SeiteClub of Rome

[2] vgl. das Projekt ?externe SeiteWaldstadt Bremer?

[3] vgl. das leider unverbindliche und teils wenig konkrete ?externe SeiteRaumkonzept Schweiz?

Zum Autor

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert