Warum wir uns einmischen

Jugendliche streiken fürs Klima, nun unterstützen Forschende ihre Anliegen. Reto Knutti über eine unerwartete Wende in der Klimadebatte und die gesellschaftliche Rolle der Wissenschaft.

Reto Knutti

Die Wissenschaft verfasst einen Klimabericht nach dem anderen, die Politik debattiert endlos über m?gliche Massnahmen, doch passieren tut wenig. Dann provoziert die schwedische Schülerin Greta Thunberg weltweite Streiks für Klimaschutz. Und nun unterschreiben über 12'000 Wissenschaftler einen Appell zum Handeln, den Klimaforschende aus Deutschland, ?sterreich und der Schweiz gemeinsam verfasst haben1. Warum mischen wir uns ein?

Klimastreikende Jugenliche auf der polyterrasse
Klimastreikende Jugendliche auf der Polyterrasse (18. Januar 2019). (Bild: Peter Rüegg / ETH Zürich)

Die Fakten sind klar

Der Klimawandel ist real, der dominante Anteil menschgemacht, die Auswirkungen sind heute schon deutlich, viele sind nicht rückg?ngig zu machen. In einer idealen Welt liefert die Wissenschaft die faktischen Grundlagen, und die Gesellschaft entscheidet über die besten Massnahmen. Die Realit?t ist jedoch weit davon entfernt.

Erstens produzieren einflussreiche Netzwerke alternative Fakten, um Zweifel zu streuen und Politik und Gesellschaft zu beeinflussen2. Zweitens folgen die Handlungen nicht eindeutig aus den Fakten – entscheidend sind Werte. Ist die beste Schweiz diejenige mit hoher Biodiversit?t, jene mit intaktem Klima oder die mit einem hohen Bruttosozialprodukt?

Was man tun ?muss?, ist abh?ngig vom Wert, den man der Welt gibt, die unsere Kinder und Grosskinder erleben werden: Will man in den n?chsten paar Jahren lediglich den Profit optimieren, dann sind Klima oder Biodiversit?t egal. Nicht aber, wenn man die Lebensgrundlagen langfristig sichern will. Die international akzeptierten Ziele der nachhaltigen Entwicklung sind als Grundprinzipien auch in der Schweizer Bundesverfassung verankert. Auch alles auf die anderen abschieben geht nicht: Es gilt laut UNO Rahmenkonvention das Prinzip der ?gemeinsamen aber differenzierten Verantwortung und M?glichkeiten?3.

Rein faktenbasierte Entscheidungen gibt es also kaum4. Es braucht dazu Kontext, eine Einordnung, Optionen und eine Diskussion der Priorit?ten. Das gilt insbesondere für so genannte ?verzwickte Problemen? wie Klima, Migration oder sozialer Gerechtigkeit, wo alles gleichzeitig Ursache und Wirkung ist und viele Akteure und Interessen mitspielen.

Beim Klima müssen wir handeln

Wer nun argumentiert, man k?nne in solchen F?llen gar nichts begründen oder entscheiden, irrt sich: Die Schweiz und andere Staaten haben sich darauf geeinigt, einen gef?hrlichen Klimawandel zu vermeiden5. Was gef?hrlich ist, war 1992 noch nicht definiert, aber mit dem Pariser Abkommen hat die internationale Politik ein klares Ziel von deutlich unter zwei Grad Erw?rmung vorgegeben, mit Anstrengungen für 1.5 Grad.

Nur: Wir sind nicht auf Kurs. Darum braucht es ambitionierte Massnahmen. Selbst bei Fragen, in denen es wissenschaftliche Unsicherheit gibt, empfiehlt die UNO-Rahmenkonvention, dass vorkehrende Massnahmen angesichts drohender oder irreversibler Sch?den nicht verz?gert werden sollten5.

?Als Forschende müssen wir darauf hinweisen, wenn Fakten verzerrt werden, Wissenschaft instrumentalisiert wird, oder Massnahmen nicht genügen.?Reto Knutti

Welche Massnahmen genau zu treffen sind, ist Gegenstand des politischen Aushandlungsprozesses, den die Wissenschaft weder vorgeben kann noch soll. Als Forschende müssen wir aber darauf hinweisen, wenn Fakten verzerrt werden, Wissenschaft instrumentalisiert wird, oder Massnahmen nicht genügen. Dann ist die Wissenschaftsgemeinde gefordert, die Fakten in Erinnerung zu rufen und darzulegen, dass es zwingend gr?ssere Anstrengungen braucht, um die Ziele von Paris zu erreichen. Auch auf die Gefahr hin, dass der Wissenschaft unterstellt wird, sie sei politisch nicht neutral.

Berechtigte Anliegen

Gr?ssere Anstrengungen sind tats?chlich notwendig. Genau das fordert die heute publizierte Stellungnahme der Wissenschaft1. Darin attestieren wir, dass die Anliegen der klimastreikenden Jugend aus wissenschaftlicher Sicht berechtigt sind. An Universit?ten entwickeln wir nicht nur Grundlagen und L?sungen, sondern bilden auch junge Menschen aus, kritisch über die Welt zu reflektieren. Den Streik per se heissen wir nicht gut. Aber wir unterstützen die Schüler und Studierenden in ihrem Willen, sich in die politische Diskussion einzubringen, Verantwortung zu übernehmen und gemeinsam nach konstruktiven Wegen zu suchen, wie wir die Schweiz und die Welt für die n?chsten Generationen gestalten6.

Das Engagement der Jugendlichen fordert uns ?ltere zum Handeln auf. Als Privatperson sowie als Wissenschaftler bin ich der Auffassung, dass man die Klimajugend ernst nehmen sollte. Auf jeden Fall ist die Zeit reif für ein gesellschaftliches Umdenken. Vielleicht braucht es dafür tats?chlich, wie oft in der Geschichte, eine Bewegung von unten – von den Jungen, die noch unbelastet vom Status-quo und leichten Herzens das Terrain für Ver?nderungen ebnen.

Referenzen

1 Unter der Bezeichnung ?externe SeiteScientists for Future? haben Klimaforschende der Schweiz, Deutschlands und ?sterreichs einen Handlungsappell publiziert, den bis dato über 12'000 Wissenschaftler unterschrieben haben, davon 1700 allein in der Schweiz. Die Stellungnahme kann noch bis 14. M?rz externe Seitehier unterschrieben werden.

2 Beitrag ?externe SeiteIm Netz der Klimaleugner? in der NZZ am Sonntag.

3 UNFCC: externe SeiteUN Convention on Climate Change.

4 Stirling, 2010: externe SeiteKeep it complex.

5 UNFCC: externe SeiteUN Convention on Climate Change.

6 Kirchner, 2017: externe SeiteScience, politics, and rationality in a partisan era.

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert