Hätten wir es besser wissen müssen?

Wie lassen sich Umwelt- und Gesundheitskosten von neuen Technologien vermeiden? Mit dieser Frage besch?ftigte sich ein langj?hriges Forschungsprojekt der Europ?ischen Umweltbeh?rde. Der ehemalige Leiter des Projekts, David Gee, hat kürzlich an der ETH Zürich erl?utert, wie uns vergangene Fehler lehren, zukünftige Umweltprobleme zu vermeiden.

Warnschild Asbest
(Foto: igitursum / flickr)

Die Hinweise mehren sich, dass Pestizide zum aktuellen Bienensterben beitragen. Es bestehen keine Zweifel, dass Asbest oder Rauchen die Gesundheit gef?hrden, obwohl dies von der betroffenen Industrie noch vor kurzer Zeit verneint wurde. Wir wundern uns, wie die letzte Finanzkrise m?glich war. Wie konnten Banken so lange riskanten Handel betreiben, ohne dass dies bemerkt und kontrolliert wurde? T?glich sind wir mit Fragen konfrontiert wie: H?tten wir es besser wissen müssen? Wieso hat uns niemand früher gewarnt? Weshalb hat niemand gehandelt?

Verantwortungsvoller Umgang mit technologischen Innovationen

Bei neuen wissenschaftlichen Entwicklungen, etwa in der Nano- oder Biotechnologie, besch?ftigt uns, ob diese für Mensch und Umwelt Folgen haben k?nnten, und wenn ja, welche. Einer, der wie kaum jemand weiss, wie man Gefahren von neuen Technologien in Zukunft reduzieren kann, ist der Risikoforscher David Gee [1], der kürzlich die ETH Zürich besuchte. Bis vor kurzem hat Gee für die Europ?ische Umweltbeh?rde das Projekt ?Late lessons from early warnings? zur Früherkennung von Risiken geleitet. In zwei in den Jahren 2001 und 2013 publizierten Studien hat ein internationales Team mit Beteiligung von ETH-Forschenden anhand einer Vielzahl historischer Fallbeispiele untersucht, wann bei neuen Technologien negative Folgen für die Umwelt oder Gesundheit identifiziert wurden und wie schnell man danach handelte [2] [3]. Die Bilanz ist ernüchternd: von den ersten verl?sslichen Hinweisen auf Probleme bis zu effektiven Massnahmen hat es in jedem Fall Jahrzehnte gedauert. Gesundheitsrisiken von Asbest waren zum Beispiel bereits Ende des 19. Jahrhunderts bekannt, ein Verbot wurde aber erst 100 Jahre sp?ter umgesetzt – erst nachdem Hundertausende an Krebs erkrankt sind. Im Gegenzug wurde kaum f?lschlicherweise auf vermeintliche Risiken reagiert: von 88 untersuchten Verdachtsf?llen wurde nur viermal ein falscher Alarm best?tigt.

Lehren für die Zukunft

Problematische Folgen von wissenschaftlichen Innovationen werden sich nie vollst?ndig vermeiden lassen, aber die Analysen von Gee’s Team zeigen, wie einfach sich Risiken reduzieren liessen, würden wir von Fehlern der Vergangenheit lernen:

  1. Frühzeitige und umfassende Risikoforschung. In den letzten Jahren wurde in der Informations-, Bio-, und Nanotechnologie 99.4 Prozent der Forschungsgelder in Innovationsforschung, aber nur 0.6 Prozent in die Absch?tzung von m?glichen Umweltsch?den und Gesundheitsfolgen investiert. Wird Risikoforschung betrieben, dann fokussiert diese fast ausschliesslich auf altbekannte Probleme. W?hrend pro Jahr über Tausend Artikel zu Gefahren von Blei, Quecksilber und DDT publiziert werden, sind es weniger als 50 zu allen neuen in grossem Massstab produzierten Chemikalien.
  2. Risiken lassen sich nicht alleine im Labor erkennen. Risiken entstehen draussen in der realen Welt im Zusammenspiel mit anderen Technologien, ?kosystemen und Menschen. Dort müssten durch interdisziplin?re Forschung Risiken beurteilt werden, statt nur unter künstlichen Bedingungen im Labor.
  3. Gemeinsam wissen wir mehr. Oft überl?sst man die Risikobeurteilung einer kleinen Gruppe von ausgew?hlten Experten. Dabei wüssten andere Experten, Praktiker, Laien oder Betroffene oft früher von m?glichen Risiken.
  4. Die erste Idee ist oft nicht die Beste. Wer sich mit den Problemen von Microsoft-Software rumschl?gt weiss: es lohnt sich, alternative Technologien zu entwickeln und zu vergleichen, statt der ersten Idee eine Monopolstellung zu erlauben.
  5. Wissenschaftliche Unabh?ngigkeit. Betroffene Wirtschaftszweige – ob die Tabakindustrie oder im Fall des Klimawandels die ?lindustrie – haben wiederholt Probleme vertuscht, gezielt falsch informiert und kritische Experten oder Betroffene massiv gesch?digt. Ohne wissenschaftliche Unabh?ngigkeit und Schutz von Whistle-blowern und kritischen Stimmen werden Innovationen leicht zur Gefahr, weil kurzfristige Kostenoptimierung die langfristige Verbesserung der Technologie verhindert.

Kritisch zu prüfen und frühzeitig nach m?glichen Schattenseiten von wissenschaftlichen Innovationen zu suchen dürfte zu einer der wichtigsten Aufgaben von führenden Universit?ten wie der ETH werden. An dieser Aufgabe darf die Wissenschaft nicht scheitern, sonst verliert sie das Vertrauen der ?ffentlichkeit. Die umfassend dokumentierten Fallbeispiele von David Gee und seinen Kollegen sprechen eine deutliche Sprache: Wir h?tten es besser wissen müssen! Doch nun wissen wir, wie wir es besser wissen k?nnten.

Weiterführende Informationen

Christoph Küffer war am zweiten ?Late Lessons Report? als Mitautor des Kapitels über invasive Arten beteiligt.

[1] externe SeiteDavid Gee

[2] Report: externe SeiteLate lessons from early warnings I

[3] Report: externe SeiteLate lessons from early warnings II

Zum Autor

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert